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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Briefe der Freifrau von Bunsen.

unter der sorgfältigen Erziehung ihrer Mutter ihre nicht gewöhnlichen Anlagen
glücklich entfaltete. Weitere Anregung empfing sie später durch gründlichen Unter¬
richt in London und Edinliurg, so daß sie, als sie 1310 in die Stille von
Llanover zurückkehrte, sich mit erneutem Eifer sowohl ihren Studien wie der
Erziehung ihrer jüngeren Schwestern widmen konnte, Sie selbst berichtet in
ihrem Tagebuche! "Da nun endlich unsre Bücher aus Edinburg angekommen
sind, kann ich mit meinen Studien im Griechischen, Lateinischen, Spanischen,
Italienischen, im Euklid und in Smiths ^VsMn ok Meinens fortfahren; außer¬
dem spiele ich Clavier, zeichne und arbeite, treibe mit Emily Italienisch, lehre
sie sticken und unterrichte Augusta im Rechnen und Zeichnen, in der Geographie
und Musik. Natürlich kann ich nicht immer alles an einem Tage fertig bringen,
aber in diesem Falle suche ich das Versäumte am zweiten Tage wieder gut zu
machen."

Im Jahre 1816 entschlossen sich Mr. und Mrs. Waddington, den Winter
in Italien zuzubringen. Frances begrüßte mit Begeisterung diese Reise als den
Anfang eines neuen Lebens. Sie ahnte, als sie von der Heimat schied, nicht,
daß dreiundzwanzig Jahre vorübergehen würden, ehe sie sie wiedersehen sollte.

Im Palazzo Gavotti, in welchem die Familie Waddington ihren Aufent¬
halt während des Winters in Rom aufgeschlagen hatte, machte Frances die Be¬
kanntschaft Bunsens, den seine Studien nach Rom geführt hatten. Er trat der
Familie näher, und als im Frühjahr 1817 Mr. Waddington an die Heimreise
dachte, trat Bunsen in seiner Seelenangst vor der nahe bevorstehenden Trennung
vor Mrs. Waddingtvn, um ihr seine Liebe zu ihrem Kinde zu offenbaren. Der
Vater war nicht wenig über diese Wendung erschrocken. Er wandte sich an
Niebuhr um Rath bei der unerwarteten Wendung der Dinge. Niebuhr ant¬
wortete: "Bunsens Begabung, Geistesanlagen und Charakter sind ein Capital,
auf das mehr zu bauen ist als auf jedes andre, sei es auch noch so sicher au¬
gelegt, und hätte ich selbst eine Tochter, mit Freuden würde ich sie solch einem Manne
anvertrauen." Denselben Abend, nachdem er die Einwilligung der Eltern erhalten,
auf den Stufen des Kreuzes, das seit Jahrhunderten im Colosseum die Todes¬
stelle so vieler christlichen Märtyrer bezeichnet, fragte Bunsen Frances Waddington,
°b sie sein Weib werden wolle. "Da erbebte jede Saite ihres Wesens und sie
wurde mit einem Male gewahr, daß ihr Leben ohne ihn die Hälfte seines Zau¬
bers verlieren würde."

Am 1. Juli 1817 fand die Trauung der Verlobten in der alterthümlichen
Capelle des Palazzo Savelli, welchen damals Niebuhr bewohnte, statt. In
Frascati nahm das neuvermählte Paar seine erste Wohnung. "Ich kann," schrieb
Frances am 19. September 1817 von hier an ihre Mutter, "Dir versichern,
daß ich täglich mein Dasein vollkommener und beständiger genieße. Ich bediene
mich dieses Ausdruckes, da er für meine Mutter, die mich kennt, mehr Bedeu¬
tung hat, als wenn ich bloß sage: ich sei glücklich, da dadurch die Behaglichkeit


Grmzbuten IV. 1881. 15
Die Briefe der Freifrau von Bunsen.

unter der sorgfältigen Erziehung ihrer Mutter ihre nicht gewöhnlichen Anlagen
glücklich entfaltete. Weitere Anregung empfing sie später durch gründlichen Unter¬
richt in London und Edinliurg, so daß sie, als sie 1310 in die Stille von
Llanover zurückkehrte, sich mit erneutem Eifer sowohl ihren Studien wie der
Erziehung ihrer jüngeren Schwestern widmen konnte, Sie selbst berichtet in
ihrem Tagebuche! „Da nun endlich unsre Bücher aus Edinburg angekommen
sind, kann ich mit meinen Studien im Griechischen, Lateinischen, Spanischen,
Italienischen, im Euklid und in Smiths ^VsMn ok Meinens fortfahren; außer¬
dem spiele ich Clavier, zeichne und arbeite, treibe mit Emily Italienisch, lehre
sie sticken und unterrichte Augusta im Rechnen und Zeichnen, in der Geographie
und Musik. Natürlich kann ich nicht immer alles an einem Tage fertig bringen,
aber in diesem Falle suche ich das Versäumte am zweiten Tage wieder gut zu
machen."

Im Jahre 1816 entschlossen sich Mr. und Mrs. Waddington, den Winter
in Italien zuzubringen. Frances begrüßte mit Begeisterung diese Reise als den
Anfang eines neuen Lebens. Sie ahnte, als sie von der Heimat schied, nicht,
daß dreiundzwanzig Jahre vorübergehen würden, ehe sie sie wiedersehen sollte.

