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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Politische Briefe.

für solche Personen, welchen die Wahrung dieser Räume und ihres Inhalts
obliegt. Die Wohnstätte der Hamburger wird der Kranz der Vorstädte sein,
nach denen sich auch das ganze Kleingeschäft ziehen wird, so daß nach der City
nur zu gehen braucht, wen das Geschäft des Großhandels dahin ruft. Die
Flecke werden nicht unfruchtbar, ihre Speicher nicht entwerthet werden. Wie
weit außerhalb dieser Räume noch Docks anzulegen sind, bleibt der Bestimmung
Hamburgs überlassen. Das Reich wird die Kosten solcher Docks und ähnlicher
Bauten zur Hälfte trage", jedoch nur bis zur Maximalsumme von 40 Millionen
Mark. Auch diese Bestimmung ist mit voller praktischer Umsicht getroffen. Wäh¬
rend dieselbe allen Klagen Hamburgs den Boden entzieht, lenkt sie den Sinn
der Hamburger auf die sorgsame Erwägung der Frage, wie weit sie neuer An¬
lagen bedürfen. Alle übrigen Bestimmungen sind mit dem größten Entgegen¬
kommen gegen Hamburg getroffen. Es sei davon nur noch erwähnt, die Fest¬
setzung des Eintrittstermins auf den lO.October 1888 und daß die Zollverwaltung
der Freihafengrcnze auf die hnmburgische Regierung übergeht.

Es ist wohl undenkbar, daß die hamburgische Bürgerschaft trotz der künstlich
geschaffnen Erregung der letzten Monate dem Abkommen die Zustimmung ver¬
sagen werde. Ebenso undenkbar sollte die Ablehmmg des Reichstages sein, wenn
mau nicht wüßte, daß die Gesammtvertretung der Nation bei ihrer jetzigen Zu¬
sammensetzung nachgerade in Gefahr ist, den Compaß der Nationalwohlfahrt,
nach welchem sie lediglich steuern sollte, gänzlich zu verlieren. Man wird über
die Rechtsfrage verhandeln, fragen, ob auf Hamburg ein Druck ausgeübt worden,
den der Particularismus einerseits, der Freihandel und der reine Enthusiasmus
für das Recht andrerseits rückgängig machen müssen u. s. w. Man wird auch
fragen, ob der eventuelle Preis von 40 Millionen Mark, dessen Aufbringung
dem "Steuerzahler" obliegt, nicht zu hoch sei für deu Gewinn von Hamburgs
Eintritt. So wird man fragen, ziehen und zerren, um wahrscheinlich mit Mühe
und Noth zu einer Majorität für die Genehmigung zu gelangen, vielleicht aber
anch, um diese Majorität um einige Stimmen zu verfehlen. Für oppositionelle
Wahlen wird die Rolle des Reichstags in der hamburgischen Frage indeß wohl
schwerlich Propaganda machen. Gerade an dieser Frage dürfte doch der Jn-
stinct der deutschen Nation für das Verständniß ihrer Lebensfragen sich wiederum
schärfen.

Betrachten wir noch einmal den Inhalt dieser hamburgischen Frage, sowie
die Vorgänge, welche zu ihrer endlichen Erledigung geführt haben.

Eine mühsam nach langer Zerrissenheit zunächst mehr formell und äußerlich
als durch el" entwickeltes System von Adern, Nerven und Gelenkbändern ge¬
einigte Nation Nagt schmerzlich seit Jahrhunderten über ihre mangelhafte Küsten-


Politische Briefe.

für solche Personen, welchen die Wahrung dieser Räume und ihres Inhalts
obliegt. Die Wohnstätte der Hamburger wird der Kranz der Vorstädte sein,
nach denen sich auch das ganze Kleingeschäft ziehen wird, so daß nach der City
nur zu gehen braucht, wen das Geschäft des Großhandels dahin ruft. Die
Flecke werden nicht unfruchtbar, ihre Speicher nicht entwerthet werden. Wie
weit außerhalb dieser Räume noch Docks anzulegen sind, bleibt der Bestimmung
Hamburgs überlassen. Das Reich wird die Kosten solcher Docks und ähnlicher
Bauten zur Hälfte trage», jedoch nur bis zur Maximalsumme von 40 Millionen
Mark. Auch diese Bestimmung ist mit voller praktischer Umsicht getroffen. Wäh¬
rend dieselbe allen Klagen Hamburgs den Boden entzieht, lenkt sie den Sinn
der Hamburger auf die sorgsame Erwägung der Frage, wie weit sie neuer An¬
lagen bedürfen. Alle übrigen Bestimmungen sind mit dem größten Entgegen¬
kommen gegen Hamburg getroffen. Es sei davon nur noch erwähnt, die Fest¬
setzung des Eintrittstermins auf den lO.October 1888 und daß die Zollverwaltung
der Freihafengrcnze auf die hnmburgische Regierung übergeht.

