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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die letzte" Reichswgsreden des Acmzlcrs,

deten verloren hat, von selbst aufdrängen müssen. Nützlicher scheint es uns, in
einem Ueberblick über das, was der Reichskanzler seinen Gegnern zu hören gab,
die Hauptwahrheiten hervorzuheben, die er damit zugleich der Nation zur Ueber-
legung und Beachtung empfahl. Die Reden der liberalen Neichsboten werden
bald von dem Winde verweht sein, mit dem sie verwandt sind. Vieles andre
wird ihnen folgen. Wenn die Opposition noch lange im gegenwärtigen Sinn
und Stil fortuegirt, keine Reform aufkommen läßt und selbst keine zu leisten
imstande ist, so wird sie denselben Weg ins Gebiet der Unmöglichkeiten gehen.
Auch "das Glück vou Edenhall" -- man wird das Bild hoffentlich begriffen
haben -- könnte, wenn ihm von jener Seite zu viel Haltbarkeit zugemuthet
würde, wenn man mit zu grober Hand experimentirte, einmal zerschellen. Es
könnte sich das Wort Schwarzenbergs wiederholen: "Diese Einrichtung hat
sich nicht bewährt." Jene Hauptwahrheiten in den letzten Reichstagsreden des
Kanzlers aber werden feststehen und in der Geschichte fortleben, und darum
sollen sie hier verzeichnet und dem Volke zum Nachdenken und zum Entschlüsse
für die Zeit ans Herz gelegt werden, wo es wieder einmal zu wählen gilt.

Der kategorische Imperativ des Pflichtgefühls gebot dem Kanzler, alles,
was in seinen Kräften stand, zur Vollendung und Befestigung der bestehenden
Reichseinrichtungen zu thun, und keine Mißbilligung der Opposition wird ihn
abhalten, diesen Weg weiter zu verfolgen. Das Reich würde, wenn man zu
diesem Zwecke eine Anzahl verantwortlicher Minister neben den Reichskanzler
stellen wollte, nicht gefestigt, sondern der einheitlichen Führung beraubt und
dadurch gelockert werden. Der Zweck wurde infolge dessen durch Vervollkomm¬
nung und Verbesserung der wirthschaftlichen Zustände und der Finanzlage
Deutschlands, in der Befestigung des innern Friedens und im Gcltendmachen
der noch nicht ins Leben getretenen Verfassungsbestimmungen zu erreichen gesucht,
wobei zuletzt vor allem die Wohlthat eines einheitlichen Zoll- und Hnndels-
gebietes ins Auge gefaßt war. Bei diesen Bestrebungen sieht sich der Kanzler
vom Parlamente weniger unterstützt als von den Regierungen. Diese geben
gegenwärtig stärkere Bürgschaften für die Erhaltung und Förderung der deut¬
schen Einheit als der in Parteien und Fractionen zerfahrene Reichstag, dessen
Mehrheit jenes Streben des Kanzlers nach der Einheit eilf Bedrückung des
Schwachen durch den Starken und als verfassungsmäßig unberechtigt auffaßt,
und in dem der Particularismus auch sonst eine breitere Stellung einnimmt
als früher.

Wenn gerathen wird: Man nehme liberale Minister, so ist das kein Ausweg,
der Erfolg verspricht. Diese Minister müßten eine Majorität hinter sich haben.
Wir haben aber im Reichstage acht Fractionen, von denen keine einzige die
Majorität bieten kann, und von denen kaum eine imstande ist, mit einer oder
zwei andern gemeinschaftlich ein positives Programm aufzustellen. Nur in der
Negation dessen, was die Regierung, was der Kanzler, seinem Pflichtgefühl


Die letzte» Reichswgsreden des Acmzlcrs,

deten verloren hat, von selbst aufdrängen müssen. Nützlicher scheint es uns, in
einem Ueberblick über das, was der Reichskanzler seinen Gegnern zu hören gab,
die Hauptwahrheiten hervorzuheben, die er damit zugleich der Nation zur Ueber-
legung und Beachtung empfahl. Die Reden der liberalen Neichsboten werden
bald von dem Winde verweht sein, mit dem sie verwandt sind. Vieles andre
wird ihnen folgen. Wenn die Opposition noch lange im gegenwärtigen Sinn
und Stil fortuegirt, keine Reform aufkommen läßt und selbst keine zu leisten
imstande ist, so wird sie denselben Weg ins Gebiet der Unmöglichkeiten gehen.
Auch „das Glück vou Edenhall" — man wird das Bild hoffentlich begriffen
haben — könnte, wenn ihm von jener Seite zu viel Haltbarkeit zugemuthet
würde, wenn man mit zu grober Hand experimentirte, einmal zerschellen. Es
könnte sich das Wort Schwarzenbergs wiederholen: „Diese Einrichtung hat
sich nicht bewährt." Jene Hauptwahrheiten in den letzten Reichstagsreden des
Kanzlers aber werden feststehen und in der Geschichte fortleben, und darum
sollen sie hier verzeichnet und dem Volke zum Nachdenken und zum Entschlüsse
für die Zeit ans Herz gelegt werden, wo es wieder einmal zu wählen gilt.