Im Palazzo Gavotti, in welchem die Familie Waddington ihren Aufent¬
halt während des Winters in Rom aufgeschlagen hatte, machte Frances die Be¬
kanntschaft Bunsens, den seine Studien nach Rom geführt hatten. Er trat der
Familie näher, und als im Frühjahr 1817 Mr. Waddington an die Heimreise
dachte, trat Bunsen in seiner Seelenangst vor der nahe bevorstehenden Trennung
vor Mrs. Waddingtvn, um ihr seine Liebe zu ihrem Kinde zu offenbaren. Der
Vater war nicht wenig über diese Wendung erschrocken. Er wandte sich an
Niebuhr um Rath bei der unerwarteten Wendung der Dinge. Niebuhr ant¬
wortete: „Bunsens Begabung, Geistesanlagen und Charakter sind ein Capital,
auf das mehr zu bauen ist als auf jedes andre, sei es auch noch so sicher au¬
gelegt, und hätte ich selbst eine Tochter, mit Freuden würde ich sie solch einem Manne
anvertrauen." Denselben Abend, nachdem er die Einwilligung der Eltern erhalten,
auf den Stufen des Kreuzes, das seit Jahrhunderten im Colosseum die Todes¬
stelle so vieler christlichen Märtyrer bezeichnet, fragte Bunsen Frances Waddington,
°b sie sein Weib werden wolle. „Da erbebte jede Saite ihres Wesens und sie
wurde mit einem Male gewahr, daß ihr Leben ohne ihn die Hälfte seines Zau¬
bers verlieren würde."

Am 1. Juli 1817 fand die Trauung der Verlobten in der alterthümlichen
Capelle des Palazzo Savelli, welchen damals Niebuhr bewohnte, statt. In
Frascati nahm das neuvermählte Paar seine erste Wohnung. „Ich kann," schrieb
Frances am 19. September 1817 von hier an ihre Mutter, „Dir versichern,
daß ich täglich mein Dasein vollkommener und beständiger genieße. Ich bediene
mich dieses Ausdruckes, da er für meine Mutter, die mich kennt, mehr Bedeu¬
tung hat, als wenn ich bloß sage: ich sei glücklich, da dadurch die Behaglichkeit


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[0119] Die Briefe der Freifrau von Bunsen. unter der sorgfältigen Erziehung ihrer Mutter ihre nicht gewöhnlichen Anlagen glücklich entfaltete. Weitere Anregung empfing sie später durch gründlichen Unter¬ richt in London und Edinliurg, so daß sie, als sie 1310 in die Stille von Llanover zurückkehrte, sich mit erneutem Eifer sowohl ihren Studien wie der Erziehung ihrer jüngeren Schwestern widmen konnte, Sie selbst berichtet in ihrem Tagebuche! „Da nun endlich unsre Bücher aus Edinburg angekommen sind, kann ich mit meinen Studien im Griechischen, Lateinischen, Spanischen, Italienischen, im Euklid und in Smiths ^VsMn ok Meinens fortfahren; außer¬ dem spiele ich Clavier, zeichne und arbeite, treibe mit Emily Italienisch, lehre sie sticken und unterrichte Augusta im Rechnen und Zeichnen, in der Geographie und Musik. Natürlich kann ich nicht immer alles an einem Tage fertig bringen, aber in diesem Falle suche ich das Versäumte am zweiten Tage wieder gut zu machen." Im Jahre 1816 entschlossen sich Mr. und Mrs. Waddington, den Winter in Italien zuzubringen. Frances begrüßte mit Begeisterung diese Reise als den Anfang eines neuen Lebens. Sie ahnte, als sie von der Heimat schied, nicht, daß dreiundzwanzig Jahre vorübergehen würden, ehe sie sie wiedersehen sollte. Im Palazzo Gavotti, in welchem die Familie Waddington ihren Aufent¬ halt während des Winters in Rom aufgeschlagen hatte, machte Frances die Be¬ kanntschaft Bunsens, den seine Studien nach Rom geführt hatten. Er trat der Familie näher, und als im Frühjahr 1817 Mr. Waddington an die Heimreise dachte, trat Bunsen in seiner Seelenangst vor der nahe bevorstehenden Trennung vor Mrs. Waddingtvn, um ihr seine Liebe zu ihrem Kinde zu offenbaren. Der Vater war nicht wenig über diese Wendung erschrocken. Er wandte sich an Niebuhr um Rath bei der unerwarteten Wendung der Dinge. Niebuhr ant¬ wortete: „Bunsens Begabung, Geistesanlagen und Charakter sind ein Capital, auf das mehr zu bauen ist als auf jedes andre, sei es auch noch so sicher au¬ gelegt, und hätte ich selbst eine Tochter, mit Freuden würde ich sie solch einem Manne anvertrauen." Denselben Abend, nachdem er die Einwilligung der Eltern erhalten, auf den Stufen des Kreuzes, das seit Jahrhunderten im Colosseum die Todes¬ stelle so vieler christlichen Märtyrer bezeichnet, fragte Bunsen Frances Waddington, °b sie sein Weib werden wolle. „Da erbebte jede Saite ihres Wesens und sie wurde mit einem Male gewahr, daß ihr Leben ohne ihn die Hälfte seines Zau¬ bers verlieren würde." Am 1. Juli 1817 fand die Trauung der Verlobten in der alterthümlichen Capelle des Palazzo Savelli, welchen damals Niebuhr bewohnte, statt. In Frascati nahm das neuvermählte Paar seine erste Wohnung. „Ich kann," schrieb Frances am 19. September 1817 von hier an ihre Mutter, „Dir versichern, daß ich täglich mein Dasein vollkommener und beständiger genieße. Ich bediene mich dieses Ausdruckes, da er für meine Mutter, die mich kennt, mehr Bedeu¬ tung hat, als wenn ich bloß sage: ich sei glücklich, da dadurch die Behaglichkeit Grmzbuten IV. 1881. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/119>, abgerufen am 29.05.2024.