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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Lin nationales Bühnenspiel,

Mademoiselle,
Ich bin entzückt von Ihrer hohen Kunst,
Was war ich doch für ein armsel'ger Träumer
Bei meinen Büchern!
Der Teufel hol' die ewige Gelahrtheit!
Sofie, ich bin Ihr neuer Molisre,

Der alte Pfarrer starrt den Zettel an, "zerknüllt" ihn, läßt ihn zu Boden fallen
und bricht in die Worte ans:


Das ist ein Blendwerk, und wir siud bethöret
Mein weißes Haar! Die Ehre meines Lebens
Mit ein Paar Worten ganz dahin, dahin! --
Ein Komödiant, el" Taugenichts, ein Wüstling! --
Justine! Mutter! Tinte und Papier!

Als darauf von den vier Angerufenen die ersten beiden, die inzwischen von ihrem
Gange zur Post wieder zurückgekehrt sind, erscheinen, treibt sie der Pfarrer
wieder hinaus, wendet sich zu den beiden letztem, zu Tinte und Papier, die auf
dem Tische in xrowxw sind, und schreibt an Gotthold folgenden lapidaren Brief:


Komm' allsogleich, die Mutter liegt -- im Sterben,
So spricht Dein Vater.

Mit diesem Begleitschreiben zur Knchenschachtel begiebt sich der Cantor zur Post,
um abzureisen, während der alte Pastor wie ein zweiter Graf Moor sich ver¬
zweifelnd vor die Stirn schlägt und noch einmal über das andere ausruft:
"Mein weißes Haar! Die Ehre meines Lebens! Er ist kein Theolog!" Der
letzte Ausruf kehrt nach kurzen Intervallen dreimal wieder -- unläugbar eine
höchst dankbare Aufgabe für einen Darsteller von Heldenvätern.

Nachdem der Alte "kopfschüttelnd nach rechts" hinausgegangen ist, bleibt
Justine, welche die Verzweiflungsausbrüche ihres Vaters mit angehört, auch
einen mißlungenen Versuch gemacht hat, den ans dem Boden liegenden Zettel
an sich zu bringen, allein im Zimmer zurück und strömt ihre Gedanken und Em¬
pfindungen in folgenden Monolog aus:


So außer sich sah ich noch nie den Vater.
Was dieser Zettel nur bedeuten mag?
Ich setz' mir's in den Kopf, ich muß das wissen.
Bei unser einem da wird nie gefragt:
Wie geht's Dir, Mädchen, und was machst Dn, Mädchen?
Ich muß des Morgens fünf Uhr aus dem Bett,
Muß Feuer macheu und die Küche scheuern
Und meine zehn Geschwister allesammt
Vou Kopf zu Füßen waschen, frischauf kleide",
Kurz, was es nur im Haus an Arbeit giebt,
Das schiebt man der Justine in die Schuhe,
Ich komm' kein cinzigmal zu einem Tanz,
Ich nasche nicht, ich putz' mich nicht mit Bänder",
Doch niemand sagt: Du bist ein braves Kind,

Lin nationales Bühnenspiel,

Mademoiselle,
Ich bin entzückt von Ihrer hohen Kunst,
Was war ich doch für ein armsel'ger Träumer
Bei meinen Büchern!
Der Teufel hol' die ewige Gelahrtheit!
Sofie, ich bin Ihr neuer Molisre,

Der alte Pfarrer starrt den Zettel an, „zerknüllt" ihn, läßt ihn zu Boden fallen
und bricht in die Worte ans:


Das ist ein Blendwerk, und wir siud bethöret
Mein weißes Haar! Die Ehre meines Lebens
Mit ein Paar Worten ganz dahin, dahin! —
Ein Komödiant, el» Taugenichts, ein Wüstling! —
Justine! Mutter! Tinte und Papier!

Als darauf von den vier Angerufenen die ersten beiden, die inzwischen von ihrem
Gange zur Post wieder zurückgekehrt sind, erscheinen, treibt sie der Pfarrer
wieder hinaus, wendet sich zu den beiden letztem, zu Tinte und Papier, die auf
dem Tische in xrowxw sind, und schreibt an Gotthold folgenden lapidaren Brief:


Komm' allsogleich, die Mutter liegt — im Sterben,
So spricht Dein Vater.

