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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Sprachliche Neubildungen.

wird jemand mit fortgerissen d. h> in die Strömung hinein, ein Haus aber
wird weggerissen d, h, beseitigt. Den Stuhl wegsetzen heißt ihn auf die
Seite, aus dem Wege setzen, die Arbeit fortsetzen sie fördern, vorwärtsbringen.
Es ist also entschieden stumpfsinnig, wenn jemand nicht unterscheidet: Der Maler
hat den Hund weggelassen (auf der Copie eines Bildes nämlich) und er hat
ihn fortgelassen (nämlich aus dem Zimmer), oder: Es ist jemand schlecht fort¬
gekommen (auf sumpfiger Landstraße nämlich) und er ist schlecht weggekommen
(nämlich bei einem verunglückten Unternehmen).

Ein neues Umstandswort, das sich schon großer Beliebtheit erfreut, ist bis¬
lang. Vor kurzem sagte man noch bisher -- was ist mit dem Worte, daß es
auf einmal nicht mehr gelten soll? Auch in diesem Falle ist die Neubildung
unnöthig und ist doch auch wahrhaftig nicht als eine besondere Bereicherung
unsrer Sprache anzusehen.

Höchst seltsam ist es, wie in unserm gegenwärtigen Sprachgebrauche das
Streben nach Kürze und das Streben nach Breite und Weitschweifigkeit einander
kreuzen. Wenn man so grauenvolle Worte bildet wie z. B. die neuerdings bis zum
Ekel sich mehrenden Zusammensetzungen mit -nähme: Stellungnahme, Partei¬
nahme, Antheilnahme (sür das alte gute Wort Theilnahme!) Anstand -
nähme, Jnbeschlagn ahme, Inangriffnahme, Jnhaftuahme, Jnbetracht-
'nahme, Zuhilfenahme, so will man damit doch eine gewisse Kürze erreichen; man
sagt mit einem Worte, was man sonst, bei Benutzung des Zeitwortes, mit mehrern
ausdrücken müßte. Lief doch kürzlich ein Telegramm onrch alle Zeitungen, welches
die Nachricht, daß eine asiatische Provinz den russischen Kaiser gebeten habe,
sie in Schutz zu nehmen, mit den Worten ausdrückte, sie habe "um die In¬
schutznahme des Kaisers" (!) gebeten. Wenn man so auf der einen Seite nach
einer Kürze des Ausdrucks strebt, die, wie in dem letzten Beispiele, bis zum
Blödsinn geht, warum verbreitert man dann auf der andern Seite gute, deut¬
liche Wörter, wie Ahnung, Erinnerung, Betheiligung, mindern, ablösen,
die noch vollständig ihre ursprüngliche Kraft bewahrt haben, zu Vorahnung,
Rückerinnerung, Mitbetheiligung, herabmindern, loslösen? Kann man
etwas auch hinterher ahnen, oder sich nach vorwärts erinnern, oder etwas hinauf¬
mindern?

Gerade die Sucht, sich breit und wichtig auszudrücken, hat zu einer Masse
der überflüssigsten und garstigsten Neubildungen geführt. Wer Rechnung ablegt,
berichtet nicht mehr, wie viel er eingenommen und ausgegeben, sondern wie
viel er vereinnahmt und verausgabt hat. Von einem gescheiten Kopfe heißt
es nicht mehr: er hat gute Anlagen oder er ist gut angelegt, sondern er ist
gut beanlagt oder gar er hat eine ante Beanlngung. Liegt hier eine schleppende


Sprachliche Neubildungen.

wird jemand mit fortgerissen d. h> in die Strömung hinein, ein Haus aber
wird weggerissen d, h, beseitigt. Den Stuhl wegsetzen heißt ihn auf die
Seite, aus dem Wege setzen, die Arbeit fortsetzen sie fördern, vorwärtsbringen.
Es ist also entschieden stumpfsinnig, wenn jemand nicht unterscheidet: Der Maler
hat den Hund weggelassen (auf der Copie eines Bildes nämlich) und er hat
ihn fortgelassen (nämlich aus dem Zimmer), oder: Es ist jemand schlecht fort¬
gekommen (auf sumpfiger Landstraße nämlich) und er ist schlecht weggekommen
(nämlich bei einem verunglückten Unternehmen).

Ein neues Umstandswort, das sich schon großer Beliebtheit erfreut, ist bis¬
lang. Vor kurzem sagte man noch bisher — was ist mit dem Worte, daß es
auf einmal nicht mehr gelten soll? Auch in diesem Falle ist die Neubildung
unnöthig und ist doch auch wahrhaftig nicht als eine besondere Bereicherung
unsrer Sprache anzusehen.

Höchst seltsam ist es, wie in unserm gegenwärtigen Sprachgebrauche das
Streben nach Kürze und das Streben nach Breite und Weitschweifigkeit einander
kreuzen. Wenn man so grauenvolle Worte bildet wie z. B. die neuerdings bis zum
Ekel sich mehrenden Zusammensetzungen mit -nähme: Stellungnahme, Partei¬
nahme, Antheilnahme (sür das alte gute Wort Theilnahme!) Anstand -
nähme, Jnbeschlagn ahme, Inangriffnahme, Jnhaftuahme, Jnbetracht-
'nahme, Zuhilfenahme, so will man damit doch eine gewisse Kürze erreichen; man
sagt mit einem Worte, was man sonst, bei Benutzung des Zeitwortes, mit mehrern
ausdrücken müßte. Lief doch kürzlich ein Telegramm onrch alle Zeitungen, welches
die Nachricht, daß eine asiatische Provinz den russischen Kaiser gebeten habe,
sie in Schutz zu nehmen, mit den Worten ausdrückte, sie habe „um die In¬
schutznahme des Kaisers" (!) gebeten. Wenn man so auf der einen Seite nach
einer Kürze des Ausdrucks strebt, die, wie in dem letzten Beispiele, bis zum
Blödsinn geht, warum verbreitert man dann auf der andern Seite gute, deut¬
liche Wörter, wie Ahnung, Erinnerung, Betheiligung, mindern, ablösen,
die noch vollständig ihre ursprüngliche Kraft bewahrt haben, zu Vorahnung,
Rückerinnerung, Mitbetheiligung, herabmindern, loslösen? Kann man
etwas auch hinterher ahnen, oder sich nach vorwärts erinnern, oder etwas hinauf¬
mindern?

Gerade die Sucht, sich breit und wichtig auszudrücken, hat zu einer Masse
der überflüssigsten und garstigsten Neubildungen geführt. Wer Rechnung ablegt,
berichtet nicht mehr, wie viel er eingenommen und ausgegeben, sondern wie
viel er vereinnahmt und verausgabt hat. Von einem gescheiten Kopfe heißt
es nicht mehr: er hat gute Anlagen oder er ist gut angelegt, sondern er ist
gut beanlagt oder gar er hat eine ante Beanlngung. Liegt hier eine schleppende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/580>, abgerufen am 09.06.2024.