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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ein neues Münchner Dichtorlmch.

eine so lange Zeit verstrichen ist, bevor man in München den Gedanken, ge¬
meinsam vor das Publicum zu treten, wieder-aufgenommen, liegt eine Bürg¬
schaft, daß man hier nicht hastig und speculativ die Gunst des Publicums, so¬
weit sie der Lyrik noch zugewandt ist, auszunutzen gesucht, sondern lange genug
gewartet hat, um sich ein zweitesmal mit reifen und gehaltreichen Gaben ein¬
zustellen. Und eine weitere Bürgschaft liegt in dem Namen des diesmaligen
Herausgebers. Von Heyse wie von Geibel darf ohne weiteres vorausgesetzt werden,
daß mir solche poetische Gaben Aufnahme gefunden haben, welche mindestens
über das, waS man gereimte Trivialität und unselbständige Wiederholung tau¬
sendmal gehörter Weisen nennen kann, erhaben sind.

Vergleicht man das ältere mit dem neuen Münchner Dichterbnche, so über¬
kommt uns zunächst eine wehmüthige Stimmung, Der Dichterkreis, den einst
die besondere Gunst der Umstände in München vereinigte, ist in den verflossenen
zwanzig Jahren weit auseinandergetrieben worden, vier seiner damaligen Mit¬
glieder, Emanuel Geibel, Friedrich Bodenstedt, Josef Victor Scheffel und Julius
Grosse, treten in dem diesmaligen Dichterbuche nur noch als Gäste ihrer alten
Tafelrunde auf, einige, wie den begabten, aber herb verdüsterten und abenteuer¬
lichen Heinrich Leuthold, hat der Tod dahingerafft, andere wie Hans Hopfen,
C, Lemcke, Felix Dahn haben sich in ihrer Weiterentwicklung so von ihren
Münchner Anfängen geschieden, daß sie schwerlich daran gedacht haben, sich
auch bei diesem neuen Münchner Dichterbuch zu betheiligen. Und so erscheint,
da sich mir wenige neue Kruste den 1862 vereinigten hinzugesellt haben, der
Kreis, welcher in dem neuen Dichterbuche vor uns tritt, wesentlich enger.

Bedenklicher aber dünkt uns noch eine innere Wandlung. Der Herausgeber
hat zwar in seinen Sprüchen neben verschiedenem andern Zeitunheil auch dem
Pessimismus einen Fehdebrief geschrieben, aber er hat doch nicht hindern können,
daß ein gut Theil pessimistischer Stimmung in die Blätter des neuen Buches
hineingerathen ist. In allen erdenklichen Formen und Wendungen erscheint die
Zeitkrankheit, der Unmuth über das Leben und der Ekel am Leben, auch in
den poetischen Beiträgen dieses Musenalmanachs. Freilich, dicht neben andern
bessern Stimmungen, neben dem vollen Ausdruck des Glückes und des Lebens¬
genusses, neben der tapfersten Zuversicht und der freudigsten Hingabe an die
lichten Erscheinungen der Welt. Es ist hier nicht der Ort, das ganze Verhältniß
der modernen Dichtung zum Pessimismus zur Sprache zu bringen, obschon es
über kurz oder lang einmal wird geschehen müssen. Aber es darf nicht ver¬
schwiegen werden, daß der Pessimistische Ton durch eine Reihe namentlich der
lyrischen Gedichte des Buches hindurchkliugt und in merkwürdigem Gegensatz zu
dem Grundcharakter der größern erzählenden und dramatischen Beiträge steht.

Unter diesen größern Beiträgen ist der eine dramatische die bedeutendste
Gabe des ganzen Bandes. "Alkibiades", Tragödie in drei Acten von Punt
Heyse, stellt in einer Handlung von edelster Einfachheit und Geschlossenheit das


Ein neues Münchner Dichtorlmch.

eine so lange Zeit verstrichen ist, bevor man in München den Gedanken, ge¬
meinsam vor das Publicum zu treten, wieder-aufgenommen, liegt eine Bürg¬
schaft, daß man hier nicht hastig und speculativ die Gunst des Publicums, so¬
weit sie der Lyrik noch zugewandt ist, auszunutzen gesucht, sondern lange genug
gewartet hat, um sich ein zweitesmal mit reifen und gehaltreichen Gaben ein¬
zustellen. Und eine weitere Bürgschaft liegt in dem Namen des diesmaligen
Herausgebers. Von Heyse wie von Geibel darf ohne weiteres vorausgesetzt werden,
daß mir solche poetische Gaben Aufnahme gefunden haben, welche mindestens
über das, waS man gereimte Trivialität und unselbständige Wiederholung tau¬
sendmal gehörter Weisen nennen kann, erhaben sind.

Vergleicht man das ältere mit dem neuen Münchner Dichterbnche, so über¬
kommt uns zunächst eine wehmüthige Stimmung, Der Dichterkreis, den einst
die besondere Gunst der Umstände in München vereinigte, ist in den verflossenen
zwanzig Jahren weit auseinandergetrieben worden, vier seiner damaligen Mit¬
glieder, Emanuel Geibel, Friedrich Bodenstedt, Josef Victor Scheffel und Julius
Grosse, treten in dem diesmaligen Dichterbuche nur noch als Gäste ihrer alten
Tafelrunde auf, einige, wie den begabten, aber herb verdüsterten und abenteuer¬
lichen Heinrich Leuthold, hat der Tod dahingerafft, andere wie Hans Hopfen,
C, Lemcke, Felix Dahn haben sich in ihrer Weiterentwicklung so von ihren
Münchner Anfängen geschieden, daß sie schwerlich daran gedacht haben, sich
auch bei diesem neuen Münchner Dichterbuch zu betheiligen. Und so erscheint,
da sich mir wenige neue Kruste den 1862 vereinigten hinzugesellt haben, der
Kreis, welcher in dem neuen Dichterbuche vor uns tritt, wesentlich enger.

