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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ans dem Tagobuche eines Reaclioncus.

Kleine Seelen halten sich auch darüber auf, daß manche Zeitungen so viele
Lügen auftischen. Aber was bleibt ihnen übrig, wenn ihnen die interessanten
Wahrheiten geflissentlich vorenthalten werden? Würden die Reporter zu den
Conferenzen der Minister und Gesandten zugezogen, so brauchten sie nicht das
arme Gehirn mit Erfindungen abzuplagen.




Wippcheu -- wenn diese Figur ein Reactionär erfunden hätte! Aber es
ist besser so, Wippchen wird nun als classisches Beispiel der Selbstiromsirung
auf die Nachwelt kommen.




"Die Wunden, welche die Presse schlägt, heilt sie auch wieder." Was
diese eben so schöne wie beliebte Phrase mit oder ohne mythologische Ver-
brämung besagen will, lehrt die tägliche Erfahrung. Die A-Zeitung sagt mir
etwas Ehrenrühriges nach, ohne mir eine "Injurie" anzuthun; ich schicke ihr
eine Berichtigung, sie druckt dieselbe verstümmelt oder verelcmsulirt ab; ich zwinge
sie endlich, mich unbeschränkt zu Worte kommen zu lassen, und so wird die
Wunde geheilt. Die B--Z-Zeitung aber, welche sich beeilt haben, die Ver¬
leumdung nachzudrucken, kümmern sich nicht um meine Entgegnung. Kann ich
mit jeder einzeln anbinden? Erfahre ich überhaupt, wie weit und wohin die
Verleumdung verbreitet worden? Und der biedere Staatsbürger sagt bei der
Lectüre meiner Berichtigung mit verschmitztem Lächeln: "Etwas wird schon
daran sein, aus den Fingern saugt man sich solche Dinge nicht." Lölllxsr
Äiauiä Im.A'ot. So heilt der Speer die Wunde.




"Die Regierung geht damit um...," "Der Minister soll gesagt haben...,"
"Dem Vernehmen nach ist...," "Die Maßregel macht allgemein den un¬
günstigsten Eindruck.. ." -- dürfte man dem Ursprung all dieser Lügen nach¬
forschen, so würde sich fast immer herausstellen, daß Herr Thuiskv Cohn von
Herrn Lionel Goldzweig gehört hat, was der Minister gesagt haben soll, und
daß letztrer von ersterm "vernommen" hat, und daß beide zusammen die "All¬
gemeinheit" sind, deren Stimmung sie in ihren Korrespondenzen Ausdruck geben.
Bieten die Gesetzbücher gegen solche Umtriebe wirklich keinen Schutz, die doch sonst
die "Irreführung," z. B. bei Bcmkrottirern, zu berücksichtigen pflegen?




Das Publicum soll sich selbst schützen, es soll Strafbestimmungen über¬
flüssig macheu -- ja wohl, es sollte. Aber wenn es wirklich alles thäte, was
es von rechtswegen thun sollte, so brauchten wir überhaupt viel weniger Ge-
s ^ ctzesparagraphen und Polizeivorschriften.




Ans dem Tagobuche eines Reaclioncus.

Kleine Seelen halten sich auch darüber auf, daß manche Zeitungen so viele
Lügen auftischen. Aber was bleibt ihnen übrig, wenn ihnen die interessanten
Wahrheiten geflissentlich vorenthalten werden? Würden die Reporter zu den
Conferenzen der Minister und Gesandten zugezogen, so brauchten sie nicht das
arme Gehirn mit Erfindungen abzuplagen.




Wippcheu — wenn diese Figur ein Reactionär erfunden hätte! Aber es
ist besser so, Wippchen wird nun als classisches Beispiel der Selbstiromsirung
auf die Nachwelt kommen.




„Die Wunden, welche die Presse schlägt, heilt sie auch wieder." Was
diese eben so schöne wie beliebte Phrase mit oder ohne mythologische Ver-
brämung besagen will, lehrt die tägliche Erfahrung. Die A-Zeitung sagt mir
etwas Ehrenrühriges nach, ohne mir eine „Injurie" anzuthun; ich schicke ihr
eine Berichtigung, sie druckt dieselbe verstümmelt oder verelcmsulirt ab; ich zwinge
sie endlich, mich unbeschränkt zu Worte kommen zu lassen, und so wird die
Wunde geheilt. Die B—Z-Zeitung aber, welche sich beeilt haben, die Ver¬
leumdung nachzudrucken, kümmern sich nicht um meine Entgegnung. Kann ich
mit jeder einzeln anbinden? Erfahre ich überhaupt, wie weit und wohin die
Verleumdung verbreitet worden? Und der biedere Staatsbürger sagt bei der
Lectüre meiner Berichtigung mit verschmitztem Lächeln: „Etwas wird schon
daran sein, aus den Fingern saugt man sich solche Dinge nicht." Lölllxsr
Äiauiä Im.A'ot. So heilt der Speer die Wunde.




