Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Polens Zon'derizolmrl.

als ob er fürchte, mit dem deutschen Botschafter sei etwas nicht in Ordnung.
Das hat sich in London herumgesprochen, und der Graf hat am nächsten Tage
eine große Anzahl von Besuchen bekommen, die sich nach seiner Gesundheit er¬
kundigt haben. Später spricht er mit Beacvnsfield, und dieser zeigt sich Anfangs
sehr zähe und sogar ironisch. Er meint, was aus Irland werden sollte, wenn
England nicht seine schützende Hand darüber hielte? Er behauptet, Gibraltar
nicht aufgebe" zu können, ohne die theuersten Interessen der Menschheit zu ver¬
letzen; denn wer solle in solchem Falle für die hilfsbedürftigen Schmuggler sorgen,
und wer wurde die Prvnnneiamientos fördern, die dem englischen Handel so gute
Dienste leistete". Er versichert, daß die Engländer die einzigen wahren Träger
lind Förderer der Civilisation unter fremden Völkern seien, weist zum Beleg auf
Indien hin, wo die Felder brach liegen würden, wenn Britannia dort nicht die
Opiumeultur pflegte, und erklärt schließlich: "Wollen Sie auch nach diesem Hin¬
weis, daß wir Indien aufgeben, so bringen Sie die armen Chinesen um ihre
einzige Freude."

Münster aber läßt sich nicht verblüffen. Das Feilschen und Schächern des
edlen Lords und sein stetes Bestreben, sich durch allerlei Vorspiegelungen von
Humanitären Zielen der englischen Politik von der Verpflichtung zur Restitution
ihrer Anneetirnngen loszumachen, furcht ihm zwar die hohe Stirn mit den Falten
des Unmuths. Aber er verfolgt sein Ziel mit unerbittlicher Logik nud unter
gelegentlicher Berufung auf den Stolz Albions, das sich doch von Rußland nicht
übertreffen lassen werde, weiter, und siehe da, auch Beaeonsfield läßt sich schließlich
gewinnen, ja die Beredsamkeit des deutschen Botschafters bringt ihn zu dem Ge¬
ständnis? : "Wenn wir aber einmal das Prineip der Eroberung und Annexion
als unmoralisch erkennen, so müssen wir anch England räumen und nach der
Heimat von Hengist und Horsa zurückkehren, und dasselbe gilt von den Nor¬
mannen, die ja nicht weniger als wir gewaltsame Eindringlinge waren. Ich
finde mich gar nicht mehr zurecht und bitte Sie daher, uns einen Wohnsitz an¬
zuweisen."

Münster entspricht diesem Wunsche, indem er weissagt: die englischen Be¬
standtheile des britischen Volks räumen die sonnigen Gefilde Indiens und der
andern Colonien und kehren nach kurzer Rast in den Nebeln Englands nach
dem Lande der Angelsachsen zurück, die normännischen ziehen heim uach Skan¬
dinavien, die jüdischen nach der Gegend um Jernschälajim, da Milch und Honig
fließet. "Aber auch wir schütteln," so fährt der Botschafter dann, von der Große
des Moments ergriffen und über seine Instruction hinausgehoben, fort, "den
Staub von unsern Füßen und kehren zurück uach unsrer wahren Heimat, von
wo wir einst ausgezogen sind auf den Pfad der Gewalt und Eroberung; denn


Polens Zon'derizolmrl.

als ob er fürchte, mit dem deutschen Botschafter sei etwas nicht in Ordnung.
Das hat sich in London herumgesprochen, und der Graf hat am nächsten Tage
eine große Anzahl von Besuchen bekommen, die sich nach seiner Gesundheit er¬
kundigt haben. Später spricht er mit Beacvnsfield, und dieser zeigt sich Anfangs
sehr zähe und sogar ironisch. Er meint, was aus Irland werden sollte, wenn
England nicht seine schützende Hand darüber hielte? Er behauptet, Gibraltar
nicht aufgebe» zu können, ohne die theuersten Interessen der Menschheit zu ver¬
letzen; denn wer solle in solchem Falle für die hilfsbedürftigen Schmuggler sorgen,
und wer wurde die Prvnnneiamientos fördern, die dem englischen Handel so gute
Dienste leistete». Er versichert, daß die Engländer die einzigen wahren Träger
lind Förderer der Civilisation unter fremden Völkern seien, weist zum Beleg auf
Indien hin, wo die Felder brach liegen würden, wenn Britannia dort nicht die
Opiumeultur pflegte, und erklärt schließlich: „Wollen Sie auch nach diesem Hin¬
weis, daß wir Indien aufgeben, so bringen Sie die armen Chinesen um ihre
einzige Freude."

