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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die letzten Reichstagsreden des Kanzlers.

gegenüber dem Kaiser und dem Reiche folgend, vorschlügt, findet sich bald eine
große Mehrheit von Abgeordneten zusammen. Dann schreit man, wenn der
Kanzler uach seiner besten Ueberzeugung Vorlagen macht, über Kcmzlerdictatur,
Absolutismus, Reaction und andre Gespenster, die sich da einstellen, wo der
Sinn für das Wirkliche und Thatsächliche mangelt. Die liberalen oder genauer
die freihändlerischen Fractionen wollen nicht, daß der Reichskanzler ihnen Ge¬
setzentwürfe nach seiner Ueberzeugung zur Annahme oder Ablehnung unterbreitet,
sie verlange", daß er, diese Ueberzeugung opfernd, sich als Diener den Fractionen
zur Verfügung stelle, und da er dies bisher nicht gethan hat, so haben sie ihn,
von den Conservativen bis zu den extremsten Liberalen, mit allen Kräften und
Mitteln, die ihnen zur Hand waren, angefeindet und verleumdet. Der Kanzler
hat jede Fraktion bekämpfen müssen, weil jede die kaiserliche sowohl wie die
königlich preußische Regierung sich unterordnen, ihren Anschauungen und Zwecken
dienstbar machen wollte. Die Conservativen haben (bei dem Schulaufsichtsgesetz)
damit angefangen. Mit dem Centrum gerieth der Kanzler dnrch die historische
Entwicklung in einen Conflict, der sofort aufgehört haben würde, wenn jener
sich bereit erklärt hätte, der Fraction zu Willen zu sein. Auf seiten der Na-
tivnalliberalen fand er wesentliche Unterstützung, bis die Herren glaubten, um
sei es genug, von jetzt an müsse die Regierung sie unterstützen. Nicht der Kanzler
hat die nationalliberale Fraction zuerst angegriffen und in ihrem Bau zu zer¬
stören versucht, sondern jene hat ihm das Bündniß gekündigt und ihn erst di¬
latorisch, dann kühl, darauf abwehrend und zuletzt feindselig behandelt. Vor
allen war es der Abgeordnete Laster, der die Beziehungen des Kanzlers zu
den Nationallibcraleu durch die Tragweite und den Ton seiner Opposition unter¬
grub. Er und die Nationälzeitung haben die Partei zersetzt und aufgelöst.
Sie werdeu in der parlamentarischen Geschichte einst als die Todtengrüber der
Nationalliberalen figuriren. Dieser Flügel der letztern war es, der nach 1877
der Regierung im preußischen Landtage die natürlichsten, nachher mit Leichtigkeit
bewilligten Dinge abschlug, lediglich um auf den Kanzler einen Druck zu üben.
Wenn dieser mit den Fractionen gekämpft hat, so geschah es immer in Vertre¬
tung des Reiches gegen jene, des nationalen Patriotismus gegen den durch
Fractionsrücksichteu beschränkten und geschwächten Patriotismus.

Auch wenn die letzten Wahlen, wie behauptet wurde, wirklich eine liberale
Majorität zu Tage gefördert hätten, würde der Kanzler an seiner Ueberzeugung
festhalten und, so lange er auf seinem Posten bliebe, der Volksvertretung des
Reiches dieselben Vorlagen zugehen lassen, die der Kaiser in seiner Botschaft
angekündigt und befürwortet hat. Das Ergebniß der Wahlen ist aber über¬
schätzt worden. Es bedeutete keine Verurtheilung der wirthschaftlichen und so¬
cialen Vorlagen durch die "Nation," mit welchem Ausdrucke die liberalen Redner
die ihnen in ihrem Wahlkreise zugefallene Stimmenmehrheit zu bezeichnen belieben.
In der Wahl eines Ccntrumsmitgliedes, eines Conservativen, eines Freiconser-


Die letzten Reichstagsreden des Kanzlers.

gegenüber dem Kaiser und dem Reiche folgend, vorschlügt, findet sich bald eine
große Mehrheit von Abgeordneten zusammen. Dann schreit man, wenn der
Kanzler uach seiner besten Ueberzeugung Vorlagen macht, über Kcmzlerdictatur,
Absolutismus, Reaction und andre Gespenster, die sich da einstellen, wo der
Sinn für das Wirkliche und Thatsächliche mangelt. Die liberalen oder genauer
die freihändlerischen Fractionen wollen nicht, daß der Reichskanzler ihnen Ge¬
setzentwürfe nach seiner Ueberzeugung zur Annahme oder Ablehnung unterbreitet,
sie verlange», daß er, diese Ueberzeugung opfernd, sich als Diener den Fractionen
zur Verfügung stelle, und da er dies bisher nicht gethan hat, so haben sie ihn,
von den Conservativen bis zu den extremsten Liberalen, mit allen Kräften und
Mitteln, die ihnen zur Hand waren, angefeindet und verleumdet. Der Kanzler
hat jede Fraktion bekämpfen müssen, weil jede die kaiserliche sowohl wie die
königlich preußische Regierung sich unterordnen, ihren Anschauungen und Zwecken
dienstbar machen wollte. Die Conservativen haben (bei dem Schulaufsichtsgesetz)
damit angefangen. Mit dem Centrum gerieth der Kanzler dnrch die historische
Entwicklung in einen Conflict, der sofort aufgehört haben würde, wenn jener
sich bereit erklärt hätte, der Fraction zu Willen zu sein. Auf seiten der Na-
tivnalliberalen fand er wesentliche Unterstützung, bis die Herren glaubten, um
sei es genug, von jetzt an müsse die Regierung sie unterstützen. Nicht der Kanzler
hat die nationalliberale Fraction zuerst angegriffen und in ihrem Bau zu zer¬
stören versucht, sondern jene hat ihm das Bündniß gekündigt und ihn erst di¬
latorisch, dann kühl, darauf abwehrend und zuletzt feindselig behandelt. Vor
allen war es der Abgeordnete Laster, der die Beziehungen des Kanzlers zu
den Nationallibcraleu durch die Tragweite und den Ton seiner Opposition unter¬
grub. Er und die Nationälzeitung haben die Partei zersetzt und aufgelöst.
Sie werdeu in der parlamentarischen Geschichte einst als die Todtengrüber der
Nationalliberalen figuriren. Dieser Flügel der letztern war es, der nach 1877
der Regierung im preußischen Landtage die natürlichsten, nachher mit Leichtigkeit
bewilligten Dinge abschlug, lediglich um auf den Kanzler einen Druck zu üben.
Wenn dieser mit den Fractionen gekämpft hat, so geschah es immer in Vertre¬
tung des Reiches gegen jene, des nationalen Patriotismus gegen den durch
Fractionsrücksichteu beschränkten und geschwächten Patriotismus.

