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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Kinder nieder, begab sich aber, als er sah, daß die Papisten sich durch die Gunst
des Pfalzgrafen vermehrten, und ein Schwarm von Mönchen und besonders
von Jesuiten am Hofe erschien, nach Kassel,

Sein Geschäft wuchs, namentlich blühte sein Papierhandel, Damals 1688
faßte er den Plan, die Ereignisse seines Lebens seinen Nachkommen z" schildern.
Er that dies noch in demselben Jahre. Von 1689 an schrieb er Jahr für Jahr
die wichtigen Vorkommnisse auf und verband sie mit dem Vorhergehenden,
13 Kinder wurden ihm geboren, die Kinder verlassen ihn, um in die Fremde
zu gehen, mancher stirbt oder verdirbt. Enkel wachsen auf zu seiner Freude und
manches theure Familienglied hilft er begraben. Es ist ein einfach schlichtes
arbeitsames Bürgerleben, reich an Freude, reich aber auch an Leid, welches jene
einfachen Zeilen schildern, und rührend spricht die tiefe Frömmigkeit des Mannes
oft zu unserm Herzen, der um seines Glaubens willen Haus und Hos und Vater¬
land verließ.

1723 trat Estienne sein Geschäft an seinen Sohn Johann Samuel ab, blieb
aber im Hause des Sohnes wohnen. Gewissenhaft zeichnet er weiter Jahr für
Jahr die Familienereignisse aus. Glücklich konnte er im Jahre 1730 sein goldnes
Ehejubiläum feiern und einen Theil der Seinigen um sich versammelt sehen.
Kurze Zeit darauf, am 18. März 1732 schloß er die müden Augen. Seine
Gattin überlebte ihn nur um wenige Monate.

Johann Samuel, der die letzten Tage seiner Eltern beschrieben hat, machte
den Versuch die Denkwürdigkeiten fortzusetzen. Wir finden von ihm einige kurze
Bemerkungen bis zum Jahre 1736, in welchem er sich mit Demoiselle Louise
Artemise Charlotte Houel verheiratete. Dann folgt eine Lücke bis 17S0.

Unter diesem Jahre ist nur folgende Bemerkung eingetragen: "Es hat Gott
gefallen, den 23. Dec. 4 Uhr Nachmittags, meinen theuren Ehemann Johann
Samuel Estienne, nach einer kurzen viertägiger Krankheit, der Brustentzündung,
in sein heiliges Reich aufzunehmen. Er ist am 28. wie sein Vater und seine
Mutter beerdigt worden. Eine traurige Trennung, welche mich so lebhaft den
Verlust dieses theuren Freundes fühlen läßt. Aber, v Gott! Du bist es, der
mich schlägt, ich lege schweigend den Finger auf den Mund."

Damit endet das Manuseript, welches Estienues Denkwürdigkeiten enthält.

Welchen Plan der Verfasser verfolgte und wie er die Glaubwürdigkeit seiner
Erzählung angesehen wissen wollte, darüber hat er sich in der Einleitung, die
er an seine Kinder richtet, selbst ausgesprochen: "Da es Gott gefiel, mich seit
meiner Geburt mehrere merkwürdige Ereignisse, sowohl die Kirche als den Staat
betreffend, sehen zu lassen und da ich wie so mancher andere vielen Gefahren
ausgesetzt war, aus denen zu retten es dem guten Gotte gefiel, so habe ich einige


Grenzboten 11, 1881, 15.
Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Kinder nieder, begab sich aber, als er sah, daß die Papisten sich durch die Gunst
des Pfalzgrafen vermehrten, und ein Schwarm von Mönchen und besonders
von Jesuiten am Hofe erschien, nach Kassel,

Sein Geschäft wuchs, namentlich blühte sein Papierhandel, Damals 1688
faßte er den Plan, die Ereignisse seines Lebens seinen Nachkommen z» schildern.
Er that dies noch in demselben Jahre. Von 1689 an schrieb er Jahr für Jahr
die wichtigen Vorkommnisse auf und verband sie mit dem Vorhergehenden,
13 Kinder wurden ihm geboren, die Kinder verlassen ihn, um in die Fremde
zu gehen, mancher stirbt oder verdirbt. Enkel wachsen auf zu seiner Freude und
manches theure Familienglied hilft er begraben. Es ist ein einfach schlichtes
arbeitsames Bürgerleben, reich an Freude, reich aber auch an Leid, welches jene
einfachen Zeilen schildern, und rührend spricht die tiefe Frömmigkeit des Mannes
oft zu unserm Herzen, der um seines Glaubens willen Haus und Hos und Vater¬
land verließ.

1723 trat Estienne sein Geschäft an seinen Sohn Johann Samuel ab, blieb
aber im Hause des Sohnes wohnen. Gewissenhaft zeichnet er weiter Jahr für
Jahr die Familienereignisse aus. Glücklich konnte er im Jahre 1730 sein goldnes
Ehejubiläum feiern und einen Theil der Seinigen um sich versammelt sehen.
Kurze Zeit darauf, am 18. März 1732 schloß er die müden Augen. Seine
Gattin überlebte ihn nur um wenige Monate.

Johann Samuel, der die letzten Tage seiner Eltern beschrieben hat, machte
den Versuch die Denkwürdigkeiten fortzusetzen. Wir finden von ihm einige kurze
Bemerkungen bis zum Jahre 1736, in welchem er sich mit Demoiselle Louise
Artemise Charlotte Houel verheiratete. Dann folgt eine Lücke bis 17S0.

Unter diesem Jahre ist nur folgende Bemerkung eingetragen: „Es hat Gott
gefallen, den 23. Dec. 4 Uhr Nachmittags, meinen theuren Ehemann Johann
Samuel Estienne, nach einer kurzen viertägiger Krankheit, der Brustentzündung,
in sein heiliges Reich aufzunehmen. Er ist am 28. wie sein Vater und seine
Mutter beerdigt worden. Eine traurige Trennung, welche mich so lebhaft den
Verlust dieses theuren Freundes fühlen läßt. Aber, v Gott! Du bist es, der
mich schlägt, ich lege schweigend den Finger auf den Mund."

Damit endet das Manuseript, welches Estienues Denkwürdigkeiten enthält.

Welchen Plan der Verfasser verfolgte und wie er die Glaubwürdigkeit seiner
Erzählung angesehen wissen wollte, darüber hat er sich in der Einleitung, die
er an seine Kinder richtet, selbst ausgesprochen: „Da es Gott gefiel, mich seit
meiner Geburt mehrere merkwürdige Ereignisse, sowohl die Kirche als den Staat
betreffend, sehen zu lassen und da ich wie so mancher andere vielen Gefahren
ausgesetzt war, aus denen zu retten es dem guten Gotte gefiel, so habe ich einige


Grenzboten 11, 1881, 15.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/117>, abgerufen am 17.06.2024.