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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Politische Rückblicke und Ausblicke.

ermuntert, den Italienern eine derbe Lection zu ertheilen. Gladstone habe
dies abgewendet, Cairoli nun aber die Thorheit begangen, zu meinen, man
brauche außer England keine Freunde. Er habe sich in Gambetta und auch in
England getäuscht, in letzterem insofern, als es Italien in der tunesischen Frage
im Stiche gelassen. Seitdem trugen -- sagt der hochstehende Diplomat un¬
gefähr weiter -- die Beziehungen zu Italien nicht gerade ein feindseliges Ge¬
präge; die Erregung der öffentlichen Meinung war größer als die der amtlichen
Kreise. Das italienische Cabinet scheute sich, die diplomatischen Beziehungen zu
Frankreich abzubrechen, weil die beabsichtigte große Anleihe sich ohne den fran¬
zösischen Geldmarkt nicht ausführen ließ. Es suchte die Gemüther zu beschwich¬
tigen, um nicht durch Frankreichs Feindschaft genöthigt zu werden, sich zu einem
Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich unter ihm nicht genehmen Bedin¬
gungen herbeizulassen. Aber zwischen der Bevölkerung Italiens und derjenigen
Frankreichs herrschte seitdem tiefste Verstimmung, und der Traum einer Allianz
mit England verschwand. So sah sich die Regierung des Königs Humbert doch
zum Hinstreben uach einem Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich gedrängt.
Diese Allianz-Idee gewann einigen Boden bei den monarchischen, aber nicht bei
den republikanischen Parteien. Inzwischen wurde sie Gegenstand von Erörte¬
rungen in der Presse von Berlin, Wien und Paris, und diese Blätter kommen
alle auf deuselben Gedanken hinaus, daß der Preis des angestrebten Bündnisses
ein bedingungsloser Verzicht Italiens ans die sogenannten "unerlösten Pro¬
vinzen," Trient und Trieft mit Umgebung sei, daß Italien sich glücklich schätzen
müsse, seinen gegenwärtigen Besitzstand gewährleistet zu sehen, und daß es
Oesterreich-Ungarn auf der Balkanhalbinsel und Frankreich in Afrika freie Hand
zu lassen habe.

Der Verfasser nennt diese Bedingungen hart und glaubt, daß bisher in
der Sache nur Fühlung gesucht, nicht amtlich unterhandelt worden sei. Italien
befinde sich isolirt in schlimmer Lage. Man mißtraue ihm. Schon bei der
Venediger Zusammenkunft Victor Emanuels mit Franz Josef habe Andrassy
zum Aufgeben der Ziele ermahnt, welche die Jrredentisten im Auge hätten.
Man müsse jetzt gewissenhaft untersuchen, ob die Lage Europas baldige Con¬
flicte erwarten lasse. Finde man, daß dies der Fall sei, so müsse Italien sich
dazu verstehen, auch auf harte Bedingungen einzugehen. Andernfalls sei es ge¬
rathen, erst die begangnen Fehler gut zu machen, im Innern das Ansehen des
Gesetzes wiederherzustellen, das Vertheidigungssystem und die Heeresvrgcmisation
M vollenden und so im Auslande Achtung zu gewinnen, damit Italien nicht
die Gefahr vor sich habe, die der Schwache im Bunde mit Starken laufe. Italien
könne inzwischen die Politik Oesterreichs im Orient gewähren lassen, und die
Jrredenta dürfe, da sie nur ein Werkzeug der radicalen Partei sei, das Bündniß
mit Oesterreich nicht verhindern. Auf alle Fülle sei aber dieses Bündniß "nur mit
freier Stiru, ohne Erniedrigung, mit Würde und nicht aus Furcht anzustreben."


Politische Rückblicke und Ausblicke.

ermuntert, den Italienern eine derbe Lection zu ertheilen. Gladstone habe
dies abgewendet, Cairoli nun aber die Thorheit begangen, zu meinen, man
brauche außer England keine Freunde. Er habe sich in Gambetta und auch in
England getäuscht, in letzterem insofern, als es Italien in der tunesischen Frage
im Stiche gelassen. Seitdem trugen — sagt der hochstehende Diplomat un¬
gefähr weiter — die Beziehungen zu Italien nicht gerade ein feindseliges Ge¬
präge; die Erregung der öffentlichen Meinung war größer als die der amtlichen
Kreise. Das italienische Cabinet scheute sich, die diplomatischen Beziehungen zu
Frankreich abzubrechen, weil die beabsichtigte große Anleihe sich ohne den fran¬
zösischen Geldmarkt nicht ausführen ließ. Es suchte die Gemüther zu beschwich¬
tigen, um nicht durch Frankreichs Feindschaft genöthigt zu werden, sich zu einem
Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich unter ihm nicht genehmen Bedin¬
gungen herbeizulassen. Aber zwischen der Bevölkerung Italiens und derjenigen
Frankreichs herrschte seitdem tiefste Verstimmung, und der Traum einer Allianz
mit England verschwand. So sah sich die Regierung des Königs Humbert doch
zum Hinstreben uach einem Bündnisse mit Deutschland und Oesterreich gedrängt.
Diese Allianz-Idee gewann einigen Boden bei den monarchischen, aber nicht bei
den republikanischen Parteien. Inzwischen wurde sie Gegenstand von Erörte¬
rungen in der Presse von Berlin, Wien und Paris, und diese Blätter kommen
alle auf deuselben Gedanken hinaus, daß der Preis des angestrebten Bündnisses
ein bedingungsloser Verzicht Italiens ans die sogenannten „unerlösten Pro¬
vinzen," Trient und Trieft mit Umgebung sei, daß Italien sich glücklich schätzen
müsse, seinen gegenwärtigen Besitzstand gewährleistet zu sehen, und daß es
Oesterreich-Ungarn auf der Balkanhalbinsel und Frankreich in Afrika freie Hand
zu lassen habe.

Der Verfasser nennt diese Bedingungen hart und glaubt, daß bisher in
der Sache nur Fühlung gesucht, nicht amtlich unterhandelt worden sei. Italien
befinde sich isolirt in schlimmer Lage. Man mißtraue ihm. Schon bei der
Venediger Zusammenkunft Victor Emanuels mit Franz Josef habe Andrassy
zum Aufgeben der Ziele ermahnt, welche die Jrredentisten im Auge hätten.
Man müsse jetzt gewissenhaft untersuchen, ob die Lage Europas baldige Con¬
flicte erwarten lasse. Finde man, daß dies der Fall sei, so müsse Italien sich
dazu verstehen, auch auf harte Bedingungen einzugehen. Andernfalls sei es ge¬
rathen, erst die begangnen Fehler gut zu machen, im Innern das Ansehen des
Gesetzes wiederherzustellen, das Vertheidigungssystem und die Heeresvrgcmisation
M vollenden und so im Auslande Achtung zu gewinnen, damit Italien nicht
die Gefahr vor sich habe, die der Schwache im Bunde mit Starken laufe. Italien
könne inzwischen die Politik Oesterreichs im Orient gewähren lassen, und die
Jrredenta dürfe, da sie nur ein Werkzeug der radicalen Partei sei, das Bündniß
mit Oesterreich nicht verhindern. Auf alle Fülle sei aber dieses Bündniß „nur mit
freier Stiru, ohne Erniedrigung, mit Würde und nicht aus Furcht anzustreben."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/13>, abgerufen am 15.05.2024.