Auch wenn die letzten Wahlen, wie behauptet wurde, wirklich eine liberale
Majorität zu Tage gefördert hätten, würde der Kanzler an seiner Ueberzeugung
festhalten und, so lange er auf seinem Posten bliebe, der Volksvertretung des
Reiches dieselben Vorlagen zugehen lassen, die der Kaiser in seiner Botschaft
angekündigt und befürwortet hat. Das Ergebniß der Wahlen ist aber über¬
schätzt worden. Es bedeutete keine Verurtheilung der wirthschaftlichen und so¬
cialen Vorlagen durch die „Nation," mit welchem Ausdrucke die liberalen Redner
die ihnen in ihrem Wahlkreise zugefallene Stimmenmehrheit zu bezeichnen belieben.
In der Wahl eines Ccntrumsmitgliedes, eines Conservativen, eines Freiconser-


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[0445] Die letzten Reichstagsreden des Kanzlers. gegenüber dem Kaiser und dem Reiche folgend, vorschlügt, findet sich bald eine große Mehrheit von Abgeordneten zusammen. Dann schreit man, wenn der Kanzler uach seiner besten Ueberzeugung Vorlagen macht, über Kcmzlerdictatur, Absolutismus, Reaction und andre Gespenster, die sich da einstellen, wo der Sinn für das Wirkliche und Thatsächliche mangelt. Die liberalen oder genauer die freihändlerischen Fractionen wollen nicht, daß der Reichskanzler ihnen Ge¬ setzentwürfe nach seiner Ueberzeugung zur Annahme oder Ablehnung unterbreitet, sie verlange», daß er, diese Ueberzeugung opfernd, sich als Diener den Fractionen zur Verfügung stelle, und da er dies bisher nicht gethan hat, so haben sie ihn, von den Conservativen bis zu den extremsten Liberalen, mit allen Kräften und Mitteln, die ihnen zur Hand waren, angefeindet und verleumdet. Der Kanzler hat jede Fraktion bekämpfen müssen, weil jede die kaiserliche sowohl wie die königlich preußische Regierung sich unterordnen, ihren Anschauungen und Zwecken dienstbar machen wollte. Die Conservativen haben (bei dem Schulaufsichtsgesetz) damit angefangen. Mit dem Centrum gerieth der Kanzler dnrch die historische Entwicklung in einen Conflict, der sofort aufgehört haben würde, wenn jener sich bereit erklärt hätte, der Fraction zu Willen zu sein. Auf seiten der Na- tivnalliberalen fand er wesentliche Unterstützung, bis die Herren glaubten, um sei es genug, von jetzt an müsse die Regierung sie unterstützen. Nicht der Kanzler hat die nationalliberale Fraction zuerst angegriffen und in ihrem Bau zu zer¬ stören versucht, sondern jene hat ihm das Bündniß gekündigt und ihn erst di¬ latorisch, dann kühl, darauf abwehrend und zuletzt feindselig behandelt. Vor allen war es der Abgeordnete Laster, der die Beziehungen des Kanzlers zu den Nationallibcraleu durch die Tragweite und den Ton seiner Opposition unter¬ grub. Er und die Nationälzeitung haben die Partei zersetzt und aufgelöst. Sie werdeu in der parlamentarischen Geschichte einst als die Todtengrüber der Nationalliberalen figuriren. Dieser Flügel der letztern war es, der nach 1877 der Regierung im preußischen Landtage die natürlichsten, nachher mit Leichtigkeit bewilligten Dinge abschlug, lediglich um auf den Kanzler einen Druck zu üben. Wenn dieser mit den Fractionen gekämpft hat, so geschah es immer in Vertre¬ tung des Reiches gegen jene, des nationalen Patriotismus gegen den durch Fractionsrücksichteu beschränkten und geschwächten Patriotismus. Auch wenn die letzten Wahlen, wie behauptet wurde, wirklich eine liberale Majorität zu Tage gefördert hätten, würde der Kanzler an seiner Ueberzeugung festhalten und, so lange er auf seinem Posten bliebe, der Volksvertretung des Reiches dieselben Vorlagen zugehen lassen, die der Kaiser in seiner Botschaft angekündigt und befürwortet hat. Das Ergebniß der Wahlen ist aber über¬ schätzt worden. Es bedeutete keine Verurtheilung der wirthschaftlichen und so¬ cialen Vorlagen durch die „Nation," mit welchem Ausdrucke die liberalen Redner die ihnen in ihrem Wahlkreise zugefallene Stimmenmehrheit zu bezeichnen belieben. In der Wahl eines Ccntrumsmitgliedes, eines Conservativen, eines Freiconser-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/445>, abgerufen am 31.05.2024.