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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus dem Tagebuche eines Reactiona'rs.

Theil der Besatzung meutert, fehlt das Erkennen der Gefahr oder der Wille,
sie zu bestehen,




Heute habe ich gelesen, der Kanzler sei im Irrthum, wenn er die Oppo¬
sition gegen ihn als persönliche auffasse, er brauche sich nnr den Liberalen wieder
zu nähern, so werde man ihm gern folgen. Wie liebenswürdig! Er braucht
bloß seine Ueberzeugung zu opfern, eine solche Kleinigkeit verlangt man von
ihm, und er kann sich noch besinnen!




Die Gutmüthigkeit der Nationalgcsinnten geht wirklich weit, Sie halten
die fortschrittlichen Zeitungen und iuseriren in dieselben, besteuern sich also zu
Gunsten ihrer erbittertsten Feinde, Wie nennt man das im Kriege? Und be¬
finden wir uns nicht im Kriegszustande?




Der Annoneenagcnt macht das Glück der Zeitung, natürlich mich sein
eignes. Mit großem Vergnügen beobachte ich, wie das ganze "Geschäft" sich
in immer weniger Händen concentrirt, denn umsoweniger Schwierigl'eilen wird
es machen, die Privatmonopvlisten abzufinden, wenn der Staat einmal das An-
zeigenmonopvl für sich reclamirt. Und das wird doch einmal geschehen müssen,
um die Zeitungen aus jener schmählichen Abhängigkeit zu erlösen.




"Was wird Schlözer dazu sagen?" soll, ich weiß nicht mehr ob Maria
Theresia oder Joseph II. bei jeder wichtigen Regieruugsmaßregcl gefragt haben.
Heutzutage sitzt in jedem Krähwinkel wenigstens ein Schlözer, vor dessen Kritik
vielleicht nicht die Fürsten, aber seine Mitbürger zittern. Was wird die Zei¬
tung dazu sagen -- nein: was würde sie sagen? fragt jeder Vorsichtige, wenn
ihn einmal die Lust anwandelt, eigne Gedanken zu haben und zu äußern, unter¬
drückt das Gelüsten, wartet, bis ihm die Zeitung vorgedacht hat, und giebt
dann die journalistisch approbirte Meinung als Product seines -- Nachdenkens
aus. Und hat er nicht ein Recht dazu?
----




So viele Schlözer wir haben, so viele Lessinge haben wir auch. Das
Forschen nach Wahrheit liegt ihnen fast noch mehr am Herzen als die Wahrheit
selbst. Wie gründlich durchstöbern sie Papierkörbe und ähnliche Archive, wie
unermüdlich horchen sie Portiers und Lvhnlakeien aus und erkunden jede" Schritt
eines Staatsmanns oder einer Ballettänzerin! Wie röthet schöner Stolz die
edlen Züge, wenn es geglückt ist, ein Staats- oder ein Toiletteugeheimniß zu
erspähen und zu verrathen -- früher als alle andern Zeitungen! Nur kleine
Seelen können daran Anstoß nehmen, daß manchmal das vorzeitige Bekannt¬
machen eines Geheimnisses das Laudesiuteresse schädigt: Die Wahrheit über alles.




Aus dem Tagebuche eines Reactiona'rs.

Theil der Besatzung meutert, fehlt das Erkennen der Gefahr oder der Wille,
sie zu bestehen,




Heute habe ich gelesen, der Kanzler sei im Irrthum, wenn er die Oppo¬
sition gegen ihn als persönliche auffasse, er brauche sich nnr den Liberalen wieder
zu nähern, so werde man ihm gern folgen. Wie liebenswürdig! Er braucht
bloß seine Ueberzeugung zu opfern, eine solche Kleinigkeit verlangt man von
ihm, und er kann sich noch besinnen!




Die Gutmüthigkeit der Nationalgcsinnten geht wirklich weit, Sie halten
die fortschrittlichen Zeitungen und iuseriren in dieselben, besteuern sich also zu
Gunsten ihrer erbittertsten Feinde, Wie nennt man das im Kriege? Und be¬
finden wir uns nicht im Kriegszustande?




Der Annoneenagcnt macht das Glück der Zeitung, natürlich mich sein
eignes. Mit großem Vergnügen beobachte ich, wie das ganze „Geschäft" sich
in immer weniger Händen concentrirt, denn umsoweniger Schwierigl'eilen wird
es machen, die Privatmonopvlisten abzufinden, wenn der Staat einmal das An-
zeigenmonopvl für sich reclamirt. Und das wird doch einmal geschehen müssen,
um die Zeitungen aus jener schmählichen Abhängigkeit zu erlösen.




„Was wird Schlözer dazu sagen?" soll, ich weiß nicht mehr ob Maria
Theresia oder Joseph II. bei jeder wichtigen Regieruugsmaßregcl gefragt haben.
Heutzutage sitzt in jedem Krähwinkel wenigstens ein Schlözer, vor dessen Kritik
vielleicht nicht die Fürsten, aber seine Mitbürger zittern. Was wird die Zei¬
tung dazu sagen — nein: was würde sie sagen? fragt jeder Vorsichtige, wenn
ihn einmal die Lust anwandelt, eigne Gedanken zu haben und zu äußern, unter¬
drückt das Gelüsten, wartet, bis ihm die Zeitung vorgedacht hat, und giebt
dann die journalistisch approbirte Meinung als Product seines — Nachdenkens
aus. Und hat er nicht ein Recht dazu?
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So viele Schlözer wir haben, so viele Lessinge haben wir auch. Das
Forschen nach Wahrheit liegt ihnen fast noch mehr am Herzen als die Wahrheit
selbst. Wie gründlich durchstöbern sie Papierkörbe und ähnliche Archive, wie
unermüdlich horchen sie Portiers und Lvhnlakeien aus und erkunden jede» Schritt
eines Staatsmanns oder einer Ballettänzerin! Wie röthet schöner Stolz die
edlen Züge, wenn es geglückt ist, ein Staats- oder ein Toiletteugeheimniß zu
erspähen und zu verrathen — früher als alle andern Zeitungen! Nur kleine
Seelen können daran Anstoß nehmen, daß manchmal das vorzeitige Bekannt¬
machen eines Geheimnisses das Laudesiuteresse schädigt: Die Wahrheit über alles.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/340>, abgerufen am 28.05.2024.