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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sprachliche Rout'ilduugon.

Sommer 1767, als er das 8, Buch der "Hamburgischen Dramaturgie" schrieb,
behalf er sich mit der Form empfindlich, die heute ja etwas ganz andres (leicht
verletzlich, leicht zu beleidigen) bedeutet; er schreibt da über die sogenannte oo-
msäiö w'mo/iwo: "Verschiedne Stücke dieser Gattung sind etwas mehr als
weinerlich; sie kosten einer empfindliche" Seele Ströme von Thränen." Wenige
Monate später übersetzte Bode Lawrence Sternes 8öntirQsntg.l.journe^ ins Deutsche
und war dabei wegen eines entsprechenden Ausdrucks für das damals auch im Eng¬
lischen noch ziemlich neue Wort seiMmsntÄ -- es war zuerst 1753 im "Gran-
dison", dem damals von aller Welt gelesnen Roman Richardsons gebraucht
worden -- in Verlegenheit. Er befragte Lessing, und dieser schrieb ihm darüber,
wie Bode selbst in der Vorrede zu seiner Uebersetzung mittheilt: "Bemerken Sie,
daß sontiMMtÄ ein neues Wort ist. War es Sterne erlaubt, sich ein neues
Wort zu bilden, so muß es auch seinem Uebersetzer erlaubt sein. Die Engländer
hatten gar kein Adjectivum von söntimsvt, wir haben von Empfindung mehr
als eines: empfindlich, empfindbar, empfindungsreich, aber diese sagen alle etwas
andres. Wagen Sie empfindsam! Wenn eine mühsame Reise eine Reise heißt,
bei der viel Mühe ist, so kann ja auch eine empfindsame Reise heißen, bei der
viel Empfindung war; ich will nicht sagen, daß Sie die Analogie ganz auf ihrer
Seite haben dürften. Aber was die Leser vors erste bei dem Worte noch nicht
denken, mögen sie sich nach und nach zu denken gewöhnen." Bode nahm das
Wort an, Lessing selber brauchte es bald öfter, und schon in den siebziger Jahren
war es allgemein verbreitet.

Nicht wenige Wörter verdanken wir dem Eifer der Sprachreiniger, der freilich
oft genug in lächerlicher Weise übers Ziel hinausschoß, bisweilen aber doch auch
einen glücklichen Treffer that, welcher Beifall fand. Wir denken hier vor allem
um Philipp von Zehen, an Gottsched, an Campe und an den Turnvater Jahr.
Allbekannt sind die komischen Verdeutschungsvorschläge, die Philipp von Zehen,
der Stifter der "Dentschgesinnten Genossenschaft" in Hamburg als Anhang zu
seinem 1645 erschienenen Roman "Die adriatische Rosemund" machte; Nase
sollte durch Löschhoru. Fenster durch Tageleuchter, Pistole durch Reitpuffer,
Theater durch Schauburg, Natur durch Zeugemutter, Vers durch Dichtung,
Obelisk durch Sonnenspitze, Affect durch Gemüthstrift ersetzt werden. Diese
Einfälle erregten schon die Heiterkeit der Zeitgenossen. Doch hat sich einzelnes
von den Vorschlägen Zehens, wie lustwandeln für spazieren und von Selbstand
(für Person) wenigstens das Eigenschaftswort selbständig Bahn gebrochen und
erhalten. Gegenstand scheint Gottsched zuerst in der heute üblichen Bedeutung
(Object) angewandt zu haben; im 16. und 17. Jahrhundert wurde es nur im
Sinne von Widerstand, Gegenwehr, Gegensatz, Hinderniß gebraucht, und die Ein-


Sprachliche Rout'ilduugon.

Sommer 1767, als er das 8, Buch der „Hamburgischen Dramaturgie" schrieb,
behalf er sich mit der Form empfindlich, die heute ja etwas ganz andres (leicht
verletzlich, leicht zu beleidigen) bedeutet; er schreibt da über die sogenannte oo-
msäiö w'mo/iwo: „Verschiedne Stücke dieser Gattung sind etwas mehr als
weinerlich; sie kosten einer empfindliche» Seele Ströme von Thränen." Wenige
Monate später übersetzte Bode Lawrence Sternes 8öntirQsntg.l.journe^ ins Deutsche
und war dabei wegen eines entsprechenden Ausdrucks für das damals auch im Eng¬
lischen noch ziemlich neue Wort seiMmsntÄ — es war zuerst 1753 im „Gran-
dison", dem damals von aller Welt gelesnen Roman Richardsons gebraucht
worden — in Verlegenheit. Er befragte Lessing, und dieser schrieb ihm darüber,
wie Bode selbst in der Vorrede zu seiner Uebersetzung mittheilt: „Bemerken Sie,
daß sontiMMtÄ ein neues Wort ist. War es Sterne erlaubt, sich ein neues
Wort zu bilden, so muß es auch seinem Uebersetzer erlaubt sein. Die Engländer
hatten gar kein Adjectivum von söntimsvt, wir haben von Empfindung mehr
als eines: empfindlich, empfindbar, empfindungsreich, aber diese sagen alle etwas
andres. Wagen Sie empfindsam! Wenn eine mühsame Reise eine Reise heißt,
bei der viel Mühe ist, so kann ja auch eine empfindsame Reise heißen, bei der
viel Empfindung war; ich will nicht sagen, daß Sie die Analogie ganz auf ihrer
Seite haben dürften. Aber was die Leser vors erste bei dem Worte noch nicht
denken, mögen sie sich nach und nach zu denken gewöhnen." Bode nahm das
Wort an, Lessing selber brauchte es bald öfter, und schon in den siebziger Jahren
war es allgemein verbreitet.

