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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

Nach den beigebrachten Zeugnissen kann kein Zweifel darüber obwalte",
daß der König die Auffassung Steins theilte. Seit der Nachricht von der Nieder¬
lage der Franzosen in Spanien dachte man in Königsberg an einen System¬
wechsel. Man war mit England in Verbindung getreten, man näherte sich
Oesterreich, man verweigerte anfänglich die Ratification des Vertrages vom
8. September. Alle diese Schritte zeigen die Absicht einer Frontvcränderung.
Allein ohne die Theilnahme Oesterreichs war die kriegerische Action Preußens
eine Unmöglichkeit. Die ganze Politik Preußens ruhte auf der Annahme, daß
Kaiser Franz noch im Herbst 1808 den Krieg beginnen werde. Die österreichische
Regierung aber zögerte nnter dem Einflüsse des Erzherzogs Karl, der die Ent¬
scheidung so lange wie möglich hinauszuschieben suchte, und die Rüstungen ge-
riethen ins Stocken. Lucey überzeugte sich, daß es noch geraumer Zeit be¬
dürfen würde, bevor die österreichische Armee schlagfertig sei. Alle Berichte aus
Wien stimmten dahin überein, daß auf eine baldige Kriegserklärung Oesterreichs
gegen Napoleon nicht zu rechnen sei. Die Unterhandlungen Götzens endlich
hatten nach keiner Seite hin zu einem Resultate geführt. Erzherzog Maximilian
ließ die Denkschrift Götzens vom 7. Oetober unbeantwortet. Erzherzog Fer¬
dinand richtete an den Verfasser ein Schreiben, in welchem er den Grundge¬
danken desselben, die engere Verbindung zwischen Oesterreich und Preußen, zwar
nicht von der Hand wies, aber sehr bestimmt erklärte, daß er nicht imstande sei,
auf die Beschlüsse der Regierung irgendwelchen Einfluß auszuüben.

Freilich hatte sich inzwischen ein anderer Weg eröffnet, auf welchem die
Mittheilungen aus Glanz in das kaiserliche Cabinet gelangten. Mit geheimen
Aufträgen Götzens nach Wien gesandt, war der Hauptmann von Tiedemann
durch Vermittelung Luceys am 14. October vom Erzherzoge Karl empfangen
worden. Der letztere las das Memoire, von dem Tiedemann ihm eine Abschrift
vorlegte, mit sichtlichem Interesse. "Nach allem, was ich von dem Erzherzoge
gehört habe," schreibt Tiedemann, "wunderte ich mich wirklich darüber, daß er
sich im Laufe der Unterredung, die wohl eine halbe Stunde währte, doch etwas
erwärmte. Besonders gut wirkte die Liste der Regimenter, aus welcher sich die
Stärke unsrer Armee ergiebt. Man hatte sie für viel geringer gehalten." Die
Identität der Interessen Oesterreichs und Preußens, sagte der Erzherzog, werde
von dem ganzen österreichischen Ministerium anerkannt. Er bat Tiedemann, ihm
das Memoire dazulassen, damit er es in Preßburg dem Kaiser vorlegen könne,
und versprach, nach wenigen Tagen Bescheid darauf zu ertheilen. Allein die
Zeit verstrich, ohne daß aus Preßburg eine Antwort erfolgte. Der Grund des
Schweigens liegt nach Hassels Vermuthung wohl darin, daß der Erzherzog in¬
zwischen den Bericht des Generals Bubna über das Gespräch oder die Gespräche
(denn es scheinen mehrere Zusammenkünfte der Art stattgefunden zu haben) in
der Otteudvrfer Mühle erhalten hatte, einen Bericht, der in ganz anderen Geiste
abgefaßt war, als Götzen erwartet hatte. Letzterer hatte bei jener Unterredung


Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

Nach den beigebrachten Zeugnissen kann kein Zweifel darüber obwalte»,
daß der König die Auffassung Steins theilte. Seit der Nachricht von der Nieder¬
lage der Franzosen in Spanien dachte man in Königsberg an einen System¬
wechsel. Man war mit England in Verbindung getreten, man näherte sich
Oesterreich, man verweigerte anfänglich die Ratification des Vertrages vom
8. September. Alle diese Schritte zeigen die Absicht einer Frontvcränderung.
Allein ohne die Theilnahme Oesterreichs war die kriegerische Action Preußens
eine Unmöglichkeit. Die ganze Politik Preußens ruhte auf der Annahme, daß
Kaiser Franz noch im Herbst 1808 den Krieg beginnen werde. Die österreichische
Regierung aber zögerte nnter dem Einflüsse des Erzherzogs Karl, der die Ent¬
scheidung so lange wie möglich hinauszuschieben suchte, und die Rüstungen ge-
riethen ins Stocken. Lucey überzeugte sich, daß es noch geraumer Zeit be¬
dürfen würde, bevor die österreichische Armee schlagfertig sei. Alle Berichte aus
Wien stimmten dahin überein, daß auf eine baldige Kriegserklärung Oesterreichs
gegen Napoleon nicht zu rechnen sei. Die Unterhandlungen Götzens endlich
hatten nach keiner Seite hin zu einem Resultate geführt. Erzherzog Maximilian
ließ die Denkschrift Götzens vom 7. Oetober unbeantwortet. Erzherzog Fer¬
dinand richtete an den Verfasser ein Schreiben, in welchem er den Grundge¬
danken desselben, die engere Verbindung zwischen Oesterreich und Preußen, zwar
nicht von der Hand wies, aber sehr bestimmt erklärte, daß er nicht imstande sei,
auf die Beschlüsse der Regierung irgendwelchen Einfluß auszuüben.