Münster aber läßt sich nicht verblüffen. Das Feilschen und Schächern des
edlen Lords und sein stetes Bestreben, sich durch allerlei Vorspiegelungen von
Humanitären Zielen der englischen Politik von der Verpflichtung zur Restitution
ihrer Anneetirnngen loszumachen, furcht ihm zwar die hohe Stirn mit den Falten
des Unmuths. Aber er verfolgt sein Ziel mit unerbittlicher Logik nud unter
gelegentlicher Berufung auf den Stolz Albions, das sich doch von Rußland nicht
übertreffen lassen werde, weiter, und siehe da, auch Beaeonsfield läßt sich schließlich
gewinnen, ja die Beredsamkeit des deutschen Botschafters bringt ihn zu dem Ge¬
ständnis? : „Wenn wir aber einmal das Prineip der Eroberung und Annexion
als unmoralisch erkennen, so müssen wir anch England räumen und nach der
Heimat von Hengist und Horsa zurückkehren, und dasselbe gilt von den Nor¬
mannen, die ja nicht weniger als wir gewaltsame Eindringlinge waren. Ich
finde mich gar nicht mehr zurecht und bitte Sie daher, uns einen Wohnsitz an¬
zuweisen."

Münster entspricht diesem Wunsche, indem er weissagt: die englischen Be¬
standtheile des britischen Volks räumen die sonnigen Gefilde Indiens und der
andern Colonien und kehren nach kurzer Rast in den Nebeln Englands nach
dem Lande der Angelsachsen zurück, die normännischen ziehen heim uach Skan¬
dinavien, die jüdischen nach der Gegend um Jernschälajim, da Milch und Honig
fließet. „Aber auch wir schütteln," so fährt der Botschafter dann, von der Große
des Moments ergriffen und über seine Instruction hinausgehoben, fort, „den
Staub von unsern Füßen und kehren zurück uach unsrer wahren Heimat, von
wo wir einst ausgezogen sind auf den Pfad der Gewalt und Eroberung; denn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150092"/>
          <fw type="header" place="top"> Polens Zon'derizolmrl.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1732" prev="#ID_1731"> als ob er fürchte, mit dem deutschen Botschafter sei etwas nicht in Ordnung.<lb/>
Das hat sich in London herumgesprochen, und der Graf hat am nächsten Tage<lb/>
eine große Anzahl von Besuchen bekommen, die sich nach seiner Gesundheit er¬<lb/>
kundigt haben. Später spricht er mit Beacvnsfield, und dieser zeigt sich Anfangs<lb/>
sehr zähe und sogar ironisch. Er meint, was aus Irland werden sollte, wenn<lb/>
England nicht seine schützende Hand darüber hielte? Er behauptet, Gibraltar<lb/>
nicht aufgebe» zu können, ohne die theuersten Interessen der Menschheit zu ver¬<lb/>
letzen; denn wer solle in solchem Falle für die hilfsbedürftigen Schmuggler sorgen,<lb/>
und wer wurde die Prvnnneiamientos fördern, die dem englischen Handel so gute<lb/>
Dienste leistete». Er versichert, daß die Engländer die einzigen wahren Träger<lb/>
lind Förderer der Civilisation unter fremden Völkern seien, weist zum Beleg auf<lb/>
Indien hin, wo die Felder brach liegen würden, wenn Britannia dort nicht die<lb/>
Opiumeultur pflegte, und erklärt schließlich: &#x201E;Wollen Sie auch nach diesem Hin¬<lb/>
weis, daß wir Indien aufgeben, so bringen Sie die armen Chinesen um ihre<lb/>
einzige Freude."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1733"> Münster aber läßt sich nicht verblüffen. Das Feilschen und Schächern des<lb/>
edlen Lords und sein stetes Bestreben, sich durch allerlei Vorspiegelungen von<lb/>
Humanitären Zielen der englischen Politik von der Verpflichtung zur Restitution<lb/>
ihrer Anneetirnngen loszumachen, furcht ihm zwar die hohe Stirn mit den Falten<lb/>
des Unmuths. Aber er verfolgt sein Ziel mit unerbittlicher Logik nud unter<lb/>
gelegentlicher Berufung auf den Stolz Albions, das sich doch von Rußland nicht<lb/>
übertreffen lassen werde, weiter, und siehe da, auch Beaeonsfield läßt sich schließlich<lb/>
gewinnen, ja die Beredsamkeit des deutschen Botschafters bringt ihn zu dem Ge¬<lb/>
ständnis? : &#x201E;Wenn wir aber einmal das Prineip der Eroberung und Annexion<lb/>
als unmoralisch erkennen, so müssen wir anch England räumen und nach der<lb/>
