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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ueber Feuerbach ergoß sich eine förmliche Fluth von Schmähungen, namentlich
in Wiener Blättern, wegen des genannten Schlachtstückes; und seinem "Titancn-
sturz", der auf der letzten Münchener Ausstellung erschien, wurde, wenn auch
einige Stimmen sich zu seiner Vertheidigung erhoben, noch übler mitgespielt."

Wenn aber die Kritik auf die nervöse Reizbarkeit eines jeden Künstlers
Rücksicht nehmen soll, dann werden die Künstler gut thun, mit ihren Gemälden
und Statuen zugleich auch ihre ärztlichen Älteste auszustellen, damit sich der
Kritiker über den Zustand ihres Nervensystems informiren und darnach das Maß
seines Lobes und Tadels einrichten kann. Man glaubt nicht, was für eine
unendliche Masse von Lob manche Künstler vertragen können, ohne im geringsten
aus der Fassung zu kommeu, wührcud sie schon die leiseste Bemäkelung einer
Kleinigkeit nach Gift n"d Dolch schreien läßt.

Es steht unter den Künstlern unerschütterlich sest, daß jede abfällige Kritik
aus den gemeinsten Motive" entsprungen sei. Bosheit, Niedertracht und Hinterlist
sind die Ausdrücke, die ich persönlich am meisten zu hören und zu lesen be¬
kommen habe, freilich ohne daß mein Nervensystem dadurch im geringsten ciffieirt
worden wäre. Daß Graf Schack anch zu dieser menschenfreundlichen Gruppe
gehört, welche die Kritiker sozusagen als den Auswurf der Menschheit betrachten,
muß ich aufs lebhafteste bedauern, weil das Bild, welches ich mir nach seinen
Schriften und nach seiner vpfermnthigen Thätigkeit für die höchsten Ziele der
Kunst von ihm entworfen habe, dadurch verdunkelt wird. Ich glaubte ihn er¬
haben über die kleinliche Art der Polemik, welche bei dem Gegner immer nach
den niedrigsten Motiven sucht.

Wenn ich die Discussion auf das persönliche Gebiet übertragen habe, so
geschah es deshalb, weil ich selbst durch die Vorwürfe berührt werde, die Graf
Schack gegen die Tageskritik erhebt. Diejenige" Leser der "Grenzboten," welche
ein g"tes Gedächtniß haben, werden sich vielleicht eines Essays erinnern, in
welchem ich die künstlerischen Principien Feuerbachs einer scharfen Kritik unter¬
zogen habe, und anch anderswo habe ich es mir stets angelegen sein lassen,
diese Principien zu bekämpfen. Auch ich habe zu denjenigen gehört, welche die
"Amazoncnschlacht" und den "Titanenstnrz" schonungslos bekämpft haben, einzig
und allein von der Absicht geleitet, andre Künstler zu warnen, einen Pfad zu
betreten, welcher nach meiner Meinung sie und die deutsche Kunst einer krank¬
haften Richtung und schließlich dem Abgrunde zuführen würde. Ich halte das
für das Recht, für die höchste Pflicht der Kritik. Wen" ihr jenes genommen
wird, kann sie diese nicht mehr erfüllen. Der Tod Feuerbachs ist, ich wieder¬
hole es, im höchsten Grade beklagenswerth; aber der Kritik ist keine Schuld
beizumessen, sondern seiner innern Zerrissenheit, welche ihn nirgends einen Halt
gewinnen ließ. Er wußte sich nicht in die Verhältnisse zu schicken -- diese
prosaische Thatsache ist das Fatum gewesen, das seinen Tod beschleunigt hat.
Der "Titanenstnrz" ist das Symbol seines Lebens. Er wollte den Ossa ans


Ueber Feuerbach ergoß sich eine förmliche Fluth von Schmähungen, namentlich
in Wiener Blättern, wegen des genannten Schlachtstückes; und seinem »Titancn-
sturz«, der auf der letzten Münchener Ausstellung erschien, wurde, wenn auch
einige Stimmen sich zu seiner Vertheidigung erhoben, noch übler mitgespielt."

Wenn aber die Kritik auf die nervöse Reizbarkeit eines jeden Künstlers
Rücksicht nehmen soll, dann werden die Künstler gut thun, mit ihren Gemälden
und Statuen zugleich auch ihre ärztlichen Älteste auszustellen, damit sich der
Kritiker über den Zustand ihres Nervensystems informiren und darnach das Maß
seines Lobes und Tadels einrichten kann. Man glaubt nicht, was für eine
unendliche Masse von Lob manche Künstler vertragen können, ohne im geringsten
aus der Fassung zu kommeu, wührcud sie schon die leiseste Bemäkelung einer
Kleinigkeit nach Gift n»d Dolch schreien läßt.

Es steht unter den Künstlern unerschütterlich sest, daß jede abfällige Kritik
aus den gemeinsten Motive» entsprungen sei. Bosheit, Niedertracht und Hinterlist
sind die Ausdrücke, die ich persönlich am meisten zu hören und zu lesen be¬
kommen habe, freilich ohne daß mein Nervensystem dadurch im geringsten ciffieirt
worden wäre. Daß Graf Schack anch zu dieser menschenfreundlichen Gruppe
gehört, welche die Kritiker sozusagen als den Auswurf der Menschheit betrachten,
muß ich aufs lebhafteste bedauern, weil das Bild, welches ich mir nach seinen
Schriften und nach seiner vpfermnthigen Thätigkeit für die höchsten Ziele der
Kunst von ihm entworfen habe, dadurch verdunkelt wird. Ich glaubte ihn er¬
haben über die kleinliche Art der Polemik, welche bei dem Gegner immer nach
den niedrigsten Motiven sucht.