Mit diesem Begleitschreiben zur Knchenschachtel begiebt sich der Cantor zur Post,
um abzureisen, während der alte Pastor wie ein zweiter Graf Moor sich ver¬
zweifelnd vor die Stirn schlägt und noch einmal über das andere ausruft:
„Mein weißes Haar! Die Ehre meines Lebens! Er ist kein Theolog!" Der
letzte Ausruf kehrt nach kurzen Intervallen dreimal wieder — unläugbar eine
höchst dankbare Aufgabe für einen Darsteller von Heldenvätern.

Nachdem der Alte „kopfschüttelnd nach rechts" hinausgegangen ist, bleibt
Justine, welche die Verzweiflungsausbrüche ihres Vaters mit angehört, auch
einen mißlungenen Versuch gemacht hat, den ans dem Boden liegenden Zettel
an sich zu bringen, allein im Zimmer zurück und strömt ihre Gedanken und Em¬
pfindungen in folgenden Monolog aus:


So außer sich sah ich noch nie den Vater.
Was dieser Zettel nur bedeuten mag?
Ich setz' mir's in den Kopf, ich muß das wissen.
Bei unser einem da wird nie gefragt:
Wie geht's Dir, Mädchen, und was machst Dn, Mädchen?
Ich muß des Morgens fünf Uhr aus dem Bett,
Muß Feuer macheu und die Küche scheuern
Und meine zehn Geschwister allesammt
Vou Kopf zu Füßen waschen, frischauf kleide»,
Kurz, was es nur im Haus an Arbeit giebt,
Das schiebt man der Justine in die Schuhe,
Ich komm' kein cinzigmal zu einem Tanz,
Ich nasche nicht, ich putz' mich nicht mit Bänder»,
Doch niemand sagt: Du bist ein braves Kind,

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[0269] Lin nationales Bühnenspiel, Mademoiselle, Ich bin entzückt von Ihrer hohen Kunst, Was war ich doch für ein armsel'ger Träumer Bei meinen Büchern! Der Teufel hol' die ewige Gelahrtheit! Sofie, ich bin Ihr neuer Molisre, Der alte Pfarrer starrt den Zettel an, „zerknüllt" ihn, läßt ihn zu Boden fallen und bricht in die Worte ans: Das ist ein Blendwerk, und wir siud bethöret Mein weißes Haar! Die Ehre meines Lebens Mit ein Paar Worten ganz dahin, dahin! — Ein Komödiant, el» Taugenichts, ein Wüstling! — Justine! Mutter! Tinte und Papier! Als darauf von den vier Angerufenen die ersten beiden, die inzwischen von ihrem Gange zur Post wieder zurückgekehrt sind, erscheinen, treibt sie der Pfarrer wieder hinaus, wendet sich zu den beiden letztem, zu Tinte und Papier, die auf dem Tische in xrowxw sind, und schreibt an Gotthold folgenden lapidaren Brief: Komm' allsogleich, die Mutter liegt — im Sterben, So spricht Dein Vater. Mit diesem Begleitschreiben zur Knchenschachtel begiebt sich der Cantor zur Post, um abzureisen, während der alte Pastor wie ein zweiter Graf Moor sich ver¬ zweifelnd vor die Stirn schlägt und noch einmal über das andere ausruft: „Mein weißes Haar! Die Ehre meines Lebens! Er ist kein Theolog!" Der letzte Ausruf kehrt nach kurzen Intervallen dreimal wieder — unläugbar eine höchst dankbare Aufgabe für einen Darsteller von Heldenvätern. Nachdem der Alte „kopfschüttelnd nach rechts" hinausgegangen ist, bleibt Justine, welche die Verzweiflungsausbrüche ihres Vaters mit angehört, auch einen mißlungenen Versuch gemacht hat, den ans dem Boden liegenden Zettel an sich zu bringen, allein im Zimmer zurück und strömt ihre Gedanken und Em¬ pfindungen in folgenden Monolog aus: So außer sich sah ich noch nie den Vater. Was dieser Zettel nur bedeuten mag? Ich setz' mir's in den Kopf, ich muß das wissen. Bei unser einem da wird nie gefragt: Wie geht's Dir, Mädchen, und was machst Dn, Mädchen? Ich muß des Morgens fünf Uhr aus dem Bett, Muß Feuer macheu und die Küche scheuern Und meine zehn Geschwister allesammt Vou Kopf zu Füßen waschen, frischauf kleide», Kurz, was es nur im Haus an Arbeit giebt, Das schiebt man der Justine in die Schuhe, Ich komm' kein cinzigmal zu einem Tanz, Ich nasche nicht, ich putz' mich nicht mit Bänder», Doch niemand sagt: Du bist ein braves Kind,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/269>, abgerufen am 31.05.2024.