Heimat von Hengist und Horsa zurückkehren, und dasselbe gilt von den Nor¬<lb/>
mannen, die ja nicht weniger als wir gewaltsame Eindringlinge waren. Ich<lb/>
finde mich gar nicht mehr zurecht und bitte Sie daher, uns einen Wohnsitz an¬<lb/>
zuweisen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1734" next="#ID_1735"> Münster entspricht diesem Wunsche, indem er weissagt: die englischen Be¬<lb/>
standtheile des britischen Volks räumen die sonnigen Gefilde Indiens und der<lb/>
andern Colonien und kehren nach kurzer Rast in den Nebeln Englands nach<lb/>
dem Lande der Angelsachsen zurück, die normännischen ziehen heim uach Skan¬<lb/>
dinavien, die jüdischen nach der Gegend um Jernschälajim, da Milch und Honig<lb/>
fließet. &#x201E;Aber auch wir schütteln," so fährt der Botschafter dann, von der Große<lb/>
des Moments ergriffen und über seine Instruction hinausgehoben, fort, &#x201E;den<lb/>
Staub von unsern Füßen und kehren zurück uach unsrer wahren Heimat, von<lb/>
wo wir einst ausgezogen sind auf den Pfad der Gewalt und Eroberung; denn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Polens Zon'derizolmrl. als ob er fürchte, mit dem deutschen Botschafter sei etwas nicht in Ordnung. Das hat sich in London herumgesprochen, und der Graf hat am nächsten Tage eine große Anzahl von Besuchen bekommen, die sich nach seiner Gesundheit er¬ kundigt haben. Später spricht er mit Beacvnsfield, und dieser zeigt sich Anfangs sehr zähe und sogar ironisch. Er meint, was aus Irland werden sollte, wenn England nicht seine schützende Hand darüber hielte? Er behauptet, Gibraltar nicht aufgebe» zu können, ohne die theuersten Interessen der Menschheit zu ver¬ letzen; denn wer solle in solchem Falle für die hilfsbedürftigen Schmuggler sorgen, und wer wurde die Prvnnneiamientos fördern, die dem englischen Handel so gute Dienste leistete». Er versichert, daß die Engländer die einzigen wahren Träger lind Förderer der Civilisation unter fremden Völkern seien, weist zum Beleg auf Indien hin, wo die Felder brach liegen würden, wenn Britannia dort nicht die Opiumeultur pflegte, und erklärt schließlich: „Wollen Sie auch nach diesem Hin¬ weis, daß wir Indien aufgeben, so bringen Sie die armen Chinesen um ihre einzige Freude." Münster aber läßt sich nicht verblüffen. Das Feilschen und Schächern des edlen Lords und sein stetes Bestreben, sich durch allerlei Vorspiegelungen von Humanitären Zielen der englischen Politik von der Verpflichtung zur Restitution ihrer Anneetirnngen loszumachen, furcht ihm zwar die hohe Stirn mit den Falten des Unmuths. Aber er verfolgt sein Ziel mit unerbittlicher Logik nud unter gelegentlicher Berufung auf den Stolz Albions, das sich doch von Rußland nicht übertreffen lassen werde, weiter, und siehe da, auch Beaeonsfield läßt sich schließlich gewinnen, ja die Beredsamkeit des deutschen Botschafters bringt ihn zu dem Ge¬ ständnis? : „Wenn wir aber einmal das Prineip der Eroberung und Annexion als unmoralisch erkennen, so müssen wir anch England räumen und nach der Heimat von Hengist und Horsa zurückkehren, und dasselbe gilt von den Nor¬ mannen, die ja nicht weniger als wir gewaltsame Eindringlinge waren. Ich finde mich gar nicht mehr zurecht und bitte Sie daher, uns einen Wohnsitz an¬ zuweisen." Münster entspricht diesem Wunsche, indem er weissagt: die englischen Be¬ standtheile des britischen Volks räumen die sonnigen Gefilde Indiens und der andern Colonien und kehren nach kurzer Rast in den Nebeln Englands nach dem Lande der Angelsachsen zurück, die normännischen ziehen heim uach Skan¬ dinavien, die jüdischen nach der Gegend um Jernschälajim, da Milch und Honig fließet. „Aber auch wir schütteln," so fährt der Botschafter dann, von der Große des Moments ergriffen und über seine Instruction hinausgehoben, fort, „den Staub von unsern Füßen und kehren zurück uach unsrer wahren Heimat, von wo wir einst ausgezogen sind auf den Pfad der Gewalt und Eroberung; denn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/520>, abgerufen am 10.06.2024.