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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zola und der Naturalismus auf dem Theater.

bewundernswürdige Höhe erreicht haben soll und Inigo Jones sie von dort
ans England übertrug, hier aber fast nur bei den Festen des Hofes und der
Großen zur Anwendung brachte. Es schien damals zu sehr im Interesse der
Bühuendirectoren zu liegen, den Aufwand der Bühnendecoration von sich ab¬
zulehnen, wogegen wir heute durch die Concurrenz gerade von ihnen in die
entgegengesetzte Richtung getrieben worden sind. Noch heute übt von der Bühne
aber das schimmernde, Glänzende auf viele eine fast größere Wirkung aus
als das Wahre, das sie in den meisten Fällen ja gar nicht zu beurtheilen
imstande sind.

Ich will damit durchaus nicht in Frage stellen, daß Decorationen, in künst¬
lerischem Sinne verwendet, die dramatische Wirkung eines Vorganges zu steigern
und zu ergänzen vermögen. Gerade in dieser Beziehung ist den gemäßigten und
einsichtsvollen Ansichten Zolas auch vollste Anerkennung zu zollen. Er ist ein
entschiedener Gegner alles überflüssigen Prunkes. Eine Decoration, welche nur um
ihrer eignen Wirkungen willen da ist, ist anch ihm, so interessant sie sein möchte,
nichts als eine unkünstlerischc Spekulation, welche die Dichtung nur zu verderben
geeignet ist. Er fordert sie nur als Ergänzung der psychologischen und physiolo¬
gischen Charakteristik, als Ergänzung der äußeren Bedingungen, unter denen sich
der Vorgang entwickelt und vollzieht. Er übersieht nur dabei, daß hierdurch
die naturalistische Wahrheit der künstlerischen Angemessenheit untergeordnet und
dnrch diese eingeschränkt wird, daß also sie der letzte Zweck des Kunstwerks nicht
sein kaun, wenn sie auch immer eine seiner nothwendigen Voraussetzungen ist.
Denn ob die historische Wahrheit für viele auch unverständlich ist, so sollte
der Mangel an ihr den Kenner doch niemals beleidigen oder stören; nur daß
darum die decorative Kunst nicht für den Historiker oder den Kunst- und Alter¬
thumsforscher gemacht erscheinen dürfte, sondern immer nur für den Dichter
und seine dichterischen Absichten. Sie wird im Gegentheil alles zu vermeiden
haben, was davon irgend ablenken könnte. Sie mit den möglichst einfachen
Mitteln zu fördern, wird daher immer das wahre Ziel des Dekorationsmalers
und Kostümiers sein müssen.

Doch auch noch ein anderes wird von Zola hier, wenn nicht übersehen,
so doch zu oberflächlich behandelt -- die Thatsache, daß die Decoration, so
wahr sie anch immer sein mag, die Convention der Bühne nie ganz über¬
winden kann, sondern immer Täuschungen mit sich führen wird, welche zum
Theil bemerkt werden müssen und nun um so störender wirken. Die geschlossene
Zimmerdecoration ist gewiß nicht das Bedeutendste, aber vielleicht das Vollendetste,
was die neue Decorationskunst hervorgebracht hat. Durch sie erst kann ein
häuslicher Vorgang den vollen vom Dichter beabsichtigten häuslichen Eindruck
macheu. Erst jetzt können sich die Personen annähernd wie in einem geschlossenen
Raume bewegen. Ich sage uur annähernd, weil immer zugleich in Rücksicht auf
die locale Anordnung der Zuschauer, eine Convention, der zu liebe ja auch die vierte


Grenzboten IV. 1881. 40
Zola und der Naturalismus auf dem Theater.

bewundernswürdige Höhe erreicht haben soll und Inigo Jones sie von dort
ans England übertrug, hier aber fast nur bei den Festen des Hofes und der
Großen zur Anwendung brachte. Es schien damals zu sehr im Interesse der
Bühuendirectoren zu liegen, den Aufwand der Bühnendecoration von sich ab¬
zulehnen, wogegen wir heute durch die Concurrenz gerade von ihnen in die
entgegengesetzte Richtung getrieben worden sind. Noch heute übt von der Bühne
aber das schimmernde, Glänzende auf viele eine fast größere Wirkung aus
als das Wahre, das sie in den meisten Fällen ja gar nicht zu beurtheilen
imstande sind.

Ich will damit durchaus nicht in Frage stellen, daß Decorationen, in künst¬
lerischem Sinne verwendet, die dramatische Wirkung eines Vorganges zu steigern
und zu ergänzen vermögen. Gerade in dieser Beziehung ist den gemäßigten und
einsichtsvollen Ansichten Zolas auch vollste Anerkennung zu zollen. Er ist ein
entschiedener Gegner alles überflüssigen Prunkes. Eine Decoration, welche nur um
ihrer eignen Wirkungen willen da ist, ist anch ihm, so interessant sie sein möchte,
nichts als eine unkünstlerischc Spekulation, welche die Dichtung nur zu verderben
geeignet ist. Er fordert sie nur als Ergänzung der psychologischen und physiolo¬
gischen Charakteristik, als Ergänzung der äußeren Bedingungen, unter denen sich
der Vorgang entwickelt und vollzieht. Er übersieht nur dabei, daß hierdurch
die naturalistische Wahrheit der künstlerischen Angemessenheit untergeordnet und
dnrch diese eingeschränkt wird, daß also sie der letzte Zweck des Kunstwerks nicht
sein kaun, wenn sie auch immer eine seiner nothwendigen Voraussetzungen ist.
Denn ob die historische Wahrheit für viele auch unverständlich ist, so sollte
der Mangel an ihr den Kenner doch niemals beleidigen oder stören; nur daß
darum die decorative Kunst nicht für den Historiker oder den Kunst- und Alter¬
thumsforscher gemacht erscheinen dürfte, sondern immer nur für den Dichter
und seine dichterischen Absichten. Sie wird im Gegentheil alles zu vermeiden
haben, was davon irgend ablenken könnte. Sie mit den möglichst einfachen
Mitteln zu fördern, wird daher immer das wahre Ziel des Dekorationsmalers
und Kostümiers sein müssen.