„Die Regierung geht damit um...," „Der Minister soll gesagt haben...,"
„Dem Vernehmen nach ist...," „Die Maßregel macht allgemein den un¬
günstigsten Eindruck.. ." — dürfte man dem Ursprung all dieser Lügen nach¬
forschen, so würde sich fast immer herausstellen, daß Herr Thuiskv Cohn von
Herrn Lionel Goldzweig gehört hat, was der Minister gesagt haben soll, und
daß letztrer von ersterm „vernommen" hat, und daß beide zusammen die „All¬
gemeinheit" sind, deren Stimmung sie in ihren Korrespondenzen Ausdruck geben.
Bieten die Gesetzbücher gegen solche Umtriebe wirklich keinen Schutz, die doch sonst
die „Irreführung," z. B. bei Bcmkrottirern, zu berücksichtigen pflegen?




Das Publicum soll sich selbst schützen, es soll Strafbestimmungen über¬
flüssig macheu — ja wohl, es sollte. Aber wenn es wirklich alles thäte, was
es von rechtswegen thun sollte, so brauchten wir überhaupt viel weniger Ge-
s ^ ctzesparagraphen und Polizeivorschriften.




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[0341] Ans dem Tagobuche eines Reaclioncus. Kleine Seelen halten sich auch darüber auf, daß manche Zeitungen so viele Lügen auftischen. Aber was bleibt ihnen übrig, wenn ihnen die interessanten Wahrheiten geflissentlich vorenthalten werden? Würden die Reporter zu den Conferenzen der Minister und Gesandten zugezogen, so brauchten sie nicht das arme Gehirn mit Erfindungen abzuplagen. Wippcheu — wenn diese Figur ein Reactionär erfunden hätte! Aber es ist besser so, Wippchen wird nun als classisches Beispiel der Selbstiromsirung auf die Nachwelt kommen. „Die Wunden, welche die Presse schlägt, heilt sie auch wieder." Was diese eben so schöne wie beliebte Phrase mit oder ohne mythologische Ver- brämung besagen will, lehrt die tägliche Erfahrung. Die A-Zeitung sagt mir etwas Ehrenrühriges nach, ohne mir eine „Injurie" anzuthun; ich schicke ihr eine Berichtigung, sie druckt dieselbe verstümmelt oder verelcmsulirt ab; ich zwinge sie endlich, mich unbeschränkt zu Worte kommen zu lassen, und so wird die Wunde geheilt. Die B—Z-Zeitung aber, welche sich beeilt haben, die Ver¬ leumdung nachzudrucken, kümmern sich nicht um meine Entgegnung. Kann ich mit jeder einzeln anbinden? Erfahre ich überhaupt, wie weit und wohin die Verleumdung verbreitet worden? Und der biedere Staatsbürger sagt bei der Lectüre meiner Berichtigung mit verschmitztem Lächeln: „Etwas wird schon daran sein, aus den Fingern saugt man sich solche Dinge nicht." Lölllxsr Äiauiä Im.A'ot. So heilt der Speer die Wunde. „Die Regierung geht damit um...," „Der Minister soll gesagt haben...," „Dem Vernehmen nach ist...," „Die Maßregel macht allgemein den un¬ günstigsten Eindruck.. ." — dürfte man dem Ursprung all dieser Lügen nach¬ forschen, so würde sich fast immer herausstellen, daß Herr Thuiskv Cohn von Herrn Lionel Goldzweig gehört hat, was der Minister gesagt haben soll, und daß letztrer von ersterm „vernommen" hat, und daß beide zusammen die „All¬ gemeinheit" sind, deren Stimmung sie in ihren Korrespondenzen Ausdruck geben. Bieten die Gesetzbücher gegen solche Umtriebe wirklich keinen Schutz, die doch sonst die „Irreführung," z. B. bei Bcmkrottirern, zu berücksichtigen pflegen? Das Publicum soll sich selbst schützen, es soll Strafbestimmungen über¬ flüssig macheu — ja wohl, es sollte. Aber wenn es wirklich alles thäte, was es von rechtswegen thun sollte, so brauchten wir überhaupt viel weniger Ge- s ^ ctzesparagraphen und Polizeivorschriften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/341>, abgerufen am 14.05.2024.