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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Politische Rückblicke und Ausblicke.

Hierzu bemerken wir folgendes: Vorausgesetzt, daß an den Gerüchten, Italien
strebe nach Anschluß an das deutsch-österreichische Bündniß, überhaupt viel
ist, so würde die Thatsache im Interesse des Friedens und der monarchischen Ord¬
nung willkommen zu heißen sein. Aber es hat damit keine solche Eile, wie
manche italienische Blätter behaupten. Italien darf im Interesse seiner Würde
in der That nicht mit Rücksicht auf seine etwaige Zwangslage in unserm Bunde
der Dritte sein wollen. Es muß uns frei, nicht unfrei an die Seite treten.

Ferner kann sich Italien nicht mit Fug beklagen, wenn es im Auslande
für unzuverlässig gilt und deshalb bisher isolirt gewesen ist. Es fehlt der Re¬
gierung an Stetigkeit und Consequenz, und man hat nie recht gewußt, wie man
mit ihr daran war. Häufig geschah es, daß sie gestern dieses und heute jenes
Gesicht zeigte, daß bald die, bald jene Partei die Oberhand gewann, daß mit
den sich folgenden Ministerien nicht bloß die innere, sondern auch die auswär¬
tige Politik wechselte, und mit solchen Prvteusnaturen einen Bund zu flechten,
wird immer seine Bedenken haben. Die erwähnte Unzuverlässigkeit liegt wohl
weniger an den Personen, die nach einander am Ruder waren, als an den Zu¬
ständen. Man kann in Italien nicht gut von einer öffentlichen Meinung reden,
sofern man darunter ein Ueberwiegen der Ansichten und Bestrebungen einer
großen Partei oder eine Uebereinstimmung der Mehrheit des Volkes in be¬
stimmten Fragen versteht. Es herrscht vielmehr die größte Zerfahrenheit und
Unsicherheit in den Anschauungen und Zielen, und jede der vielen Parteien und
politischen Farbenschattirungen beansprucht gleiche Bedeutung und vermag von
Zeit zu Zeit den Anspruch geltend zu machen. Dies gilt auch von der hier be-
sprochnen Frage, und niemand wüßte, wie lange eine Stimmung die Oberhand
behalten würde, welche jetzt zu einem Anschlusse an uns im Norden hindrängte.

Endlich würde sich Italien, wenn es sich mit uns verbinden wollte, rein
im Interesse des Friedens an unsre Seite zu stellen haben; denn der Bund
Deutschlands und Oesterreich-Ungarns ist eben nur eine Defensiv-Allianz, also
ein Friedensbund, dem alle aggressive Politik fremd ist. Und zweitens würde
man in Rom allerdings "einen Preis zahlen" oder, wie die italienischen Zei¬
tungen sagen, "ein Opfer bringen" müssen: man würde selbstverständlich auf
alle irredentistischen Hoffnungen und Bestrebungen ehrlich und aufrichtig Ver¬
zicht leisten müssen. Selbstverständlich, sagen wir und leugnen, daß dies als
Preis oder Opfer bezeichnet werden kann. Geradezu horrend wäre es, wenn
eine Macht Verbündete suchte, deren Gebiet sie zu schmälern, die sie bei Ge¬
legenheit zu berauben sich vorbehielte, und noch horrender und absurder wäre
es in unserm Falle, wo das Bündniß, in dem man der dritte Alliirte zu sein
wünschte, eine gegenseitige Garantie des Besitzstandes der beiden bisher verbün¬
deten als Hauptpunkt einschließt. Man sagt uns, durch Eingehen auf diese Be¬
dingung würde die Würde Italiens compromittirt werden. Wir finden das völlig
unbegreiflich. Es wird von ihm schwerlich verlangt werden, daß es eine Ge-


Politische Rückblicke und Ausblicke.

Hierzu bemerken wir folgendes: Vorausgesetzt, daß an den Gerüchten, Italien
strebe nach Anschluß an das deutsch-österreichische Bündniß, überhaupt viel
ist, so würde die Thatsache im Interesse des Friedens und der monarchischen Ord¬
nung willkommen zu heißen sein. Aber es hat damit keine solche Eile, wie
manche italienische Blätter behaupten. Italien darf im Interesse seiner Würde
in der That nicht mit Rücksicht auf seine etwaige Zwangslage in unserm Bunde
der Dritte sein wollen. Es muß uns frei, nicht unfrei an die Seite treten.

Ferner kann sich Italien nicht mit Fug beklagen, wenn es im Auslande
für unzuverlässig gilt und deshalb bisher isolirt gewesen ist. Es fehlt der Re¬
gierung an Stetigkeit und Consequenz, und man hat nie recht gewußt, wie man
mit ihr daran war. Häufig geschah es, daß sie gestern dieses und heute jenes
Gesicht zeigte, daß bald die, bald jene Partei die Oberhand gewann, daß mit
den sich folgenden Ministerien nicht bloß die innere, sondern auch die auswär¬
tige Politik wechselte, und mit solchen Prvteusnaturen einen Bund zu flechten,
wird immer seine Bedenken haben. Die erwähnte Unzuverlässigkeit liegt wohl
weniger an den Personen, die nach einander am Ruder waren, als an den Zu¬
ständen. Man kann in Italien nicht gut von einer öffentlichen Meinung reden,
sofern man darunter ein Ueberwiegen der Ansichten und Bestrebungen einer
großen Partei oder eine Uebereinstimmung der Mehrheit des Volkes in be¬
stimmten Fragen versteht. Es herrscht vielmehr die größte Zerfahrenheit und
Unsicherheit in den Anschauungen und Zielen, und jede der vielen Parteien und
politischen Farbenschattirungen beansprucht gleiche Bedeutung und vermag von
Zeit zu Zeit den Anspruch geltend zu machen. Dies gilt auch von der hier be-
sprochnen Frage, und niemand wüßte, wie lange eine Stimmung die Oberhand
behalten würde, welche jetzt zu einem Anschlusse an uns im Norden hindrängte.