Es ist wohl undenkbar, daß die hamburgische Bürgerschaft trotz der künstlich
geschaffnen Erregung der letzten Monate dem Abkommen die Zustimmung ver¬
sagen werde. Ebenso undenkbar sollte die Ablehmmg des Reichstages sein, wenn
mau nicht wüßte, daß die Gesammtvertretung der Nation bei ihrer jetzigen Zu¬
sammensetzung nachgerade in Gefahr ist, den Compaß der Nationalwohlfahrt,
nach welchem sie lediglich steuern sollte, gänzlich zu verlieren. Man wird über
die Rechtsfrage verhandeln, fragen, ob auf Hamburg ein Druck ausgeübt worden,
den der Particularismus einerseits, der Freihandel und der reine Enthusiasmus
für das Recht andrerseits rückgängig machen müssen u. s. w. Man wird auch
fragen, ob der eventuelle Preis von 40 Millionen Mark, dessen Aufbringung
dem „Steuerzahler" obliegt, nicht zu hoch sei für deu Gewinn von Hamburgs
Eintritt. So wird man fragen, ziehen und zerren, um wahrscheinlich mit Mühe
und Noth zu einer Majorität für die Genehmigung zu gelangen, vielleicht aber
anch, um diese Majorität um einige Stimmen zu verfehlen. Für oppositionelle
Wahlen wird die Rolle des Reichstags in der hamburgischen Frage indeß wohl
schwerlich Propaganda machen. Gerade an dieser Frage dürfte doch der Jn-
stinct der deutschen Nation für das Verständniß ihrer Lebensfragen sich wiederum
schärfen.

Betrachten wir noch einmal den Inhalt dieser hamburgischen Frage, sowie
die Vorgänge, welche zu ihrer endlichen Erledigung geführt haben.

Eine mühsam nach langer Zerrissenheit zunächst mehr formell und äußerlich
als durch el» entwickeltes System von Adern, Nerven und Gelenkbändern ge¬
einigte Nation Nagt schmerzlich seit Jahrhunderten über ihre mangelhafte Küsten-


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[0431] Politische Briefe. für solche Personen, welchen die Wahrung dieser Räume und ihres Inhalts obliegt. Die Wohnstätte der Hamburger wird der Kranz der Vorstädte sein, nach denen sich auch das ganze Kleingeschäft ziehen wird, so daß nach der City nur zu gehen braucht, wen das Geschäft des Großhandels dahin ruft. Die Flecke werden nicht unfruchtbar, ihre Speicher nicht entwerthet werden. Wie weit außerhalb dieser Räume noch Docks anzulegen sind, bleibt der Bestimmung Hamburgs überlassen. Das Reich wird die Kosten solcher Docks und ähnlicher Bauten zur Hälfte trage», jedoch nur bis zur Maximalsumme von 40 Millionen Mark. Auch diese Bestimmung ist mit voller praktischer Umsicht getroffen. Wäh¬ rend dieselbe allen Klagen Hamburgs den Boden entzieht, lenkt sie den Sinn der Hamburger auf die sorgsame Erwägung der Frage, wie weit sie neuer An¬ lagen bedürfen. Alle übrigen Bestimmungen sind mit dem größten Entgegen¬ kommen gegen Hamburg getroffen. Es sei davon nur noch erwähnt, die Fest¬ setzung des Eintrittstermins auf den lO.October 1888 und daß die Zollverwaltung der Freihafengrcnze auf die hnmburgische Regierung übergeht. Es ist wohl undenkbar, daß die hamburgische Bürgerschaft trotz der künstlich geschaffnen Erregung der letzten Monate dem Abkommen die Zustimmung ver¬ sagen werde. Ebenso undenkbar sollte die Ablehmmg des Reichstages sein, wenn mau nicht wüßte, daß die Gesammtvertretung der Nation bei ihrer jetzigen Zu¬ sammensetzung nachgerade in Gefahr ist, den Compaß der Nationalwohlfahrt, nach welchem sie lediglich steuern sollte, gänzlich zu verlieren. Man wird über die Rechtsfrage verhandeln, fragen, ob auf Hamburg ein Druck ausgeübt worden, den der Particularismus einerseits, der Freihandel und der reine Enthusiasmus für das Recht andrerseits rückgängig machen müssen u. s. w. Man wird auch fragen, ob der eventuelle Preis von 40 Millionen Mark, dessen Aufbringung dem „Steuerzahler" obliegt, nicht zu hoch sei für deu Gewinn von Hamburgs Eintritt. So wird man fragen, ziehen und zerren, um wahrscheinlich mit Mühe und Noth zu einer Majorität für die Genehmigung zu gelangen, vielleicht aber anch, um diese Majorität um einige Stimmen zu verfehlen. Für oppositionelle Wahlen wird die Rolle des Reichstags in der hamburgischen Frage indeß wohl schwerlich Propaganda machen. Gerade an dieser Frage dürfte doch der Jn- stinct der deutschen Nation für das Verständniß ihrer Lebensfragen sich wiederum schärfen. Betrachten wir noch einmal den Inhalt dieser hamburgischen Frage, sowie die Vorgänge, welche zu ihrer endlichen Erledigung geführt haben. Eine mühsam nach langer Zerrissenheit zunächst mehr formell und äußerlich als durch el» entwickeltes System von Adern, Nerven und Gelenkbändern ge¬ einigte Nation Nagt schmerzlich seit Jahrhunderten über ihre mangelhafte Küsten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/431>, abgerufen am 27.05.2024.