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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Goethe und Gustchen Swlberg.

gleichen wichtige Dinge mehr sind. Und ob Augustens Briefe viel positivem
Inhalt werden gehabt haben? Nach der Seltenheit zu urtheilen, mit der
Goethe darauf Bezug nimmt, schwerlich. Gleich im Anfange dankt er ihr ein¬
mal "für die Schildrung dein und deines Lebens", später einmal "für Ihre
lebendige Beschreibung alles was Sie umgiebt"; zugleich hat sie sein ungestümes
Herz zu beruhigen versucht und ihm eine verständige Auffassung seines Verhält¬
nisses zu Lili an die Hand gegeben -- "Dein gut Wort würckte in mir"
schreibt er ihr dagegen. Sonst ist viel von Silhouetten und Schattenrissen die
Rede, die nach der Mode der Zeit ausgetauscht werden. In der That, so un¬
bestimmt und adresselos wie an einen Schattenriß gerichtet, nicht wie an eine
concrete Persönlichkeit, klingt manches in den Briefen. Es ist so, wie wir sagen:
man kannte sich nicht und hatte sich also auch nichts zu schreiben.

Natürlich ist es undenkbar, daß nicht, wie schon angedeutet, trotz dieses
Charakters der Briefe im allgemeinen, die ganze damals wunderbar fortschrei¬
tende Entfaltung von Goethes Wesen und seine mannigfachen dichterischen Ar¬
beiten darin wiederklingen sollten. Die letzten Frankfurter Jahre vor der
Uebersiedlung nach Weimar sind in dieser Beziehung die inhaltreichsten in
Goethes ganzem Leben, und dies gilt auch von dem Jahre 1775 trotz der langen
Pause, welche die beinahe dreimonatliche Fluchtreise im Frühjahr und Som¬
mer bezeichnet. Oft abgedruckt und allbekannt ist jener Anfang des zweiten
Briefes vom 1.?. Februar 1775, worin Goethe, von seinem doppelten Costüm,
dem Gesellschafts- und dem Alltcigscostüm ausgehend, sein Wesen gleichsam
in zwei Hälften theilt, in den "Faßnachtsgoethe", der bald in Gesellschaft,
umleuchtet vom Prachtglanze der Wandleuchter und Kronleuchter von ein Paar
schönen Augen (Lilis) am Spieltische gehalten wird und von da ins Concert,
aus dem Concert auf den Ball eilt, um einer niedlichen Blondine den Hof zu
machen, und den andern Goethe, "der in der striechenden Februarluft schon
den Frühling ahndet, der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald
die unschuldigen Gefühlen der Jugend in kleinen Gedichten, das kräfftige
Gewürze des Lebens in mancherley Dramas, die Gestalten seiner Freunde
und seiner Gegenden und seines geliebten Hausraths mit Kreide auf grauem
Papier, nach seiner Maase auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt:
was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer gleich
eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, fondern feine Ge¬
fühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will." Aehn-
lich schreibt er ein paar Wochen später im März: "Heut war der Tag wunder-
baar. Habe gezeichnet -- eine Scene geschrieben. O wenn ich letzt nicht
Dramas schriebe ich ging zu Grund. Bald schick ich Ihnen eins geschrieben."
Bei den "Dramas" ist an "Stella", an "Erwin und Elmire" und an "Faust"


Goethe und Gustchen Swlberg.

gleichen wichtige Dinge mehr sind. Und ob Augustens Briefe viel positivem
Inhalt werden gehabt haben? Nach der Seltenheit zu urtheilen, mit der
Goethe darauf Bezug nimmt, schwerlich. Gleich im Anfange dankt er ihr ein¬
mal „für die Schildrung dein und deines Lebens", später einmal „für Ihre
lebendige Beschreibung alles was Sie umgiebt"; zugleich hat sie sein ungestümes
Herz zu beruhigen versucht und ihm eine verständige Auffassung seines Verhält¬
nisses zu Lili an die Hand gegeben — „Dein gut Wort würckte in mir"
schreibt er ihr dagegen. Sonst ist viel von Silhouetten und Schattenrissen die
Rede, die nach der Mode der Zeit ausgetauscht werden. In der That, so un¬
bestimmt und adresselos wie an einen Schattenriß gerichtet, nicht wie an eine
concrete Persönlichkeit, klingt manches in den Briefen. Es ist so, wie wir sagen:
man kannte sich nicht und hatte sich also auch nichts zu schreiben.