Endlich würde sich Italien, wenn es sich mit uns verbinden wollte, rein
im Interesse des Friedens an unsre Seite zu stellen haben; denn der Bund
Deutschlands und Oesterreich-Ungarns ist eben nur eine Defensiv-Allianz, also
ein Friedensbund, dem alle aggressive Politik fremd ist. Und zweitens würde
man in Rom allerdings „einen Preis zahlen" oder, wie die italienischen Zei¬
tungen sagen, „ein Opfer bringen" müssen: man würde selbstverständlich auf
alle irredentistischen Hoffnungen und Bestrebungen ehrlich und aufrichtig Ver¬
zicht leisten müssen. Selbstverständlich, sagen wir und leugnen, daß dies als
Preis oder Opfer bezeichnet werden kann. Geradezu horrend wäre es, wenn
eine Macht Verbündete suchte, deren Gebiet sie zu schmälern, die sie bei Ge¬
legenheit zu berauben sich vorbehielte, und noch horrender und absurder wäre
es in unserm Falle, wo das Bündniß, in dem man der dritte Alliirte zu sein
wünschte, eine gegenseitige Garantie des Besitzstandes der beiden bisher verbün¬
deten als Hauptpunkt einschließt. Man sagt uns, durch Eingehen auf diese Be¬
dingung würde die Würde Italiens compromittirt werden. Wir finden das völlig
unbegreiflich. Es wird von ihm schwerlich verlangt werden, daß es eine Ge-


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[0014] Politische Rückblicke und Ausblicke. Hierzu bemerken wir folgendes: Vorausgesetzt, daß an den Gerüchten, Italien strebe nach Anschluß an das deutsch-österreichische Bündniß, überhaupt viel ist, so würde die Thatsache im Interesse des Friedens und der monarchischen Ord¬ nung willkommen zu heißen sein. Aber es hat damit keine solche Eile, wie manche italienische Blätter behaupten. Italien darf im Interesse seiner Würde in der That nicht mit Rücksicht auf seine etwaige Zwangslage in unserm Bunde der Dritte sein wollen. Es muß uns frei, nicht unfrei an die Seite treten. Ferner kann sich Italien nicht mit Fug beklagen, wenn es im Auslande für unzuverlässig gilt und deshalb bisher isolirt gewesen ist. Es fehlt der Re¬ gierung an Stetigkeit und Consequenz, und man hat nie recht gewußt, wie man mit ihr daran war. Häufig geschah es, daß sie gestern dieses und heute jenes Gesicht zeigte, daß bald die, bald jene Partei die Oberhand gewann, daß mit den sich folgenden Ministerien nicht bloß die innere, sondern auch die auswär¬ tige Politik wechselte, und mit solchen Prvteusnaturen einen Bund zu flechten, wird immer seine Bedenken haben. Die erwähnte Unzuverlässigkeit liegt wohl weniger an den Personen, die nach einander am Ruder waren, als an den Zu¬ ständen. Man kann in Italien nicht gut von einer öffentlichen Meinung reden, sofern man darunter ein Ueberwiegen der Ansichten und Bestrebungen einer großen Partei oder eine Uebereinstimmung der Mehrheit des Volkes in be¬ stimmten Fragen versteht. Es herrscht vielmehr die größte Zerfahrenheit und Unsicherheit in den Anschauungen und Zielen, und jede der vielen Parteien und politischen Farbenschattirungen beansprucht gleiche Bedeutung und vermag von Zeit zu Zeit den Anspruch geltend zu machen. Dies gilt auch von der hier be- sprochnen Frage, und niemand wüßte, wie lange eine Stimmung die Oberhand behalten würde, welche jetzt zu einem Anschlusse an uns im Norden hindrängte. Endlich würde sich Italien, wenn es sich mit uns verbinden wollte, rein im Interesse des Friedens an unsre Seite zu stellen haben; denn der Bund Deutschlands und Oesterreich-Ungarns ist eben nur eine Defensiv-Allianz, also ein Friedensbund, dem alle aggressive Politik fremd ist. Und zweitens würde man in Rom allerdings „einen Preis zahlen" oder, wie die italienischen Zei¬ tungen sagen, „ein Opfer bringen" müssen: man würde selbstverständlich auf alle irredentistischen Hoffnungen und Bestrebungen ehrlich und aufrichtig Ver¬ zicht leisten müssen. Selbstverständlich, sagen wir und leugnen, daß dies als Preis oder Opfer bezeichnet werden kann. Geradezu horrend wäre es, wenn eine Macht Verbündete suchte, deren Gebiet sie zu schmälern, die sie bei Ge¬ legenheit zu berauben sich vorbehielte, und noch horrender und absurder wäre es in unserm Falle, wo das Bündniß, in dem man der dritte Alliirte zu sein wünschte, eine gegenseitige Garantie des Besitzstandes der beiden bisher verbün¬ deten als Hauptpunkt einschließt. Man sagt uns, durch Eingehen auf diese Be¬ dingung würde die Würde Italiens compromittirt werden. Wir finden das völlig unbegreiflich. Es wird von ihm schwerlich verlangt werden, daß es eine Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/14>, abgerufen am 13.05.2024.