Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethe und Gustchen Stolberg.

In dem gastfreien elterlichen Hause hatten die bedeutendsten Männer des
damaligen Dänemarks verkehrt. Vor allem hatte Klopstock auf die Eltern wie
auf die Kinder großen und wohlthätigen Einfluß geübt; "nach dem frühen
Tode des Vaters war er der treueste Beirath der Mutter, und die beiden
ältesten Söhne haben es ihm zu danken gehabt, daß er sie auf strenge, gewissen¬
hafte Arbeit hinwies, wie er zugleich in ihnen den schlummernden Funken der
Dichtung weckte und nährte." Im übrigen fließen die Nachrichten über die
Jugendjahre Augustens -- oder Gustchens, wie sie von allen Geschwistern und
Freunden sich gern nennen hörte -- spärlich. Die erhaltnen Briefe der Brüder
find meistens nicht an sie, sondern an die beiden ältern Schwestern gerichtet,
und ihre eignen Jugendbriefe an Goethe find sämmtlich verloren. Doch genügen
die erhaltenen Zeugnisse, um ihr Bild wenigstens in seinen Hauptzügen fest¬
zustellen.

Gustchen war klein von Statur. Ihr "blaues, schmachtendes Aug'" erwähnt
der Bruder Christian in einer 1773 an sie gerichteten Ode, und Goethe dankt
ihr 1775 für ihre Silhouette mit den Worten: "Wie ist mein und meines Bruder
Lavaters Phisiognomischer Glaube wieder bestätigt. Diese reine sinnende Stirn
diese süsse Festigkeit der Nase, diese liebe Lippe dieses gewisse Kinn, der Adel
des ganzen! Dancke meine Liebe bauete." Ihre Gesundheit war in der Jugend
überaus zart. Sie litt häufig am Fieber, hatte auch wiederholt andere heftige
Krankheiten zu bestehen, die sie jedesmal an den Rand des Grabes brachten.
Daraus entstand wohl bei ihr ein gewisser Hang, sich zurückzuziehen; Christian
bezeichnet sie in einem Briefe als die "kleine Einsiedlerin." Waren aber die
Anfälle vorüber, so war sie wieder das heitere, liebenswürdige Mädchen, das
die einfachen Freuden, die das Leben ihr bot, vor allem wohl die Schönheiten
der heimatlichen Natur, mit vollen Zügen genoß und wie ihre Brüder für das
Vaterland und für Klopstock schwärmte.

Zwei ziemlich abgelegene Zeugnisse über sie, die W. Arndt aufgespürt hat,
sind höchst merkwürdig. Martin Miller, der bekannte Genoß des Göttinger Hains,
der Dichter des "Siegwart", der die beiden Stolberg und ihre Schwester 1775
persönlich kennen gelernt hatte, veröffentlichte 1778 -- 1780 einen vierbändigen
Roman in Briefen: "Geschichte Karls von Burgheim und Emiliens von Rosenau."
In diesem werden neben andern lebenden Personen auch die beiden Grasen und ihre
Schwester handelnd eingeführt. Der Held des Romans, Karl von Burgheim,
hat den Stolbergen -- so wird fingirt -- auf ihrer mit Goethe gemeinsam un¬
ternommenen Schweizerreise (1775) begegnet. Ueber Gustchen aber schreibt Gräfin
Julie von Bernstorff an Friederike von Burgheim, die Schwester Karls, unter
dem fingirten Datum 8. Januar 1776: "Der wichtigste Schatz, den ich in Ham¬
burg gefunden habe, ist die Freundschaft, die mir die Gräfin Stolberg, eine


Goethe und Gustchen Stolberg.

In dem gastfreien elterlichen Hause hatten die bedeutendsten Männer des
damaligen Dänemarks verkehrt. Vor allem hatte Klopstock auf die Eltern wie
auf die Kinder großen und wohlthätigen Einfluß geübt; „nach dem frühen
Tode des Vaters war er der treueste Beirath der Mutter, und die beiden
ältesten Söhne haben es ihm zu danken gehabt, daß er sie auf strenge, gewissen¬
hafte Arbeit hinwies, wie er zugleich in ihnen den schlummernden Funken der
Dichtung weckte und nährte." Im übrigen fließen die Nachrichten über die
Jugendjahre Augustens — oder Gustchens, wie sie von allen Geschwistern und
Freunden sich gern nennen hörte — spärlich. Die erhaltnen Briefe der Brüder
find meistens nicht an sie, sondern an die beiden ältern Schwestern gerichtet,
und ihre eignen Jugendbriefe an Goethe find sämmtlich verloren. Doch genügen
die erhaltenen Zeugnisse, um ihr Bild wenigstens in seinen Hauptzügen fest¬
zustellen.

