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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Shakespeare in Frankreich.

ticismus irgend beeinflußten classischen Dichter abzuweisen begann, diese vom
Odeon und von dem Theater der Porte Se. Martin mit offnen Armen em¬
pfangen wurden und hier einen ungeheuren Erfolg mit ihren Dichtungen er¬
zielten.

Zu diesen Dichtern gehörten auch keine geringeren als Delavigne mit seinen
Vsprss sioilisnnss und Sonnet mit seinem 8Mi (1822). Sonnet hatte sich
schon 1816 in der Schrift I-Sö somxulss littsrg,irs8 as Ug-äMis 6s Kt^si für
die Nachahmung der fremden Theater, besonders des deutschen, erklärt. Denn
zu dieser Zeit war zu dem Einflüsse Shakespeares noch der der deutschen Dichter,
besonders Schillers, sowie Walter Scotts und Byrons getreten. Alle diese
Dichter hingen aber selbst wieder mehr oder weniger mit Shakespeare zusammen.
Wie verschieden geartet von ihm sie auch immer waren, so wiesen sie doch auf ihn mit
zurück. Im Jahre 1820 erschien ein Band Dramen des Grasen Gain-Montaignae,
in welchem dieser das tragische System, worin sich Corneille und Racine aus¬
gezeichnet, den Bedürfnissen der Zeit für nicht mehr entsprechend erklärte, weil
ein konventionelles Ideal, eine glänzende, doch unbestimmte Sprache, der kalte
Pomp, die epischen Erzählungen im Drama nicht mehr befriedigen konnten.
Charles de Rsmusat erkennt an denselben anknüpfend in seinem Artikel Revolution
ein tlMtrs den sich vollziehenden Umschwung ebenfalls an. "Ich ermahne daher
alle Freunde der Stabilität -- heißt es darin --, sich zu vereinigen, um zu
retten, was noch zu retten ist, denn ich verkünde es ihnen, sie sind in Gefahr.
Das alte Regime der dramatischen Herrschaft ist erschüttert, der nationale Geist
regt sich. Die Empörung bereitet sich vor." Doch Rsmusat verkündete diese
Revolution nicht nur, er erklärte sie auch für nothwendig.

Noch in demselben Jahre errang Lebrun mit seiner von Schiller beeinflußten
U"ris Lenard, die man sogar als das erste romantische Drama der Franzosen
bezeichnet hat, einen großen Erfolg, und im folgenden Jahre erschien die neue
Ausgabe von Letourncurs Uebersetzung der Shakespearischen Dramen, ergänzt
und verbessert von Guizot, de Barante und Amadse Pichot, eingeleitet durch
eiuen lZLSA sur it: vis se Iss ouvrgMs as ZnickssvsMs von Guizot (1852 und
1858 unter den: Titel 8dö.Ko8pLMö se 8on tsinxs neu aufgelegt), eine Schrift,
die für die Aufnahme Shakespeares in Frankreich epochemachend war.

"Nicht um den Ruhm, noch um das Genie Shakespeares -- heißt es hier --
handelt es sich noch, denn niemand bestreitet diese. Eine große Frage aber
hat sich erhoben. Man fragt, ob das dramatische System Shakespeares mehr
werth als dasjenige Voltaires sei." Nachdem er dann Shakespeare in seinen
verschiednen Werken in Betracht gezogen, ruft er aus: "Fordert weder Wahrschein¬
lichkeit noch Folgerichtigkeit, noch ein tieferes Studium des Menschen und der
menschlichen Gesellschaft in seinen Lustspielen von ihm. Der Dichter kümmert
sich hier kaum noch darum und fordert euch auf, euch ebenso wenig darum zu
bekümmern. Was er will, ist, euch durch die Entwicklung der Situationen zu


Shakespeare in Frankreich.

ticismus irgend beeinflußten classischen Dichter abzuweisen begann, diese vom
Odeon und von dem Theater der Porte Se. Martin mit offnen Armen em¬
pfangen wurden und hier einen ungeheuren Erfolg mit ihren Dichtungen er¬
zielten.

Zu diesen Dichtern gehörten auch keine geringeren als Delavigne mit seinen
Vsprss sioilisnnss und Sonnet mit seinem 8Mi (1822). Sonnet hatte sich
schon 1816 in der Schrift I-Sö somxulss littsrg,irs8 as Ug-äMis 6s Kt^si für
die Nachahmung der fremden Theater, besonders des deutschen, erklärt. Denn
zu dieser Zeit war zu dem Einflüsse Shakespeares noch der der deutschen Dichter,
besonders Schillers, sowie Walter Scotts und Byrons getreten. Alle diese
Dichter hingen aber selbst wieder mehr oder weniger mit Shakespeare zusammen.
Wie verschieden geartet von ihm sie auch immer waren, so wiesen sie doch auf ihn mit
zurück. Im Jahre 1820 erschien ein Band Dramen des Grasen Gain-Montaignae,
in welchem dieser das tragische System, worin sich Corneille und Racine aus¬
gezeichnet, den Bedürfnissen der Zeit für nicht mehr entsprechend erklärte, weil
ein konventionelles Ideal, eine glänzende, doch unbestimmte Sprache, der kalte
Pomp, die epischen Erzählungen im Drama nicht mehr befriedigen konnten.
Charles de Rsmusat erkennt an denselben anknüpfend in seinem Artikel Revolution
ein tlMtrs den sich vollziehenden Umschwung ebenfalls an. „Ich ermahne daher
alle Freunde der Stabilität — heißt es darin —, sich zu vereinigen, um zu
retten, was noch zu retten ist, denn ich verkünde es ihnen, sie sind in Gefahr.
Das alte Regime der dramatischen Herrschaft ist erschüttert, der nationale Geist
regt sich. Die Empörung bereitet sich vor." Doch Rsmusat verkündete diese
Revolution nicht nur, er erklärte sie auch für nothwendig.

Noch in demselben Jahre errang Lebrun mit seiner von Schiller beeinflußten
U»ris Lenard, die man sogar als das erste romantische Drama der Franzosen
bezeichnet hat, einen großen Erfolg, und im folgenden Jahre erschien die neue
Ausgabe von Letourncurs Uebersetzung der Shakespearischen Dramen, ergänzt
und verbessert von Guizot, de Barante und Amadse Pichot, eingeleitet durch
eiuen lZLSA sur it: vis se Iss ouvrgMs as ZnickssvsMs von Guizot (1852 und
1858 unter den: Titel 8dö.Ko8pLMö se 8on tsinxs neu aufgelegt), eine Schrift,
die für die Aufnahme Shakespeares in Frankreich epochemachend war.

„Nicht um den Ruhm, noch um das Genie Shakespeares — heißt es hier —
handelt es sich noch, denn niemand bestreitet diese. Eine große Frage aber
hat sich erhoben. Man fragt, ob das dramatische System Shakespeares mehr
werth als dasjenige Voltaires sei." Nachdem er dann Shakespeare in seinen
verschiednen Werken in Betracht gezogen, ruft er aus: „Fordert weder Wahrschein¬
lichkeit noch Folgerichtigkeit, noch ein tieferes Studium des Menschen und der
menschlichen Gesellschaft in seinen Lustspielen von ihm. Der Dichter kümmert
sich hier kaum noch darum und fordert euch auf, euch ebenso wenig darum zu
bekümmern. Was er will, ist, euch durch die Entwicklung der Situationen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/20>, abgerufen am 16.05.2024.