Freilich hatte sich inzwischen ein anderer Weg eröffnet, auf welchem die
Mittheilungen aus Glanz in das kaiserliche Cabinet gelangten. Mit geheimen
Aufträgen Götzens nach Wien gesandt, war der Hauptmann von Tiedemann
durch Vermittelung Luceys am 14. October vom Erzherzoge Karl empfangen
worden. Der letztere las das Memoire, von dem Tiedemann ihm eine Abschrift
vorlegte, mit sichtlichem Interesse. „Nach allem, was ich von dem Erzherzoge
gehört habe," schreibt Tiedemann, „wunderte ich mich wirklich darüber, daß er
sich im Laufe der Unterredung, die wohl eine halbe Stunde währte, doch etwas
erwärmte. Besonders gut wirkte die Liste der Regimenter, aus welcher sich die
Stärke unsrer Armee ergiebt. Man hatte sie für viel geringer gehalten." Die
Identität der Interessen Oesterreichs und Preußens, sagte der Erzherzog, werde
von dem ganzen österreichischen Ministerium anerkannt. Er bat Tiedemann, ihm
das Memoire dazulassen, damit er es in Preßburg dem Kaiser vorlegen könne,
und versprach, nach wenigen Tagen Bescheid darauf zu ertheilen. Allein die
Zeit verstrich, ohne daß aus Preßburg eine Antwort erfolgte. Der Grund des
Schweigens liegt nach Hassels Vermuthung wohl darin, daß der Erzherzog in¬
zwischen den Bericht des Generals Bubna über das Gespräch oder die Gespräche
(denn es scheinen mehrere Zusammenkünfte der Art stattgefunden zu haben) in
der Otteudvrfer Mühle erhalten hatte, einen Bericht, der in ganz anderen Geiste
abgefaßt war, als Götzen erwartet hatte. Letzterer hatte bei jener Unterredung


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[0109] Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden. Nach den beigebrachten Zeugnissen kann kein Zweifel darüber obwalte», daß der König die Auffassung Steins theilte. Seit der Nachricht von der Nieder¬ lage der Franzosen in Spanien dachte man in Königsberg an einen System¬ wechsel. Man war mit England in Verbindung getreten, man näherte sich Oesterreich, man verweigerte anfänglich die Ratification des Vertrages vom 8. September. Alle diese Schritte zeigen die Absicht einer Frontvcränderung. Allein ohne die Theilnahme Oesterreichs war die kriegerische Action Preußens eine Unmöglichkeit. Die ganze Politik Preußens ruhte auf der Annahme, daß Kaiser Franz noch im Herbst 1808 den Krieg beginnen werde. Die österreichische Regierung aber zögerte nnter dem Einflüsse des Erzherzogs Karl, der die Ent¬ scheidung so lange wie möglich hinauszuschieben suchte, und die Rüstungen ge- riethen ins Stocken. Lucey überzeugte sich, daß es noch geraumer Zeit be¬ dürfen würde, bevor die österreichische Armee schlagfertig sei. Alle Berichte aus Wien stimmten dahin überein, daß auf eine baldige Kriegserklärung Oesterreichs gegen Napoleon nicht zu rechnen sei. Die Unterhandlungen Götzens endlich hatten nach keiner Seite hin zu einem Resultate geführt. Erzherzog Maximilian ließ die Denkschrift Götzens vom 7. Oetober unbeantwortet. Erzherzog Fer¬ dinand richtete an den Verfasser ein Schreiben, in welchem er den Grundge¬ danken desselben, die engere Verbindung zwischen Oesterreich und Preußen, zwar nicht von der Hand wies, aber sehr bestimmt erklärte, daß er nicht imstande sei, auf die Beschlüsse der Regierung irgendwelchen Einfluß auszuüben. Freilich hatte sich inzwischen ein anderer Weg eröffnet, auf welchem die Mittheilungen aus Glanz in das kaiserliche Cabinet gelangten. Mit geheimen Aufträgen Götzens nach Wien gesandt, war der Hauptmann von Tiedemann durch Vermittelung Luceys am 14. October vom Erzherzoge Karl empfangen worden. Der letztere las das Memoire, von dem Tiedemann ihm eine Abschrift vorlegte, mit sichtlichem Interesse. „Nach allem, was ich von dem Erzherzoge gehört habe," schreibt Tiedemann, „wunderte ich mich wirklich darüber, daß er sich im Laufe der Unterredung, die wohl eine halbe Stunde währte, doch etwas erwärmte. Besonders gut wirkte die Liste der Regimenter, aus welcher sich die Stärke unsrer Armee ergiebt. Man hatte sie für viel geringer gehalten." Die Identität der Interessen Oesterreichs und Preußens, sagte der Erzherzog, werde von dem ganzen österreichischen Ministerium anerkannt. Er bat Tiedemann, ihm das Memoire dazulassen, damit er es in Preßburg dem Kaiser vorlegen könne, und versprach, nach wenigen Tagen Bescheid darauf zu ertheilen. Allein die Zeit verstrich, ohne daß aus Preßburg eine Antwort erfolgte. Der Grund des Schweigens liegt nach Hassels Vermuthung wohl darin, daß der Erzherzog in¬ zwischen den Bericht des Generals Bubna über das Gespräch oder die Gespräche (denn es scheinen mehrere Zusammenkünfte der Art stattgefunden zu haben) in der Otteudvrfer Mühle erhalten hatte, einen Bericht, der in ganz anderen Geiste abgefaßt war, als Götzen erwartet hatte. Letzterer hatte bei jener Unterredung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/109>, abgerufen am 29.05.2024.