Gustchen war klein von Statur. Ihr „blaues, schmachtendes Aug'" erwähnt
der Bruder Christian in einer 1773 an sie gerichteten Ode, und Goethe dankt
ihr 1775 für ihre Silhouette mit den Worten: „Wie ist mein und meines Bruder
Lavaters Phisiognomischer Glaube wieder bestätigt. Diese reine sinnende Stirn
diese süsse Festigkeit der Nase, diese liebe Lippe dieses gewisse Kinn, der Adel
des ganzen! Dancke meine Liebe bauete." Ihre Gesundheit war in der Jugend
überaus zart. Sie litt häufig am Fieber, hatte auch wiederholt andere heftige
Krankheiten zu bestehen, die sie jedesmal an den Rand des Grabes brachten.
Daraus entstand wohl bei ihr ein gewisser Hang, sich zurückzuziehen; Christian
bezeichnet sie in einem Briefe als die „kleine Einsiedlerin." Waren aber die
Anfälle vorüber, so war sie wieder das heitere, liebenswürdige Mädchen, das
die einfachen Freuden, die das Leben ihr bot, vor allem wohl die Schönheiten
der heimatlichen Natur, mit vollen Zügen genoß und wie ihre Brüder für das
Vaterland und für Klopstock schwärmte.

Zwei ziemlich abgelegene Zeugnisse über sie, die W. Arndt aufgespürt hat,
sind höchst merkwürdig. Martin Miller, der bekannte Genoß des Göttinger Hains,
der Dichter des „Siegwart", der die beiden Stolberg und ihre Schwester 1775
persönlich kennen gelernt hatte, veröffentlichte 1778 — 1780 einen vierbändigen
Roman in Briefen: „Geschichte Karls von Burgheim und Emiliens von Rosenau."
In diesem werden neben andern lebenden Personen auch die beiden Grasen und ihre
Schwester handelnd eingeführt. Der Held des Romans, Karl von Burgheim,
hat den Stolbergen — so wird fingirt — auf ihrer mit Goethe gemeinsam un¬
ternommenen Schweizerreise (1775) begegnet. Ueber Gustchen aber schreibt Gräfin
Julie von Bernstorff an Friederike von Burgheim, die Schwester Karls, unter
dem fingirten Datum 8. Januar 1776: „Der wichtigste Schatz, den ich in Ham¬
burg gefunden habe, ist die Freundschaft, die mir die Gräfin Stolberg, eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149062"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethe und Gustchen Stolberg.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_185"> In dem gastfreien elterlichen Hause hatten die bedeutendsten Männer des<lb/>
damaligen Dänemarks verkehrt. Vor allem hatte Klopstock auf die Eltern wie<lb/>
auf die Kinder großen und wohlthätigen Einfluß geübt; &#x201E;nach dem frühen<lb/>
Tode des Vaters war er der treueste Beirath der Mutter, und die beiden<lb/>
ältesten Söhne haben es ihm zu danken gehabt, daß er sie auf strenge, gewissen¬<lb/>
hafte Arbeit hinwies, wie er zugleich in ihnen den schlummernden Funken der<lb/>
Dichtung weckte und nährte." Im übrigen fließen die Nachrichten über die<lb/>
Jugendjahre Augustens &#x2014; oder Gustchens, wie sie von allen Geschwistern und<lb/>
Freunden sich gern nennen hörte &#x2014; spärlich. Die erhaltnen Briefe der Brüder<lb/>
find meistens nicht an sie, sondern an die beiden ältern Schwestern gerichtet,<lb/>
und ihre eignen Jugendbriefe an Goethe find sämmtlich verloren. Doch genügen<lb/>
die erhaltenen Zeugnisse, um ihr Bild wenigstens in seinen Hauptzügen fest¬<lb/>
zustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_186"> Gustchen war klein von Statur. Ihr &#x201E;blaues, schmachtendes Aug'" erwähnt<lb/>
der Bruder Christian in einer 1773 an sie gerichteten Ode, und Goethe dankt<lb/>
ihr 1775 für ihre Silhouette mit den Worten: &#x201E;Wie ist mein und meines Bruder<lb/>
Lavaters Phisiognomischer Glaube wieder bestätigt. Diese reine sinnende Stirn<lb/>
diese süsse Festigkeit der Nase, diese liebe Lippe dieses gewisse Kinn, der Adel<lb/>
des ganzen! Dancke meine Liebe bauete." Ihre Gesundheit war in der Jugend<lb/>
überaus zart. Sie litt häufig am Fieber, hatte auch wiederholt andere heftige<lb/>
Krankheiten zu bestehen, die sie jedesmal an den Rand des Grabes brachten.<lb/>
Daraus entstand wohl bei ihr ein gewisser Hang, sich zurückzuziehen; Christian<lb/>
bezeichnet sie in einem Briefe als die &#x201E;kleine Einsiedlerin." Waren aber die<lb/>
Anfälle vorüber, so war sie wieder das heitere, liebenswürdige Mädchen, das<lb/>
die einfachen Freuden, die das Leben ihr bot, vor allem wohl die Schönheiten<lb/>
