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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zola und der Naturalismus auf dein Theater.

Stützung zu bedürfe", durch die Evolution des Naturalismus, dieses Geistes der
Logik und Wissenschaft, welcher die Gesellschaft bereits völlig umgestaltet."

Auch auf dem Theater, "dieser letzten Schutzwehr des Conventionalismus,"
sieht er dazu schon die Anfänge in der Naturtreue und historischen Wahrheit
der Decoration und des Kostüms. An der Entwicklung beider glaubt er über¬
haupt die Entwicklung des naturalistischen Gedankens nachweisen zu können.
Beide seien Schritt für Schritt der Natur und Wahrheit immer näher getreten.
Beide hätten zugleich immer dem Geiste der Zeit und ihrer Dichtung entsprochen.
Auch in diesen Behauptungen aber vermißt man "die exacte Beobachtung der
wissenschaftlichen Methode." Zola hat Recht, daß für das alte akademische Vor¬
zimmer-Drama eine realistische Ausstattung der Bühne gar nicht gefordert war.
Sie würde die Unangemessenheit der Localität, das Lügnerische in der behaupteten
Durchführung der Einheit des Orts sehr oft nur um so schärfer haben hervor¬
treten lassen. In diesen Stücken, in denen nur der psychologische, nicht aber
der physiologische Mensch zur Erscheinung komme, bewege sich, sagt er, die Handlung
eigentlich ganz in der Luft. Ein bestimmter Ort sei gar nicht brauchbar für
sie. Es genüge die conventionelle Localität.

Natürlich ist auch dies übertrieben, doch hat es immerhin seine Wahrheit.
Wie aber verträgt es sich wohl mit der Thatsache, daß das gleichzeitige alt¬
englische Drama, das seiner Natur nach ganz realistisch und besonders bei Shake¬
speare so überaus malerisch ist, damals von der Decoration und dem histo¬
rischen Kostüm in einem noch größern Umfange als die Bühne Hardhs,
Corneilles und Racines absah und absehen konnte? Sind es nicht gerade die
Shakespearischen Dramen, welche dem heutigen Decorationsmaler und Kostümier
die größten, reizendsten Aufgaben stellen? Nun wohl! sie wurden bereits vor
fast dreihundert Jahren geschrieben! Shakespeares Dichtung war schon ganz
realistisch und naturalistisch -- freilich nicht in dem Sinne Zolas --, denn sie
war dies ja nicht allein, sondern zugleich ganz idealistisch, symbolisch, phantasievoll,
romantisch, was dieser alles verwirft. Ihm standen zwar nicht die Hilfsmittel
der exacten Naturbeobachtung von heute zur Seite, aber wer von den heutigen
Dichtern hat ihn an Wahrheit und Tiefe der Beobachtung dessen, worauf es
im Drama wesentlich ankommt, übertroffen oder auch nur erreicht? Gleichwohl
sahen der Dichter und sein Publicum von der realistischen Decoration völlig ab.
die nach Zola heute eine so nothwendige Consequenz "des realistischen Bedürf¬
nisses ist, welches uns quält." Möglich, daß es so ist, obschon, wie ich glaube,
die Einführung der realistischen Decoration sich zunächst mehr auf die Bühnen¬
betriebsamkeit zurückführen lassen dürfte, welche auf diese Richtung der Zeit
speculirte und so ein Bedürfniß erzeugte, das man bis dahin noch nicht gekannt.
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß man zu Shakespeares Zeit Decorationen
von der naturalistischen Wirkung der heutigen nicht hervorzubringen vermocht
haben würde, obwohl in Italien die decorative Kunst der Bühne bereits eine


Zola und der Naturalismus auf dein Theater.

Stützung zu bedürfe», durch die Evolution des Naturalismus, dieses Geistes der
Logik und Wissenschaft, welcher die Gesellschaft bereits völlig umgestaltet."

Auch auf dem Theater, „dieser letzten Schutzwehr des Conventionalismus,"
sieht er dazu schon die Anfänge in der Naturtreue und historischen Wahrheit
der Decoration und des Kostüms. An der Entwicklung beider glaubt er über¬
haupt die Entwicklung des naturalistischen Gedankens nachweisen zu können.
Beide seien Schritt für Schritt der Natur und Wahrheit immer näher getreten.
Beide hätten zugleich immer dem Geiste der Zeit und ihrer Dichtung entsprochen.
Auch in diesen Behauptungen aber vermißt man „die exacte Beobachtung der
wissenschaftlichen Methode." Zola hat Recht, daß für das alte akademische Vor¬
zimmer-Drama eine realistische Ausstattung der Bühne gar nicht gefordert war.
Sie würde die Unangemessenheit der Localität, das Lügnerische in der behaupteten
Durchführung der Einheit des Orts sehr oft nur um so schärfer haben hervor¬
treten lassen. In diesen Stücken, in denen nur der psychologische, nicht aber
der physiologische Mensch zur Erscheinung komme, bewege sich, sagt er, die Handlung
eigentlich ganz in der Luft. Ein bestimmter Ort sei gar nicht brauchbar für
sie. Es genüge die conventionelle Localität.

