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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Lyrisches in Shakespeare,

läßt sich jedoch leicht erkennen, daß die diese beiden Gruppen des Lyrischen
trennende Grenze eine sehr fließende ist, daß der Dialog und Monolog gelegent¬
lich die Form eines abgeschlossenen Gedichts gewinnen und manches von dem
hier namhaft gemachten, wie "Chorus, Beschwörungsformeln, Zauberspruchartigcs,
Sinn- und Denksprüche," einen integrirenden Theil des Dialogs und der Hand¬
lung bilden kann. Wogegen einzelne der von Steuerwald angeführten Formen
nur anhängende, unwesentliche Theile des Dramas bilden, wie der Prolog und
der Epilog; die Maske aber selbst wieder eine mehr dramatische als lyrische Form
ist, die lyrische Volkssage, zu der er z, B. Mercutios Schilderung der Königin
Mal, rechnet, einen mehr epischen als lyrischen Charakter hat.

So weit es sich hier aber wirklich um selbständige lyrische Einlage,: handelt,
wird man sie noch unterscheiden können in solche, welche der Dichter unmittel¬
bar aus der Empfindung und dem Zustande des Sprechenden hervorgehen läßt,
und in solche, welche er ihm nur zu einem bestimmten Zweck in den Mund legt.
Erstere werden immer vom Dichter selber herrühren müssen, wogegen die letzteren, zu¬
weilen selbst mit Vortheil, weil zu größerer und charakteristischerer Wirkung, fremden
Ursprungs sein können, ja falls sie dabei als schon bekannt vorausgesetzt werden,
letzteres sogar sein müssen. Shakespeare hat von diesem Rechte des Dichters
vielfach Gebrauch gemacht, was sich theilweise aus dem Geschmack der Zeit er¬
klärt, welche an Citaten, Anspielungen und Anklängen besonderes Gefallen fand.
Bemerkenswert!) aber ist, daß diese Entlehnungen durchgehend der nationalen
Volkspoesie angehören und der Dichter durch sie deu volksthümlichen Ton und
Charakter seiner Werke noch zu verstärken gewußt hat.

Steucrwald hat diesem Theile seiner Darstellung mit Recht besondere Auf¬
merksamkeit zugewendet und Drama für Drama des Dichters in Bezug auf der¬
artige in ihnen enthaltene Stellen gesondert in Betracht gezogen, so daß man
bei ihm in übersichtlicher Weise hiervon das Wesentliche -- denn auf Voll¬
ständigkeit erhebt er selbst keinen Anspruch -- so wie alles das zusammengestellt
findet, was sich über den Ursprung der einzelnen Stellen bis jetzt hat ermitteln
lassen. Es zeigt sich dabei, daß Shakespeare vom Volkslied"! nicht nur einen
überaus reichen Gebrauch gemacht, sondern es auch selber in nicht unbe¬
deutender Weise bereichert hat. Schott das mußte ihm auch zur Anwendung der
Musik führen. Seine Liebe zu dieser Kunst, die zu seiner Zeit in England in
hoher Blüthe stand, so daß englische Jnstrumentisten selbst im Auslande geschätzt
waren, geht aus verschiednen Stellen seiner Werke, Sonetten und Dramen, her¬
vor. Sie findet sich besonders im "Kaufmann von Venedig" und in "Was ihr
wollt" verherrlicht. Dem Gebrauch, welchen der Dichter in ebenso maunich-
fclltiger wie charakteristischer Weise vom Gesänge und von der Instrumentalmusik
zur Verstärkung bestimmter lyrisch-dramatischer Wirkungen machte, hat der Ver¬
fasser ebenfalls eine kurze Betrachtung geschenkt. Sowohl hier, wie an einigen
andern Punkten würde der Gegenstand aber eine noch etwas eingehendere und


Lyrisches in Shakespeare,

läßt sich jedoch leicht erkennen, daß die diese beiden Gruppen des Lyrischen
trennende Grenze eine sehr fließende ist, daß der Dialog und Monolog gelegent¬
lich die Form eines abgeschlossenen Gedichts gewinnen und manches von dem
hier namhaft gemachten, wie „Chorus, Beschwörungsformeln, Zauberspruchartigcs,
Sinn- und Denksprüche," einen integrirenden Theil des Dialogs und der Hand¬
lung bilden kann. Wogegen einzelne der von Steuerwald angeführten Formen
nur anhängende, unwesentliche Theile des Dramas bilden, wie der Prolog und
der Epilog; die Maske aber selbst wieder eine mehr dramatische als lyrische Form
ist, die lyrische Volkssage, zu der er z, B. Mercutios Schilderung der Königin
Mal, rechnet, einen mehr epischen als lyrischen Charakter hat.

So weit es sich hier aber wirklich um selbständige lyrische Einlage,: handelt,
wird man sie noch unterscheiden können in solche, welche der Dichter unmittel¬
bar aus der Empfindung und dem Zustande des Sprechenden hervorgehen läßt,
und in solche, welche er ihm nur zu einem bestimmten Zweck in den Mund legt.
Erstere werden immer vom Dichter selber herrühren müssen, wogegen die letzteren, zu¬
weilen selbst mit Vortheil, weil zu größerer und charakteristischerer Wirkung, fremden
Ursprungs sein können, ja falls sie dabei als schon bekannt vorausgesetzt werden,
letzteres sogar sein müssen. Shakespeare hat von diesem Rechte des Dichters
vielfach Gebrauch gemacht, was sich theilweise aus dem Geschmack der Zeit er¬
klärt, welche an Citaten, Anspielungen und Anklängen besonderes Gefallen fand.
Bemerkenswert!) aber ist, daß diese Entlehnungen durchgehend der nationalen
Volkspoesie angehören und der Dichter durch sie deu volksthümlichen Ton und
Charakter seiner Werke noch zu verstärken gewußt hat.