Nicht wenige Wörter verdanken wir dem Eifer der Sprachreiniger, der freilich
oft genug in lächerlicher Weise übers Ziel hinausschoß, bisweilen aber doch auch
einen glücklichen Treffer that, welcher Beifall fand. Wir denken hier vor allem
um Philipp von Zehen, an Gottsched, an Campe und an den Turnvater Jahr.
Allbekannt sind die komischen Verdeutschungsvorschläge, die Philipp von Zehen,
der Stifter der „Dentschgesinnten Genossenschaft" in Hamburg als Anhang zu
seinem 1645 erschienenen Roman „Die adriatische Rosemund" machte; Nase
sollte durch Löschhoru. Fenster durch Tageleuchter, Pistole durch Reitpuffer,
Theater durch Schauburg, Natur durch Zeugemutter, Vers durch Dichtung,
Obelisk durch Sonnenspitze, Affect durch Gemüthstrift ersetzt werden. Diese
Einfälle erregten schon die Heiterkeit der Zeitgenossen. Doch hat sich einzelnes
von den Vorschlägen Zehens, wie lustwandeln für spazieren und von Selbstand
(für Person) wenigstens das Eigenschaftswort selbständig Bahn gebrochen und
erhalten. Gegenstand scheint Gottsched zuerst in der heute üblichen Bedeutung
(Object) angewandt zu haben; im 16. und 17. Jahrhundert wurde es nur im
Sinne von Widerstand, Gegenwehr, Gegensatz, Hinderniß gebraucht, und die Ein-


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[0575] Sprachliche Rout'ilduugon. Sommer 1767, als er das 8, Buch der „Hamburgischen Dramaturgie" schrieb, behalf er sich mit der Form empfindlich, die heute ja etwas ganz andres (leicht verletzlich, leicht zu beleidigen) bedeutet; er schreibt da über die sogenannte oo- msäiö w'mo/iwo: „Verschiedne Stücke dieser Gattung sind etwas mehr als weinerlich; sie kosten einer empfindliche» Seele Ströme von Thränen." Wenige Monate später übersetzte Bode Lawrence Sternes 8öntirQsntg.l.journe^ ins Deutsche und war dabei wegen eines entsprechenden Ausdrucks für das damals auch im Eng¬ lischen noch ziemlich neue Wort seiMmsntÄ — es war zuerst 1753 im „Gran- dison", dem damals von aller Welt gelesnen Roman Richardsons gebraucht worden — in Verlegenheit. Er befragte Lessing, und dieser schrieb ihm darüber, wie Bode selbst in der Vorrede zu seiner Uebersetzung mittheilt: „Bemerken Sie, daß sontiMMtÄ ein neues Wort ist. War es Sterne erlaubt, sich ein neues Wort zu bilden, so muß es auch seinem Uebersetzer erlaubt sein. Die Engländer hatten gar kein Adjectivum von söntimsvt, wir haben von Empfindung mehr als eines: empfindlich, empfindbar, empfindungsreich, aber diese sagen alle etwas andres. Wagen Sie empfindsam! Wenn eine mühsame Reise eine Reise heißt, bei der viel Mühe ist, so kann ja auch eine empfindsame Reise heißen, bei der viel Empfindung war; ich will nicht sagen, daß Sie die Analogie ganz auf ihrer Seite haben dürften. Aber was die Leser vors erste bei dem Worte noch nicht denken, mögen sie sich nach und nach zu denken gewöhnen." Bode nahm das Wort an, Lessing selber brauchte es bald öfter, und schon in den siebziger Jahren war es allgemein verbreitet. Nicht wenige Wörter verdanken wir dem Eifer der Sprachreiniger, der freilich oft genug in lächerlicher Weise übers Ziel hinausschoß, bisweilen aber doch auch einen glücklichen Treffer that, welcher Beifall fand. Wir denken hier vor allem um Philipp von Zehen, an Gottsched, an Campe und an den Turnvater Jahr. Allbekannt sind die komischen Verdeutschungsvorschläge, die Philipp von Zehen, der Stifter der „Dentschgesinnten Genossenschaft" in Hamburg als Anhang zu seinem 1645 erschienenen Roman „Die adriatische Rosemund" machte; Nase sollte durch Löschhoru. Fenster durch Tageleuchter, Pistole durch Reitpuffer, Theater durch Schauburg, Natur durch Zeugemutter, Vers durch Dichtung, Obelisk durch Sonnenspitze, Affect durch Gemüthstrift ersetzt werden. Diese Einfälle erregten schon die Heiterkeit der Zeitgenossen. Doch hat sich einzelnes von den Vorschlägen Zehens, wie lustwandeln für spazieren und von Selbstand (für Person) wenigstens das Eigenschaftswort selbständig Bahn gebrochen und erhalten. Gegenstand scheint Gottsched zuerst in der heute üblichen Bedeutung (Object) angewandt zu haben; im 16. und 17. Jahrhundert wurde es nur im Sinne von Widerstand, Gegenwehr, Gegensatz, Hinderniß gebraucht, und die Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/575>, abgerufen am 09.06.2024.