Der kategorische Imperativ des Pflichtgefühls gebot dem Kanzler, alles,
was in seinen Kräften stand, zur Vollendung und Befestigung der bestehenden
Reichseinrichtungen zu thun, und keine Mißbilligung der Opposition wird ihn
abhalten, diesen Weg weiter zu verfolgen. Das Reich würde, wenn man zu
diesem Zwecke eine Anzahl verantwortlicher Minister neben den Reichskanzler
stellen wollte, nicht gefestigt, sondern der einheitlichen Führung beraubt und
dadurch gelockert werden. Der Zweck wurde infolge dessen durch Vervollkomm¬
nung und Verbesserung der wirthschaftlichen Zustände und der Finanzlage
Deutschlands, in der Befestigung des innern Friedens und im Gcltendmachen
der noch nicht ins Leben getretenen Verfassungsbestimmungen zu erreichen gesucht,
wobei zuletzt vor allem die Wohlthat eines einheitlichen Zoll- und Hnndels-
gebietes ins Auge gefaßt war. Bei diesen Bestrebungen sieht sich der Kanzler
vom Parlamente weniger unterstützt als von den Regierungen. Diese geben
gegenwärtig stärkere Bürgschaften für die Erhaltung und Förderung der deut¬
schen Einheit als der in Parteien und Fractionen zerfahrene Reichstag, dessen
Mehrheit jenes Streben des Kanzlers nach der Einheit eilf Bedrückung des
Schwachen durch den Starken und als verfassungsmäßig unberechtigt auffaßt,
und in dem der Particularismus auch sonst eine breitere Stellung einnimmt
als früher.

Wenn gerathen wird: Man nehme liberale Minister, so ist das kein Ausweg,
der Erfolg verspricht. Diese Minister müßten eine Majorität hinter sich haben.
Wir haben aber im Reichstage acht Fractionen, von denen keine einzige die
Majorität bieten kann, und von denen kaum eine imstande ist, mit einer oder
zwei andern gemeinschaftlich ein positives Programm aufzustellen. Nur in der
Negation dessen, was die Regierung, was der Kanzler, seinem Pflichtgefühl


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[0444] Die letzte» Reichswgsreden des Acmzlcrs, deten verloren hat, von selbst aufdrängen müssen. Nützlicher scheint es uns, in einem Ueberblick über das, was der Reichskanzler seinen Gegnern zu hören gab, die Hauptwahrheiten hervorzuheben, die er damit zugleich der Nation zur Ueber- legung und Beachtung empfahl. Die Reden der liberalen Neichsboten werden bald von dem Winde verweht sein, mit dem sie verwandt sind. Vieles andre wird ihnen folgen. Wenn die Opposition noch lange im gegenwärtigen Sinn und Stil fortuegirt, keine Reform aufkommen läßt und selbst keine zu leisten imstande ist, so wird sie denselben Weg ins Gebiet der Unmöglichkeiten gehen. Auch „das Glück vou Edenhall" — man wird das Bild hoffentlich begriffen haben — könnte, wenn ihm von jener Seite zu viel Haltbarkeit zugemuthet würde, wenn man mit zu grober Hand experimentirte, einmal zerschellen. Es könnte sich das Wort Schwarzenbergs wiederholen: „Diese Einrichtung hat sich nicht bewährt." Jene Hauptwahrheiten in den letzten Reichstagsreden des Kanzlers aber werden feststehen und in der Geschichte fortleben, und darum sollen sie hier verzeichnet und dem Volke zum Nachdenken und zum Entschlüsse für die Zeit ans Herz gelegt werden, wo es wieder einmal zu wählen gilt. Der kategorische Imperativ des Pflichtgefühls gebot dem Kanzler, alles, was in seinen Kräften stand, zur Vollendung und Befestigung der bestehenden Reichseinrichtungen zu thun, und keine Mißbilligung der Opposition wird ihn abhalten, diesen Weg weiter zu verfolgen. Das Reich würde, wenn man zu diesem Zwecke eine Anzahl verantwortlicher Minister neben den Reichskanzler stellen wollte, nicht gefestigt, sondern der einheitlichen Führung beraubt und dadurch gelockert werden. Der Zweck wurde infolge dessen durch Vervollkomm¬ nung und Verbesserung der wirthschaftlichen Zustände und der Finanzlage Deutschlands, in der Befestigung des innern Friedens und im Gcltendmachen der noch nicht ins Leben getretenen Verfassungsbestimmungen zu erreichen gesucht, wobei zuletzt vor allem die Wohlthat eines einheitlichen Zoll- und Hnndels- gebietes ins Auge gefaßt war. Bei diesen Bestrebungen sieht sich der Kanzler vom Parlamente weniger unterstützt als von den Regierungen. Diese geben gegenwärtig stärkere Bürgschaften für die Erhaltung und Förderung der deut¬ schen Einheit als der in Parteien und Fractionen zerfahrene Reichstag, dessen Mehrheit jenes Streben des Kanzlers nach der Einheit eilf Bedrückung des Schwachen durch den Starken und als verfassungsmäßig unberechtigt auffaßt, und in dem der Particularismus auch sonst eine breitere Stellung einnimmt als früher. Wenn gerathen wird: Man nehme liberale Minister, so ist das kein Ausweg, der Erfolg verspricht. Diese Minister müßten eine Majorität hinter sich haben. Wir haben aber im Reichstage acht Fractionen, von denen keine einzige die Majorität bieten kann, und von denen kaum eine imstande ist, mit einer oder zwei andern gemeinschaftlich ein positives Programm aufzustellen. Nur in der Negation dessen, was die Regierung, was der Kanzler, seinem Pflichtgefühl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/444>, abgerufen am 14.05.2024.