Natürlich ist auch dies übertrieben, doch hat es immerhin seine Wahrheit.
Wie aber verträgt es sich wohl mit der Thatsache, daß das gleichzeitige alt¬
englische Drama, das seiner Natur nach ganz realistisch und besonders bei Shake¬
speare so überaus malerisch ist, damals von der Decoration und dem histo¬
rischen Kostüm in einem noch größern Umfange als die Bühne Hardhs,
Corneilles und Racines absah und absehen konnte? Sind es nicht gerade die
Shakespearischen Dramen, welche dem heutigen Decorationsmaler und Kostümier
die größten, reizendsten Aufgaben stellen? Nun wohl! sie wurden bereits vor
fast dreihundert Jahren geschrieben! Shakespeares Dichtung war schon ganz
realistisch und naturalistisch — freilich nicht in dem Sinne Zolas —, denn sie
war dies ja nicht allein, sondern zugleich ganz idealistisch, symbolisch, phantasievoll,
romantisch, was dieser alles verwirft. Ihm standen zwar nicht die Hilfsmittel
der exacten Naturbeobachtung von heute zur Seite, aber wer von den heutigen
Dichtern hat ihn an Wahrheit und Tiefe der Beobachtung dessen, worauf es
im Drama wesentlich ankommt, übertroffen oder auch nur erreicht? Gleichwohl
sahen der Dichter und sein Publicum von der realistischen Decoration völlig ab.
die nach Zola heute eine so nothwendige Consequenz „des realistischen Bedürf¬
nisses ist, welches uns quält." Möglich, daß es so ist, obschon, wie ich glaube,
die Einführung der realistischen Decoration sich zunächst mehr auf die Bühnen¬
betriebsamkeit zurückführen lassen dürfte, welche auf diese Richtung der Zeit
speculirte und so ein Bedürfniß erzeugte, das man bis dahin noch nicht gekannt.
Es ist mehr als wahrscheinlich, daß man zu Shakespeares Zeit Decorationen
von der naturalistischen Wirkung der heutigen nicht hervorzubringen vermocht
haben würde, obwohl in Italien die decorative Kunst der Bühne bereits eine


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[0314] Zola und der Naturalismus auf dein Theater. Stützung zu bedürfe», durch die Evolution des Naturalismus, dieses Geistes der Logik und Wissenschaft, welcher die Gesellschaft bereits völlig umgestaltet." Auch auf dem Theater, „dieser letzten Schutzwehr des Conventionalismus," sieht er dazu schon die Anfänge in der Naturtreue und historischen Wahrheit der Decoration und des Kostüms. An der Entwicklung beider glaubt er über¬ haupt die Entwicklung des naturalistischen Gedankens nachweisen zu können. Beide seien Schritt für Schritt der Natur und Wahrheit immer näher getreten. Beide hätten zugleich immer dem Geiste der Zeit und ihrer Dichtung entsprochen. Auch in diesen Behauptungen aber vermißt man „die exacte Beobachtung der wissenschaftlichen Methode." Zola hat Recht, daß für das alte akademische Vor¬ zimmer-Drama eine realistische Ausstattung der Bühne gar nicht gefordert war. Sie würde die Unangemessenheit der Localität, das Lügnerische in der behaupteten Durchführung der Einheit des Orts sehr oft nur um so schärfer haben hervor¬ treten lassen. In diesen Stücken, in denen nur der psychologische, nicht aber der physiologische Mensch zur Erscheinung komme, bewege sich, sagt er, die Handlung eigentlich ganz in der Luft. Ein bestimmter Ort sei gar nicht brauchbar für sie. Es genüge die conventionelle Localität. Natürlich ist auch dies übertrieben, doch hat es immerhin seine Wahrheit. Wie aber verträgt es sich wohl mit der Thatsache, daß das gleichzeitige alt¬ englische Drama, das seiner Natur nach ganz realistisch und besonders bei Shake¬ speare so überaus malerisch ist, damals von der Decoration und dem histo¬ rischen Kostüm in einem noch größern Umfange als die Bühne Hardhs, Corneilles und Racines absah und absehen konnte? Sind es nicht gerade die Shakespearischen Dramen, welche dem heutigen Decorationsmaler und Kostümier die größten, reizendsten Aufgaben stellen? Nun wohl! sie wurden bereits vor fast dreihundert Jahren geschrieben! Shakespeares Dichtung war schon ganz realistisch und naturalistisch — freilich nicht in dem Sinne Zolas —, denn sie war dies ja nicht allein, sondern zugleich ganz idealistisch, symbolisch, phantasievoll, romantisch, was dieser alles verwirft. Ihm standen zwar nicht die Hilfsmittel der exacten Naturbeobachtung von heute zur Seite, aber wer von den heutigen Dichtern hat ihn an Wahrheit und Tiefe der Beobachtung dessen, worauf es im Drama wesentlich ankommt, übertroffen oder auch nur erreicht? Gleichwohl sahen der Dichter und sein Publicum von der realistischen Decoration völlig ab. die nach Zola heute eine so nothwendige Consequenz „des realistischen Bedürf¬ nisses ist, welches uns quält." Möglich, daß es so ist, obschon, wie ich glaube, die Einführung der realistischen Decoration sich zunächst mehr auf die Bühnen¬ betriebsamkeit zurückführen lassen dürfte, welche auf diese Richtung der Zeit speculirte und so ein Bedürfniß erzeugte, das man bis dahin noch nicht gekannt. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß man zu Shakespeares Zeit Decorationen von der naturalistischen Wirkung der heutigen nicht hervorzubringen vermocht haben würde, obwohl in Italien die decorative Kunst der Bühne bereits eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/314>, abgerufen am 15.05.2024.