Wenn ich die Discussion auf das persönliche Gebiet übertragen habe, so
geschah es deshalb, weil ich selbst durch die Vorwürfe berührt werde, die Graf
Schack gegen die Tageskritik erhebt. Diejenige» Leser der „Grenzboten," welche
ein g»tes Gedächtniß haben, werden sich vielleicht eines Essays erinnern, in
welchem ich die künstlerischen Principien Feuerbachs einer scharfen Kritik unter¬
zogen habe, und anch anderswo habe ich es mir stets angelegen sein lassen,
diese Principien zu bekämpfen. Auch ich habe zu denjenigen gehört, welche die
„Amazoncnschlacht" und den „Titanenstnrz" schonungslos bekämpft haben, einzig
und allein von der Absicht geleitet, andre Künstler zu warnen, einen Pfad zu
betreten, welcher nach meiner Meinung sie und die deutsche Kunst einer krank¬
haften Richtung und schließlich dem Abgrunde zuführen würde. Ich halte das
für das Recht, für die höchste Pflicht der Kritik. Wen» ihr jenes genommen
wird, kann sie diese nicht mehr erfüllen. Der Tod Feuerbachs ist, ich wieder¬
hole es, im höchsten Grade beklagenswerth; aber der Kritik ist keine Schuld
beizumessen, sondern seiner innern Zerrissenheit, welche ihn nirgends einen Halt
gewinnen ließ. Er wußte sich nicht in die Verhältnisse zu schicken — diese
prosaische Thatsache ist das Fatum gewesen, das seinen Tod beschleunigt hat.
Der „Titanenstnrz" ist das Symbol seines Lebens. Er wollte den Ossa ans


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[0380] Ueber Feuerbach ergoß sich eine förmliche Fluth von Schmähungen, namentlich in Wiener Blättern, wegen des genannten Schlachtstückes; und seinem »Titancn- sturz«, der auf der letzten Münchener Ausstellung erschien, wurde, wenn auch einige Stimmen sich zu seiner Vertheidigung erhoben, noch übler mitgespielt." Wenn aber die Kritik auf die nervöse Reizbarkeit eines jeden Künstlers Rücksicht nehmen soll, dann werden die Künstler gut thun, mit ihren Gemälden und Statuen zugleich auch ihre ärztlichen Älteste auszustellen, damit sich der Kritiker über den Zustand ihres Nervensystems informiren und darnach das Maß seines Lobes und Tadels einrichten kann. Man glaubt nicht, was für eine unendliche Masse von Lob manche Künstler vertragen können, ohne im geringsten aus der Fassung zu kommeu, wührcud sie schon die leiseste Bemäkelung einer Kleinigkeit nach Gift n»d Dolch schreien läßt. Es steht unter den Künstlern unerschütterlich sest, daß jede abfällige Kritik aus den gemeinsten Motive» entsprungen sei. Bosheit, Niedertracht und Hinterlist sind die Ausdrücke, die ich persönlich am meisten zu hören und zu lesen be¬ kommen habe, freilich ohne daß mein Nervensystem dadurch im geringsten ciffieirt worden wäre. Daß Graf Schack anch zu dieser menschenfreundlichen Gruppe gehört, welche die Kritiker sozusagen als den Auswurf der Menschheit betrachten, muß ich aufs lebhafteste bedauern, weil das Bild, welches ich mir nach seinen Schriften und nach seiner vpfermnthigen Thätigkeit für die höchsten Ziele der Kunst von ihm entworfen habe, dadurch verdunkelt wird. Ich glaubte ihn er¬ haben über die kleinliche Art der Polemik, welche bei dem Gegner immer nach den niedrigsten Motiven sucht. Wenn ich die Discussion auf das persönliche Gebiet übertragen habe, so geschah es deshalb, weil ich selbst durch die Vorwürfe berührt werde, die Graf Schack gegen die Tageskritik erhebt. Diejenige» Leser der „Grenzboten," welche ein g»tes Gedächtniß haben, werden sich vielleicht eines Essays erinnern, in welchem ich die künstlerischen Principien Feuerbachs einer scharfen Kritik unter¬ zogen habe, und anch anderswo habe ich es mir stets angelegen sein lassen, diese Principien zu bekämpfen. Auch ich habe zu denjenigen gehört, welche die „Amazoncnschlacht" und den „Titanenstnrz" schonungslos bekämpft haben, einzig und allein von der Absicht geleitet, andre Künstler zu warnen, einen Pfad zu betreten, welcher nach meiner Meinung sie und die deutsche Kunst einer krank¬ haften Richtung und schließlich dem Abgrunde zuführen würde. Ich halte das für das Recht, für die höchste Pflicht der Kritik. Wen» ihr jenes genommen wird, kann sie diese nicht mehr erfüllen. Der Tod Feuerbachs ist, ich wieder¬ hole es, im höchsten Grade beklagenswerth; aber der Kritik ist keine Schuld beizumessen, sondern seiner innern Zerrissenheit, welche ihn nirgends einen Halt gewinnen ließ. Er wußte sich nicht in die Verhältnisse zu schicken — diese prosaische Thatsache ist das Fatum gewesen, das seinen Tod beschleunigt hat. Der „Titanenstnrz" ist das Symbol seines Lebens. Er wollte den Ossa ans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/380>, abgerufen am 31.05.2024.