Steucrwald hat diesem Theile seiner Darstellung mit Recht besondere Auf¬
merksamkeit zugewendet und Drama für Drama des Dichters in Bezug auf der¬
artige in ihnen enthaltene Stellen gesondert in Betracht gezogen, so daß man
bei ihm in übersichtlicher Weise hiervon das Wesentliche — denn auf Voll¬
ständigkeit erhebt er selbst keinen Anspruch — so wie alles das zusammengestellt
findet, was sich über den Ursprung der einzelnen Stellen bis jetzt hat ermitteln
lassen. Es zeigt sich dabei, daß Shakespeare vom Volkslied«! nicht nur einen
überaus reichen Gebrauch gemacht, sondern es auch selber in nicht unbe¬
deutender Weise bereichert hat. Schott das mußte ihm auch zur Anwendung der
Musik führen. Seine Liebe zu dieser Kunst, die zu seiner Zeit in England in
hoher Blüthe stand, so daß englische Jnstrumentisten selbst im Auslande geschätzt
waren, geht aus verschiednen Stellen seiner Werke, Sonetten und Dramen, her¬
vor. Sie findet sich besonders im „Kaufmann von Venedig" und in „Was ihr
wollt" verherrlicht. Dem Gebrauch, welchen der Dichter in ebenso maunich-
fclltiger wie charakteristischer Weise vom Gesänge und von der Instrumentalmusik
zur Verstärkung bestimmter lyrisch-dramatischer Wirkungen machte, hat der Ver¬
fasser ebenfalls eine kurze Betrachtung geschenkt. Sowohl hier, wie an einigen
andern Punkten würde der Gegenstand aber eine noch etwas eingehendere und


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[0256] Lyrisches in Shakespeare, läßt sich jedoch leicht erkennen, daß die diese beiden Gruppen des Lyrischen trennende Grenze eine sehr fließende ist, daß der Dialog und Monolog gelegent¬ lich die Form eines abgeschlossenen Gedichts gewinnen und manches von dem hier namhaft gemachten, wie „Chorus, Beschwörungsformeln, Zauberspruchartigcs, Sinn- und Denksprüche," einen integrirenden Theil des Dialogs und der Hand¬ lung bilden kann. Wogegen einzelne der von Steuerwald angeführten Formen nur anhängende, unwesentliche Theile des Dramas bilden, wie der Prolog und der Epilog; die Maske aber selbst wieder eine mehr dramatische als lyrische Form ist, die lyrische Volkssage, zu der er z, B. Mercutios Schilderung der Königin Mal, rechnet, einen mehr epischen als lyrischen Charakter hat. So weit es sich hier aber wirklich um selbständige lyrische Einlage,: handelt, wird man sie noch unterscheiden können in solche, welche der Dichter unmittel¬ bar aus der Empfindung und dem Zustande des Sprechenden hervorgehen läßt, und in solche, welche er ihm nur zu einem bestimmten Zweck in den Mund legt. Erstere werden immer vom Dichter selber herrühren müssen, wogegen die letzteren, zu¬ weilen selbst mit Vortheil, weil zu größerer und charakteristischerer Wirkung, fremden Ursprungs sein können, ja falls sie dabei als schon bekannt vorausgesetzt werden, letzteres sogar sein müssen. Shakespeare hat von diesem Rechte des Dichters vielfach Gebrauch gemacht, was sich theilweise aus dem Geschmack der Zeit er¬ klärt, welche an Citaten, Anspielungen und Anklängen besonderes Gefallen fand. Bemerkenswert!) aber ist, daß diese Entlehnungen durchgehend der nationalen Volkspoesie angehören und der Dichter durch sie deu volksthümlichen Ton und Charakter seiner Werke noch zu verstärken gewußt hat. Steucrwald hat diesem Theile seiner Darstellung mit Recht besondere Auf¬ merksamkeit zugewendet und Drama für Drama des Dichters in Bezug auf der¬ artige in ihnen enthaltene Stellen gesondert in Betracht gezogen, so daß man bei ihm in übersichtlicher Weise hiervon das Wesentliche — denn auf Voll¬ ständigkeit erhebt er selbst keinen Anspruch — so wie alles das zusammengestellt findet, was sich über den Ursprung der einzelnen Stellen bis jetzt hat ermitteln lassen. Es zeigt sich dabei, daß Shakespeare vom Volkslied«! nicht nur einen überaus reichen Gebrauch gemacht, sondern es auch selber in nicht unbe¬ deutender Weise bereichert hat. Schott das mußte ihm auch zur Anwendung der Musik führen. Seine Liebe zu dieser Kunst, die zu seiner Zeit in England in hoher Blüthe stand, so daß englische Jnstrumentisten selbst im Auslande geschätzt waren, geht aus verschiednen Stellen seiner Werke, Sonetten und Dramen, her¬ vor. Sie findet sich besonders im „Kaufmann von Venedig" und in „Was ihr wollt" verherrlicht. Dem Gebrauch, welchen der Dichter in ebenso maunich- fclltiger wie charakteristischer Weise vom Gesänge und von der Instrumentalmusik zur Verstärkung bestimmter lyrisch-dramatischer Wirkungen machte, hat der Ver¬ fasser ebenfalls eine kurze Betrachtung geschenkt. Sowohl hier, wie an einigen andern Punkten würde der Gegenstand aber eine noch etwas eingehendere und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/256>, abgerufen am 14.05.2024.