Natürlich ist es undenkbar, daß nicht, wie schon angedeutet, trotz dieses
Charakters der Briefe im allgemeinen, die ganze damals wunderbar fortschrei¬
tende Entfaltung von Goethes Wesen und seine mannigfachen dichterischen Ar¬
beiten darin wiederklingen sollten. Die letzten Frankfurter Jahre vor der
Uebersiedlung nach Weimar sind in dieser Beziehung die inhaltreichsten in
Goethes ganzem Leben, und dies gilt auch von dem Jahre 1775 trotz der langen
Pause, welche die beinahe dreimonatliche Fluchtreise im Frühjahr und Som¬
mer bezeichnet. Oft abgedruckt und allbekannt ist jener Anfang des zweiten
Briefes vom 1.?. Februar 1775, worin Goethe, von seinem doppelten Costüm,
dem Gesellschafts- und dem Alltcigscostüm ausgehend, sein Wesen gleichsam
in zwei Hälften theilt, in den „Faßnachtsgoethe", der bald in Gesellschaft,
umleuchtet vom Prachtglanze der Wandleuchter und Kronleuchter von ein Paar
schönen Augen (Lilis) am Spieltische gehalten wird und von da ins Concert,
aus dem Concert auf den Ball eilt, um einer niedlichen Blondine den Hof zu
machen, und den andern Goethe, „der in der striechenden Februarluft schon
den Frühling ahndet, der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald
die unschuldigen Gefühlen der Jugend in kleinen Gedichten, das kräfftige
Gewürze des Lebens in mancherley Dramas, die Gestalten seiner Freunde
und seiner Gegenden und seines geliebten Hausraths mit Kreide auf grauem
Papier, nach seiner Maase auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt:
was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer gleich
eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, fondern feine Ge¬
fühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will." Aehn-
lich schreibt er ein paar Wochen später im März: „Heut war der Tag wunder-
baar. Habe gezeichnet — eine Scene geschrieben. O wenn ich letzt nicht
Dramas schriebe ich ging zu Grund. Bald schick ich Ihnen eins geschrieben."
Bei den „Dramas" ist an „Stella", an „Erwin und Elmire" und an „Faust"


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[0083] Goethe und Gustchen Swlberg. gleichen wichtige Dinge mehr sind. Und ob Augustens Briefe viel positivem Inhalt werden gehabt haben? Nach der Seltenheit zu urtheilen, mit der Goethe darauf Bezug nimmt, schwerlich. Gleich im Anfange dankt er ihr ein¬ mal „für die Schildrung dein und deines Lebens", später einmal „für Ihre lebendige Beschreibung alles was Sie umgiebt"; zugleich hat sie sein ungestümes Herz zu beruhigen versucht und ihm eine verständige Auffassung seines Verhält¬ nisses zu Lili an die Hand gegeben — „Dein gut Wort würckte in mir" schreibt er ihr dagegen. Sonst ist viel von Silhouetten und Schattenrissen die Rede, die nach der Mode der Zeit ausgetauscht werden. In der That, so un¬ bestimmt und adresselos wie an einen Schattenriß gerichtet, nicht wie an eine concrete Persönlichkeit, klingt manches in den Briefen. Es ist so, wie wir sagen: man kannte sich nicht und hatte sich also auch nichts zu schreiben. Natürlich ist es undenkbar, daß nicht, wie schon angedeutet, trotz dieses Charakters der Briefe im allgemeinen, die ganze damals wunderbar fortschrei¬ tende Entfaltung von Goethes Wesen und seine mannigfachen dichterischen Ar¬ beiten darin wiederklingen sollten. Die letzten Frankfurter Jahre vor der Uebersiedlung nach Weimar sind in dieser Beziehung die inhaltreichsten in Goethes ganzem Leben, und dies gilt auch von dem Jahre 1775 trotz der langen Pause, welche die beinahe dreimonatliche Fluchtreise im Frühjahr und Som¬ mer bezeichnet. Oft abgedruckt und allbekannt ist jener Anfang des zweiten Briefes vom 1.?. Februar 1775, worin Goethe, von seinem doppelten Costüm, dem Gesellschafts- und dem Alltcigscostüm ausgehend, sein Wesen gleichsam in zwei Hälften theilt, in den „Faßnachtsgoethe", der bald in Gesellschaft, umleuchtet vom Prachtglanze der Wandleuchter und Kronleuchter von ein Paar schönen Augen (Lilis) am Spieltische gehalten wird und von da ins Concert, aus dem Concert auf den Ball eilt, um einer niedlichen Blondine den Hof zu machen, und den andern Goethe, „der in der striechenden Februarluft schon den Frühling ahndet, der immer in sich lebend, strebend und arbeitend, bald die unschuldigen Gefühlen der Jugend in kleinen Gedichten, das kräfftige Gewürze des Lebens in mancherley Dramas, die Gestalten seiner Freunde und seiner Gegenden und seines geliebten Hausraths mit Kreide auf grauem Papier, nach seiner Maase auszudrücken sucht, weder rechts noch links fragt: was von dem gehalten werde was er machte? weil er arbeitend immer gleich eine Stufe höher steigt, weil er nach keinem Ideale springen, fondern feine Ge¬ fühle sich zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln lassen will." Aehn- lich schreibt er ein paar Wochen später im März: „Heut war der Tag wunder- baar. Habe gezeichnet — eine Scene geschrieben. O wenn ich letzt nicht Dramas schriebe ich ging zu Grund. Bald schick ich Ihnen eins geschrieben." Bei den „Dramas" ist an „Stella", an „Erwin und Elmire" und an „Faust"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/83>, abgerufen am 05.06.2024.