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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Gin halbasicitischor Roman.

kannten Termin, völlig fremden Zustünden und Sitten vertraut zu machen,
schwer auf die rein poetische Gestaltung drückt. Indeß, der gute historische
Roman kämpft mit der gleichen Schmierigkeit. Der Preis wird dein zu theil,
der ohne lehrhafte Abschweifungen und rein prosaische Auseinandersetzungen
alles was zu wissen nöthig ist, in den Gang seiner Erzählung verflicht; warum
sollte es im "ethnographischen" Roman anders sein? "Ein Kampf ums Recht" ist
überall da um bedeutendsten und ergreifendsten, wo der Verfasser in eine be¬
deutsame, dem Leser lebendig vor Augen gestellte Situation die Dinge einbe¬
zieht, welche er sonst oft im bloß referirenden Tone dem eigentlichen Fortgang
seiner Handlung vorausschickt. Kein Leser wird ohne wahrhafte innere Theil¬
nahme an Scenen wie die im Bureau des Advocaten Starkowski, wo Taras
Barabola, schon die letzten verzweifelten Entschlüsse in seinem Sinne tragend,
plötzlich den Namen des Kaisers als dessen, der noch Hilfe schaffen könne, nennen
hört und wie erlöst aufjauchzt, oder wie die Ankunft des Helden im Hause des
Popen vou Zulawce nach seiner Wiener Reise und den schlichtgedräugten Bericht
von eben dieser Reise, wie die Schilderhebung des Taras am Palmsonntag oder
wie die Scenen gegen den Schluß des zweiten Theiles, in denen der "Rächer"
entdeckt, daß er in Bossowka mit seinem Gericht einen Mord begangen hat und
nun seine ohnehin zusammengeschmolzene Schaar auflöst und Abschied von den
letzten Getreuen nimmt, zurückdenken. Doch gerade diese Scenen erweisen, daß
der Roman dnrch eine der Stärke und Ausgiebigkeit des eigentlich poetischen
Motivs gemein entsprechende Zusammenziehung wesentlich gewonnen hätte. Die
Verbreiterung des Romans hat nothwendigerweise zur Vorführung einer ganzen
Reihe von Genrebildern und Episoden verleitet, die zum Grundgedanken des
"Kampfs ums Recht" in gar keinem oder sehr entferntem Bezug stehen. Daß
dieselben zum Theil recht unterhaltend und charakteristisch sind, so z. B. die
Figur und die chamälcvnartige Selbstbiographie des Herrn Thaddcius von Ba-
zanski, des "Helden von Ostrolenka," oder die Verlobung des Herrn Wenzel
Hajek mit der Gräfin Wanda Koninski, ändert an der Thatsache nichts, daß
sie mit der ursprünglichen Anlage des Romans, die alle Weiterentwicklung der
Handlung an Figur und Schicksal des Helden gebunden hat, nicht zusammen-
stimmen. Indeß fügen sich diese Theile in den Rahmen des Ganzen doch immer
noch leichter ein und heben den Ton poetischer Darstellung nicht soweit auf
als die früher erwähnten zahlreichen Land- und Voltsschildernngen.

Der Stil des Franzosschen Romanes ist leicht und lebendig, er bekundet
einen Schriftsteller, dem im entscheidenden Moment die volle Beherrschung des
Worts, der treffende Ton zu Gebote steht. Aber er leidet gleichfalls unter der
Ungleichheit, welche sich aus dem Wechsel poetischer und bloß referirender Dar¬
stellungsweise ergiebt. Die Gewohnheit, in der Feuilletonplauderei sich gehen
zu lassen und gelegentlich die kräftigsten Ausdrücke der Studentensprache in die
Schriftsprache einzuführen, spielt dem Verfasser leidige Streiche. Der Roman


Grenzboten VI. 18SI. L4
Gin halbasicitischor Roman.

kannten Termin, völlig fremden Zustünden und Sitten vertraut zu machen,
schwer auf die rein poetische Gestaltung drückt. Indeß, der gute historische
Roman kämpft mit der gleichen Schmierigkeit. Der Preis wird dein zu theil,
der ohne lehrhafte Abschweifungen und rein prosaische Auseinandersetzungen
alles was zu wissen nöthig ist, in den Gang seiner Erzählung verflicht; warum
sollte es im „ethnographischen" Roman anders sein? „Ein Kampf ums Recht" ist
überall da um bedeutendsten und ergreifendsten, wo der Verfasser in eine be¬
deutsame, dem Leser lebendig vor Augen gestellte Situation die Dinge einbe¬
zieht, welche er sonst oft im bloß referirenden Tone dem eigentlichen Fortgang
seiner Handlung vorausschickt. Kein Leser wird ohne wahrhafte innere Theil¬
nahme an Scenen wie die im Bureau des Advocaten Starkowski, wo Taras
Barabola, schon die letzten verzweifelten Entschlüsse in seinem Sinne tragend,
plötzlich den Namen des Kaisers als dessen, der noch Hilfe schaffen könne, nennen
hört und wie erlöst aufjauchzt, oder wie die Ankunft des Helden im Hause des
Popen vou Zulawce nach seiner Wiener Reise und den schlichtgedräugten Bericht
von eben dieser Reise, wie die Schilderhebung des Taras am Palmsonntag oder
wie die Scenen gegen den Schluß des zweiten Theiles, in denen der „Rächer"
entdeckt, daß er in Bossowka mit seinem Gericht einen Mord begangen hat und
nun seine ohnehin zusammengeschmolzene Schaar auflöst und Abschied von den
letzten Getreuen nimmt, zurückdenken. Doch gerade diese Scenen erweisen, daß
der Roman dnrch eine der Stärke und Ausgiebigkeit des eigentlich poetischen
Motivs gemein entsprechende Zusammenziehung wesentlich gewonnen hätte. Die
Verbreiterung des Romans hat nothwendigerweise zur Vorführung einer ganzen
Reihe von Genrebildern und Episoden verleitet, die zum Grundgedanken des
„Kampfs ums Recht" in gar keinem oder sehr entferntem Bezug stehen. Daß
dieselben zum Theil recht unterhaltend und charakteristisch sind, so z. B. die
Figur und die chamälcvnartige Selbstbiographie des Herrn Thaddcius von Ba-
zanski, des „Helden von Ostrolenka," oder die Verlobung des Herrn Wenzel
Hajek mit der Gräfin Wanda Koninski, ändert an der Thatsache nichts, daß
sie mit der ursprünglichen Anlage des Romans, die alle Weiterentwicklung der
Handlung an Figur und Schicksal des Helden gebunden hat, nicht zusammen-
stimmen. Indeß fügen sich diese Theile in den Rahmen des Ganzen doch immer
noch leichter ein und heben den Ton poetischer Darstellung nicht soweit auf
als die früher erwähnten zahlreichen Land- und Voltsschildernngen.

