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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dem Tilstter Frieden.

einige unvorsichtige und exaltirte Aeußerungen fallen lassen, die der von ihm
vertretenen Sache umsomehr zum Nachtheile gereichten, als Bubna, ein entschie¬
dener Gegner Preußens, der von den "sonst so stolzen und prahlerischer Preußen"
spricht, die "nun so klein, so herab gestimmt sind, daß sie nur nach Erlösung
seufzen," sich eifrig bemühte, die Person Götzens beim Erzherzog in Mißcredit
zu bringen. Von glühendem Hasse gegen die Anhänger einer Allianz mit Frank¬
reich erfüllt, hatte Götzen dem Oesterreicher ein düsteres Bild von dem Kampfe
der Parteien am preußischen Hofe entworfen und dabei übertreibend bemerkt,
es werde nichts anderes übrig bleiben, als sich der Gegner des Kriegs mit Na¬
poleon mit Gewalt zu entledigen. Er hatte sogar von Köpfen gesprochen, die
springen müßten, und der Feldmarschall Kalckreuth war von ihm als der erste
unter denen bezeichnet worden, die dem Tode geweiht seien. "Ich gestehe," schreibt
Bubna, "daß diese Confidenz mich unangenehm überrascht hat, denn die Allianzen
der Factionen sind immer schwankend." Auch die Pläne der Organisirung des
Volkskriegs, über welche sich Götzen des weiteren ausgelassen hatte, gefielen dem
Militär aus der alten Schule nicht, der nur von regelrechter Kriegführung etwas
wissen wollte; er hielt sie sür chimärisch, und vielleicht mit Recht. Er meinte,
Götzen werde den Krieg, bei seinem Hang zum Detailkrieg, wie 1807 als einen
"Lentnnntskrieg" führen. Er sagt von der ganzen Darstellung des preußischen
Kameraden: "Etwas von dieser Schilderung, die uns den preußischen Staat in
einer solchen Krisis wie einstens Polen vor der letzten Theilung zeigt, kann
man immerhin auf Rechnung des vehementen Charakters des Grafen Götzen,
der nicht selten über die unbedeutendsten Dinge mit ausgesuchten Umschreibungen
der Rede spricht, um die Nichtigkeit der Sache zu erheben, und vielleicht auch
auf Rechnung einiger andern Persönlichkeiten setzen," unter denen er Wohl Stein
und Scharnhorst verstanden hat. Im ganzen hatte er kein Vertrauen zu den
preußischen Vorschlügen, und der Erzherzog wird ihm Recht gegeben haben. Es
war also für jetzt wenigstens von Oesterreich nichts zu hoffen.

In dem Vertrage vom 8. September war aber für die Auswechselung der
Ratificationen ein Zeitraum von vier Wochen festgesetzt worden. Durfte man
diese Frist auf die Gefahr hin verstreichen lassen, daß Napoleon die Härte seiner
Bedingungen noch steigerte? Dasselbe Gebot der Nothwendigkeit, das den Prinzen
Wilhelm zur Annahme des Vertrages geführt hatte, war auch die Veranlassung
gewesen, wenn Friedrich Wilhelm schließlich dessen Ratification vollzogen hatte.
Aber eine Sinnesänderung war damit beim Könige nicht eingetreten. Erst durch
die Entscheidung in Erfurt wurde die preußische Politik von neuem in das System
der russisch-französischen Allianz verflochten.




Aus der Zeit nach dem Tilstter Frieden.

einige unvorsichtige und exaltirte Aeußerungen fallen lassen, die der von ihm
vertretenen Sache umsomehr zum Nachtheile gereichten, als Bubna, ein entschie¬
dener Gegner Preußens, der von den „sonst so stolzen und prahlerischer Preußen"
spricht, die „nun so klein, so herab gestimmt sind, daß sie nur nach Erlösung
seufzen," sich eifrig bemühte, die Person Götzens beim Erzherzog in Mißcredit
zu bringen. Von glühendem Hasse gegen die Anhänger einer Allianz mit Frank¬
reich erfüllt, hatte Götzen dem Oesterreicher ein düsteres Bild von dem Kampfe
der Parteien am preußischen Hofe entworfen und dabei übertreibend bemerkt,
es werde nichts anderes übrig bleiben, als sich der Gegner des Kriegs mit Na¬
poleon mit Gewalt zu entledigen. Er hatte sogar von Köpfen gesprochen, die
springen müßten, und der Feldmarschall Kalckreuth war von ihm als der erste
unter denen bezeichnet worden, die dem Tode geweiht seien. „Ich gestehe," schreibt
Bubna, „daß diese Confidenz mich unangenehm überrascht hat, denn die Allianzen
der Factionen sind immer schwankend." Auch die Pläne der Organisirung des
Volkskriegs, über welche sich Götzen des weiteren ausgelassen hatte, gefielen dem
Militär aus der alten Schule nicht, der nur von regelrechter Kriegführung etwas
wissen wollte; er hielt sie sür chimärisch, und vielleicht mit Recht. Er meinte,
Götzen werde den Krieg, bei seinem Hang zum Detailkrieg, wie 1807 als einen
„Lentnnntskrieg" führen. Er sagt von der ganzen Darstellung des preußischen
Kameraden: „Etwas von dieser Schilderung, die uns den preußischen Staat in
einer solchen Krisis wie einstens Polen vor der letzten Theilung zeigt, kann
man immerhin auf Rechnung des vehementen Charakters des Grafen Götzen,
der nicht selten über die unbedeutendsten Dinge mit ausgesuchten Umschreibungen
der Rede spricht, um die Nichtigkeit der Sache zu erheben, und vielleicht auch
auf Rechnung einiger andern Persönlichkeiten setzen," unter denen er Wohl Stein
und Scharnhorst verstanden hat. Im ganzen hatte er kein Vertrauen zu den
preußischen Vorschlügen, und der Erzherzog wird ihm Recht gegeben haben. Es
war also für jetzt wenigstens von Oesterreich nichts zu hoffen.

In dem Vertrage vom 8. September war aber für die Auswechselung der
Ratificationen ein Zeitraum von vier Wochen festgesetzt worden. Durfte man
diese Frist auf die Gefahr hin verstreichen lassen, daß Napoleon die Härte seiner
Bedingungen noch steigerte? Dasselbe Gebot der Nothwendigkeit, das den Prinzen
Wilhelm zur Annahme des Vertrages geführt hatte, war auch die Veranlassung
gewesen, wenn Friedrich Wilhelm schließlich dessen Ratification vollzogen hatte.
Aber eine Sinnesänderung war damit beim Könige nicht eingetreten. Erst durch
die Entscheidung in Erfurt wurde die preußische Politik von neuem in das System
der russisch-französischen Allianz verflochten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/110>, abgerufen am 15.05.2024.