Doch auch noch ein anderes wird von Zola hier, wenn nicht übersehen,
so doch zu oberflächlich behandelt — die Thatsache, daß die Decoration, so
wahr sie anch immer sein mag, die Convention der Bühne nie ganz über¬
winden kann, sondern immer Täuschungen mit sich führen wird, welche zum
Theil bemerkt werden müssen und nun um so störender wirken. Die geschlossene
Zimmerdecoration ist gewiß nicht das Bedeutendste, aber vielleicht das Vollendetste,
was die neue Decorationskunst hervorgebracht hat. Durch sie erst kann ein
häuslicher Vorgang den vollen vom Dichter beabsichtigten häuslichen Eindruck
macheu. Erst jetzt können sich die Personen annähernd wie in einem geschlossenen
Raume bewegen. Ich sage uur annähernd, weil immer zugleich in Rücksicht auf
die locale Anordnung der Zuschauer, eine Convention, der zu liebe ja auch die vierte


Grenzboten IV. 1881. 40
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[0315] Zola und der Naturalismus auf dem Theater. bewundernswürdige Höhe erreicht haben soll und Inigo Jones sie von dort ans England übertrug, hier aber fast nur bei den Festen des Hofes und der Großen zur Anwendung brachte. Es schien damals zu sehr im Interesse der Bühuendirectoren zu liegen, den Aufwand der Bühnendecoration von sich ab¬ zulehnen, wogegen wir heute durch die Concurrenz gerade von ihnen in die entgegengesetzte Richtung getrieben worden sind. Noch heute übt von der Bühne aber das schimmernde, Glänzende auf viele eine fast größere Wirkung aus als das Wahre, das sie in den meisten Fällen ja gar nicht zu beurtheilen imstande sind. Ich will damit durchaus nicht in Frage stellen, daß Decorationen, in künst¬ lerischem Sinne verwendet, die dramatische Wirkung eines Vorganges zu steigern und zu ergänzen vermögen. Gerade in dieser Beziehung ist den gemäßigten und einsichtsvollen Ansichten Zolas auch vollste Anerkennung zu zollen. Er ist ein entschiedener Gegner alles überflüssigen Prunkes. Eine Decoration, welche nur um ihrer eignen Wirkungen willen da ist, ist anch ihm, so interessant sie sein möchte, nichts als eine unkünstlerischc Spekulation, welche die Dichtung nur zu verderben geeignet ist. Er fordert sie nur als Ergänzung der psychologischen und physiolo¬ gischen Charakteristik, als Ergänzung der äußeren Bedingungen, unter denen sich der Vorgang entwickelt und vollzieht. Er übersieht nur dabei, daß hierdurch die naturalistische Wahrheit der künstlerischen Angemessenheit untergeordnet und dnrch diese eingeschränkt wird, daß also sie der letzte Zweck des Kunstwerks nicht sein kaun, wenn sie auch immer eine seiner nothwendigen Voraussetzungen ist. Denn ob die historische Wahrheit für viele auch unverständlich ist, so sollte der Mangel an ihr den Kenner doch niemals beleidigen oder stören; nur daß darum die decorative Kunst nicht für den Historiker oder den Kunst- und Alter¬ thumsforscher gemacht erscheinen dürfte, sondern immer nur für den Dichter und seine dichterischen Absichten. Sie wird im Gegentheil alles zu vermeiden haben, was davon irgend ablenken könnte. Sie mit den möglichst einfachen Mitteln zu fördern, wird daher immer das wahre Ziel des Dekorationsmalers und Kostümiers sein müssen. Doch auch noch ein anderes wird von Zola hier, wenn nicht übersehen, so doch zu oberflächlich behandelt — die Thatsache, daß die Decoration, so wahr sie anch immer sein mag, die Convention der Bühne nie ganz über¬ winden kann, sondern immer Täuschungen mit sich führen wird, welche zum Theil bemerkt werden müssen und nun um so störender wirken. Die geschlossene Zimmerdecoration ist gewiß nicht das Bedeutendste, aber vielleicht das Vollendetste, was die neue Decorationskunst hervorgebracht hat. Durch sie erst kann ein häuslicher Vorgang den vollen vom Dichter beabsichtigten häuslichen Eindruck macheu. Erst jetzt können sich die Personen annähernd wie in einem geschlossenen Raume bewegen. Ich sage uur annähernd, weil immer zugleich in Rücksicht auf die locale Anordnung der Zuschauer, eine Convention, der zu liebe ja auch die vierte Grenzboten IV. 1881. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/315>, abgerufen am 29.05.2024.