Der Stil des Franzosschen Romanes ist leicht und lebendig, er bekundet
einen Schriftsteller, dem im entscheidenden Moment die volle Beherrschung des
Worts, der treffende Ton zu Gebote steht. Aber er leidet gleichfalls unter der
Ungleichheit, welche sich aus dem Wechsel poetischer und bloß referirender Dar¬
stellungsweise ergiebt. Die Gewohnheit, in der Feuilletonplauderei sich gehen
zu lassen und gelegentlich die kräftigsten Ausdrücke der Studentensprache in die
Schriftsprache einzuführen, spielt dem Verfasser leidige Streiche. Der Roman


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[0427] Gin halbasicitischor Roman. kannten Termin, völlig fremden Zustünden und Sitten vertraut zu machen, schwer auf die rein poetische Gestaltung drückt. Indeß, der gute historische Roman kämpft mit der gleichen Schmierigkeit. Der Preis wird dein zu theil, der ohne lehrhafte Abschweifungen und rein prosaische Auseinandersetzungen alles was zu wissen nöthig ist, in den Gang seiner Erzählung verflicht; warum sollte es im „ethnographischen" Roman anders sein? „Ein Kampf ums Recht" ist überall da um bedeutendsten und ergreifendsten, wo der Verfasser in eine be¬ deutsame, dem Leser lebendig vor Augen gestellte Situation die Dinge einbe¬ zieht, welche er sonst oft im bloß referirenden Tone dem eigentlichen Fortgang seiner Handlung vorausschickt. Kein Leser wird ohne wahrhafte innere Theil¬ nahme an Scenen wie die im Bureau des Advocaten Starkowski, wo Taras Barabola, schon die letzten verzweifelten Entschlüsse in seinem Sinne tragend, plötzlich den Namen des Kaisers als dessen, der noch Hilfe schaffen könne, nennen hört und wie erlöst aufjauchzt, oder wie die Ankunft des Helden im Hause des Popen vou Zulawce nach seiner Wiener Reise und den schlichtgedräugten Bericht von eben dieser Reise, wie die Schilderhebung des Taras am Palmsonntag oder wie die Scenen gegen den Schluß des zweiten Theiles, in denen der „Rächer" entdeckt, daß er in Bossowka mit seinem Gericht einen Mord begangen hat und nun seine ohnehin zusammengeschmolzene Schaar auflöst und Abschied von den letzten Getreuen nimmt, zurückdenken. Doch gerade diese Scenen erweisen, daß der Roman dnrch eine der Stärke und Ausgiebigkeit des eigentlich poetischen Motivs gemein entsprechende Zusammenziehung wesentlich gewonnen hätte. Die Verbreiterung des Romans hat nothwendigerweise zur Vorführung einer ganzen Reihe von Genrebildern und Episoden verleitet, die zum Grundgedanken des „Kampfs ums Recht" in gar keinem oder sehr entferntem Bezug stehen. Daß dieselben zum Theil recht unterhaltend und charakteristisch sind, so z. B. die Figur und die chamälcvnartige Selbstbiographie des Herrn Thaddcius von Ba- zanski, des „Helden von Ostrolenka," oder die Verlobung des Herrn Wenzel Hajek mit der Gräfin Wanda Koninski, ändert an der Thatsache nichts, daß sie mit der ursprünglichen Anlage des Romans, die alle Weiterentwicklung der Handlung an Figur und Schicksal des Helden gebunden hat, nicht zusammen- stimmen. Indeß fügen sich diese Theile in den Rahmen des Ganzen doch immer noch leichter ein und heben den Ton poetischer Darstellung nicht soweit auf als die früher erwähnten zahlreichen Land- und Voltsschildernngen. Der Stil des Franzosschen Romanes ist leicht und lebendig, er bekundet einen Schriftsteller, dem im entscheidenden Moment die volle Beherrschung des Worts, der treffende Ton zu Gebote steht. Aber er leidet gleichfalls unter der Ungleichheit, welche sich aus dem Wechsel poetischer und bloß referirender Dar¬ stellungsweise ergiebt. Die Gewohnheit, in der Feuilletonplauderei sich gehen zu lassen und gelegentlich die kräftigsten Ausdrücke der Studentensprache in die Schriftsprache einzuführen, spielt dem Verfasser leidige Streiche. Der Roman Grenzboten VI. 18SI. L4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/427>, abgerufen am 05.06.2024.