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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Deutsche Palästinafahrten.

Ausbesserung des Schiffskörpers, doch der Patron kümmert sich nicht darum,
indem er behauptet, es sei zur Zeit kein passender Hafen in der Nähe. Fort¬
während erschallen Klagen über das schlechte Essen, namentlich über das elende
Biseotto, das man in Deutschland nicht Schweinen und Hunden vorwerfen würde.

Viele sind mit ihrer Lagerstatt unzufrieden: dem einen ist es zu heiß, dem
andern zu schmutzig, ein dritter denkt nur mit Schaudern an den üblen Geruch
und den dadurch verleideten Aufenthalt. Ulrich von Mergenthal, der 1476
Herzog Albrecht den Beherzten als Landrentmeister begleitete, berichtet, daß
ihnen des Nachts im Schiffsraume "die Ratzen über die Mäuler" gelaufen seien.
Außerdem plagte ihn die Angst, daß durch das leichtfertige Umgehen mit dem
Lichte Feuer ausbrechen möchte, was ganz entsetzlich sein würde, da alles "eitel
Pech" sei. Weiter ärgert er sich über das Singen und Lärmen der Nachbarn,
die sich oft mit Absicht recht bemerkbar machten, um die andern im Schlafe zu
stören. Der Aufenthalt auf dem Deck, das am Tage wie zur Nachtzeit als
Zufluchtsort galt, war aber auch nicht immer erfreulich. Kaum hatte sich ein
jeglicher an "seiner essenden Statt" niedergelassen, da senkte sich das Schiff gerade
auf die Seite, auf welcher sie gemüthlich tafelten. Schnell mußten sie alles
zusammenraffen und nach der andern Seite laufen. Da ward ihnen schwindelig,
und sie taumelten wie "die vollen Bauern." Hatten sie sich des Nachts aus
Verzweiflung unter den Mastbaum schlafen gelegt, so wurden sie tapfer naß,
und wenn die Galeoten mit ihren Stricken liefen, tanzten sie den Ruhenden
auf den Schienbeinen herum. "In Summa, wir hatten wenig Ruhe, und weiß
nichts Besseres aussen Schiffe, als die liebe Patientia."

War während der Fahrt gutes Wetter, so unterhielt man sich, so gut es
ging; die bald verschwindende und bald wieder auftauchende Küste gab Gelegen¬
heit zu vielen Gesprächen. Häufig wurden die harmlosen deutschen Pilgersleute
von dem als verschlagen, sogar als diebisch bezeichneten Schiffsvolke mit aller¬
hand Lügen bedient, die dann in den einzelnen Pilgerschaften ungefähr in gleicher
Gestalt immer wieder auftauchen. So gilt es allen als unumstößlich richtig,
daß derjenige, der in Candia von einem Weibsbilde gebissen, gekratzt oder ge¬
küßt werde, sterben müsse.

Aber nicht nur durch Gespräche, auch durch Kartenspiel, geistliche Uebungen
oder Handel Vertrieb man sich die Zeit. Freilich gab es dabei manchmal Zank
und Schlägerei. Waren doch Leute von verschiedener Nationalität und von
verschiedenem Stande bunt durcheinander gewürfelt, und gezwungen, einige
Wochen zusammen zu leben. Am unverträglichsten waren dem gewöhnlichen
Urtheil zufolge die Niederländer, die oft als roh und trunksüchtig geschildert
werden.

Am ehesten herrschte wohl noch dann Einigkeit, wenn Corsaren oder ein
Sturm drohte, den man euphemistisch "Fortuna" nannte. Alle möglichen Mittel
wurden versucht, um ein herannahendes Unwetter zu verscheuchen, ein sich aus-


GrmMca IV. 1881. 3L
Deutsche Palästinafahrten.

Ausbesserung des Schiffskörpers, doch der Patron kümmert sich nicht darum,
indem er behauptet, es sei zur Zeit kein passender Hafen in der Nähe. Fort¬
während erschallen Klagen über das schlechte Essen, namentlich über das elende
Biseotto, das man in Deutschland nicht Schweinen und Hunden vorwerfen würde.

Viele sind mit ihrer Lagerstatt unzufrieden: dem einen ist es zu heiß, dem
andern zu schmutzig, ein dritter denkt nur mit Schaudern an den üblen Geruch
und den dadurch verleideten Aufenthalt. Ulrich von Mergenthal, der 1476
Herzog Albrecht den Beherzten als Landrentmeister begleitete, berichtet, daß
ihnen des Nachts im Schiffsraume „die Ratzen über die Mäuler" gelaufen seien.
Außerdem plagte ihn die Angst, daß durch das leichtfertige Umgehen mit dem
Lichte Feuer ausbrechen möchte, was ganz entsetzlich sein würde, da alles „eitel
Pech" sei. Weiter ärgert er sich über das Singen und Lärmen der Nachbarn,
die sich oft mit Absicht recht bemerkbar machten, um die andern im Schlafe zu
stören. Der Aufenthalt auf dem Deck, das am Tage wie zur Nachtzeit als
Zufluchtsort galt, war aber auch nicht immer erfreulich. Kaum hatte sich ein
jeglicher an „seiner essenden Statt" niedergelassen, da senkte sich das Schiff gerade
auf die Seite, auf welcher sie gemüthlich tafelten. Schnell mußten sie alles
zusammenraffen und nach der andern Seite laufen. Da ward ihnen schwindelig,
und sie taumelten wie „die vollen Bauern." Hatten sie sich des Nachts aus
Verzweiflung unter den Mastbaum schlafen gelegt, so wurden sie tapfer naß,
und wenn die Galeoten mit ihren Stricken liefen, tanzten sie den Ruhenden
auf den Schienbeinen herum. „In Summa, wir hatten wenig Ruhe, und weiß
nichts Besseres aussen Schiffe, als die liebe Patientia."