der heimatlichen Natur, mit vollen Zügen genoß und wie ihre Brüder für das<lb/>
Vaterland und für Klopstock schwärmte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_187" next="#ID_188"> Zwei ziemlich abgelegene Zeugnisse über sie, die W. Arndt aufgespürt hat,<lb/>
sind höchst merkwürdig. Martin Miller, der bekannte Genoß des Göttinger Hains,<lb/>
der Dichter des &#x201E;Siegwart", der die beiden Stolberg und ihre Schwester 1775<lb/>
persönlich kennen gelernt hatte, veröffentlichte 1778 &#x2014; 1780 einen vierbändigen<lb/>
Roman in Briefen: &#x201E;Geschichte Karls von Burgheim und Emiliens von Rosenau."<lb/>
In diesem werden neben andern lebenden Personen auch die beiden Grasen und ihre<lb/>
Schwester handelnd eingeführt. Der Held des Romans, Karl von Burgheim,<lb/>
hat den Stolbergen &#x2014; so wird fingirt &#x2014; auf ihrer mit Goethe gemeinsam un¬<lb/>
ternommenen Schweizerreise (1775) begegnet. Ueber Gustchen aber schreibt Gräfin<lb/>
Julie von Bernstorff an Friederike von Burgheim, die Schwester Karls, unter<lb/>
dem fingirten Datum 8. Januar 1776: &#x201E;Der wichtigste Schatz, den ich in Ham¬<lb/>
burg gefunden habe, ist die Freundschaft, die mir die Gräfin Stolberg, eine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] Goethe und Gustchen Stolberg. In dem gastfreien elterlichen Hause hatten die bedeutendsten Männer des damaligen Dänemarks verkehrt. Vor allem hatte Klopstock auf die Eltern wie auf die Kinder großen und wohlthätigen Einfluß geübt; „nach dem frühen Tode des Vaters war er der treueste Beirath der Mutter, und die beiden ältesten Söhne haben es ihm zu danken gehabt, daß er sie auf strenge, gewissen¬ hafte Arbeit hinwies, wie er zugleich in ihnen den schlummernden Funken der Dichtung weckte und nährte." Im übrigen fließen die Nachrichten über die Jugendjahre Augustens — oder Gustchens, wie sie von allen Geschwistern und Freunden sich gern nennen hörte — spärlich. Die erhaltnen Briefe der Brüder find meistens nicht an sie, sondern an die beiden ältern Schwestern gerichtet, und ihre eignen Jugendbriefe an Goethe find sämmtlich verloren. Doch genügen die erhaltenen Zeugnisse, um ihr Bild wenigstens in seinen Hauptzügen fest¬ zustellen. Gustchen war klein von Statur. Ihr „blaues, schmachtendes Aug'" erwähnt der Bruder Christian in einer 1773 an sie gerichteten Ode, und Goethe dankt ihr 1775 für ihre Silhouette mit den Worten: „Wie ist mein und meines Bruder Lavaters Phisiognomischer Glaube wieder bestätigt. Diese reine sinnende Stirn diese süsse Festigkeit der Nase, diese liebe Lippe dieses gewisse Kinn, der Adel des ganzen! Dancke meine Liebe bauete." Ihre Gesundheit war in der Jugend überaus zart. Sie litt häufig am Fieber, hatte auch wiederholt andere heftige Krankheiten zu bestehen, die sie jedesmal an den Rand des Grabes brachten. Daraus entstand wohl bei ihr ein gewisser Hang, sich zurückzuziehen; Christian bezeichnet sie in einem Briefe als die „kleine Einsiedlerin." Waren aber die Anfälle vorüber, so war sie wieder das heitere, liebenswürdige Mädchen, das die einfachen Freuden, die das Leben ihr bot, vor allem wohl die Schönheiten der heimatlichen Natur, mit vollen Zügen genoß und wie ihre Brüder für das Vaterland und für Klopstock schwärmte. Zwei ziemlich abgelegene Zeugnisse über sie, die W. Arndt aufgespürt hat, sind höchst merkwürdig. Martin Miller, der bekannte Genoß des Göttinger Hains, der Dichter des „Siegwart", der die beiden Stolberg und ihre Schwester 1775 persönlich kennen gelernt hatte, veröffentlichte 1778 — 1780 einen vierbändigen Roman in Briefen: „Geschichte Karls von Burgheim und Emiliens von Rosenau." In diesem werden neben andern lebenden Personen auch die beiden Grasen und ihre Schwester handelnd eingeführt. Der Held des Romans, Karl von Burgheim, hat den Stolbergen — so wird fingirt — auf ihrer mit Goethe gemeinsam un¬ ternommenen Schweizerreise (1775) begegnet. Ueber Gustchen aber schreibt Gräfin Julie von Bernstorff an Friederike von Burgheim, die Schwester Karls, unter dem fingirten Datum 8. Januar 1776: „Der wichtigste Schatz, den ich in Ham¬ burg gefunden habe, ist die Freundschaft, die mir die Gräfin Stolberg, eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/78>, abgerufen am 31.10.2024.