War während der Fahrt gutes Wetter, so unterhielt man sich, so gut es
ging; die bald verschwindende und bald wieder auftauchende Küste gab Gelegen¬
heit zu vielen Gesprächen. Häufig wurden die harmlosen deutschen Pilgersleute
von dem als verschlagen, sogar als diebisch bezeichneten Schiffsvolke mit aller¬
hand Lügen bedient, die dann in den einzelnen Pilgerschaften ungefähr in gleicher
Gestalt immer wieder auftauchen. So gilt es allen als unumstößlich richtig,
daß derjenige, der in Candia von einem Weibsbilde gebissen, gekratzt oder ge¬
küßt werde, sterben müsse.

Aber nicht nur durch Gespräche, auch durch Kartenspiel, geistliche Uebungen
oder Handel Vertrieb man sich die Zeit. Freilich gab es dabei manchmal Zank
und Schlägerei. Waren doch Leute von verschiedener Nationalität und von
verschiedenem Stande bunt durcheinander gewürfelt, und gezwungen, einige
Wochen zusammen zu leben. Am unverträglichsten waren dem gewöhnlichen
Urtheil zufolge die Niederländer, die oft als roh und trunksüchtig geschildert
werden.

Am ehesten herrschte wohl noch dann Einigkeit, wenn Corsaren oder ein
Sturm drohte, den man euphemistisch „Fortuna" nannte. Alle möglichen Mittel
wurden versucht, um ein herannahendes Unwetter zu verscheuchen, ein sich aus-


GrmMca IV. 1881. 3L
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[0283] Deutsche Palästinafahrten. Ausbesserung des Schiffskörpers, doch der Patron kümmert sich nicht darum, indem er behauptet, es sei zur Zeit kein passender Hafen in der Nähe. Fort¬ während erschallen Klagen über das schlechte Essen, namentlich über das elende Biseotto, das man in Deutschland nicht Schweinen und Hunden vorwerfen würde. Viele sind mit ihrer Lagerstatt unzufrieden: dem einen ist es zu heiß, dem andern zu schmutzig, ein dritter denkt nur mit Schaudern an den üblen Geruch und den dadurch verleideten Aufenthalt. Ulrich von Mergenthal, der 1476 Herzog Albrecht den Beherzten als Landrentmeister begleitete, berichtet, daß ihnen des Nachts im Schiffsraume „die Ratzen über die Mäuler" gelaufen seien. Außerdem plagte ihn die Angst, daß durch das leichtfertige Umgehen mit dem Lichte Feuer ausbrechen möchte, was ganz entsetzlich sein würde, da alles „eitel Pech" sei. Weiter ärgert er sich über das Singen und Lärmen der Nachbarn, die sich oft mit Absicht recht bemerkbar machten, um die andern im Schlafe zu stören. Der Aufenthalt auf dem Deck, das am Tage wie zur Nachtzeit als Zufluchtsort galt, war aber auch nicht immer erfreulich. Kaum hatte sich ein jeglicher an „seiner essenden Statt" niedergelassen, da senkte sich das Schiff gerade auf die Seite, auf welcher sie gemüthlich tafelten. Schnell mußten sie alles zusammenraffen und nach der andern Seite laufen. Da ward ihnen schwindelig, und sie taumelten wie „die vollen Bauern." Hatten sie sich des Nachts aus Verzweiflung unter den Mastbaum schlafen gelegt, so wurden sie tapfer naß, und wenn die Galeoten mit ihren Stricken liefen, tanzten sie den Ruhenden auf den Schienbeinen herum. „In Summa, wir hatten wenig Ruhe, und weiß nichts Besseres aussen Schiffe, als die liebe Patientia." War während der Fahrt gutes Wetter, so unterhielt man sich, so gut es ging; die bald verschwindende und bald wieder auftauchende Küste gab Gelegen¬ heit zu vielen Gesprächen. Häufig wurden die harmlosen deutschen Pilgersleute von dem als verschlagen, sogar als diebisch bezeichneten Schiffsvolke mit aller¬ hand Lügen bedient, die dann in den einzelnen Pilgerschaften ungefähr in gleicher Gestalt immer wieder auftauchen. So gilt es allen als unumstößlich richtig, daß derjenige, der in Candia von einem Weibsbilde gebissen, gekratzt oder ge¬ küßt werde, sterben müsse. Aber nicht nur durch Gespräche, auch durch Kartenspiel, geistliche Uebungen oder Handel Vertrieb man sich die Zeit. Freilich gab es dabei manchmal Zank und Schlägerei. Waren doch Leute von verschiedener Nationalität und von verschiedenem Stande bunt durcheinander gewürfelt, und gezwungen, einige Wochen zusammen zu leben. Am unverträglichsten waren dem gewöhnlichen Urtheil zufolge die Niederländer, die oft als roh und trunksüchtig geschildert werden. Am ehesten herrschte wohl noch dann Einigkeit, wenn Corsaren oder ein Sturm drohte, den man euphemistisch „Fortuna" nannte. Alle möglichen Mittel wurden versucht, um ein herannahendes Unwetter zu verscheuchen, ein sich aus- GrmMca IV. 1881. 3L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/283>, abgerufen am 15.05.2024.