Bedenklicher aber dünkt uns noch eine innere Wandlung. Der Herausgeber
hat zwar in seinen Sprüchen neben verschiedenem andern Zeitunheil auch dem
Pessimismus einen Fehdebrief geschrieben, aber er hat doch nicht hindern können,
daß ein gut Theil pessimistischer Stimmung in die Blätter des neuen Buches
hineingerathen ist. In allen erdenklichen Formen und Wendungen erscheint die
Zeitkrankheit, der Unmuth über das Leben und der Ekel am Leben, auch in
den poetischen Beiträgen dieses Musenalmanachs. Freilich, dicht neben andern
bessern Stimmungen, neben dem vollen Ausdruck des Glückes und des Lebens¬
genusses, neben der tapfersten Zuversicht und der freudigsten Hingabe an die
lichten Erscheinungen der Welt. Es ist hier nicht der Ort, das ganze Verhältniß
der modernen Dichtung zum Pessimismus zur Sprache zu bringen, obschon es
über kurz oder lang einmal wird geschehen müssen. Aber es darf nicht ver¬
schwiegen werden, daß der Pessimistische Ton durch eine Reihe namentlich der
lyrischen Gedichte des Buches hindurchkliugt und in merkwürdigem Gegensatz zu
dem Grundcharakter der größern erzählenden und dramatischen Beiträge steht.

Unter diesen größern Beiträgen ist der eine dramatische die bedeutendste
Gabe des ganzen Bandes. „Alkibiades", Tragödie in drei Acten von Punt
Heyse, stellt in einer Handlung von edelster Einfachheit und Geschlossenheit das


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[0517] Ein neues Münchner Dichtorlmch. eine so lange Zeit verstrichen ist, bevor man in München den Gedanken, ge¬ meinsam vor das Publicum zu treten, wieder-aufgenommen, liegt eine Bürg¬ schaft, daß man hier nicht hastig und speculativ die Gunst des Publicums, so¬ weit sie der Lyrik noch zugewandt ist, auszunutzen gesucht, sondern lange genug gewartet hat, um sich ein zweitesmal mit reifen und gehaltreichen Gaben ein¬ zustellen. Und eine weitere Bürgschaft liegt in dem Namen des diesmaligen Herausgebers. Von Heyse wie von Geibel darf ohne weiteres vorausgesetzt werden, daß mir solche poetische Gaben Aufnahme gefunden haben, welche mindestens über das, waS man gereimte Trivialität und unselbständige Wiederholung tau¬ sendmal gehörter Weisen nennen kann, erhaben sind. Vergleicht man das ältere mit dem neuen Münchner Dichterbnche, so über¬ kommt uns zunächst eine wehmüthige Stimmung, Der Dichterkreis, den einst die besondere Gunst der Umstände in München vereinigte, ist in den verflossenen zwanzig Jahren weit auseinandergetrieben worden, vier seiner damaligen Mit¬ glieder, Emanuel Geibel, Friedrich Bodenstedt, Josef Victor Scheffel und Julius Grosse, treten in dem diesmaligen Dichterbuche nur noch als Gäste ihrer alten Tafelrunde auf, einige, wie den begabten, aber herb verdüsterten und abenteuer¬ lichen Heinrich Leuthold, hat der Tod dahingerafft, andere wie Hans Hopfen, C, Lemcke, Felix Dahn haben sich in ihrer Weiterentwicklung so von ihren Münchner Anfängen geschieden, daß sie schwerlich daran gedacht haben, sich auch bei diesem neuen Münchner Dichterbuch zu betheiligen. Und so erscheint, da sich mir wenige neue Kruste den 1862 vereinigten hinzugesellt haben, der Kreis, welcher in dem neuen Dichterbuche vor uns tritt, wesentlich enger. Bedenklicher aber dünkt uns noch eine innere Wandlung. Der Herausgeber hat zwar in seinen Sprüchen neben verschiedenem andern Zeitunheil auch dem Pessimismus einen Fehdebrief geschrieben, aber er hat doch nicht hindern können, daß ein gut Theil pessimistischer Stimmung in die Blätter des neuen Buches hineingerathen ist. In allen erdenklichen Formen und Wendungen erscheint die Zeitkrankheit, der Unmuth über das Leben und der Ekel am Leben, auch in den poetischen Beiträgen dieses Musenalmanachs. Freilich, dicht neben andern bessern Stimmungen, neben dem vollen Ausdruck des Glückes und des Lebens¬ genusses, neben der tapfersten Zuversicht und der freudigsten Hingabe an die lichten Erscheinungen der Welt. Es ist hier nicht der Ort, das ganze Verhältniß der modernen Dichtung zum Pessimismus zur Sprache zu bringen, obschon es über kurz oder lang einmal wird geschehen müssen. Aber es darf nicht ver¬ schwiegen werden, daß der Pessimistische Ton durch eine Reihe namentlich der lyrischen Gedichte des Buches hindurchkliugt und in merkwürdigem Gegensatz zu dem Grundcharakter der größern erzählenden und dramatischen Beiträge steht. Unter diesen größern Beiträgen ist der eine dramatische die bedeutendste Gabe des ganzen Bandes. „Alkibiades", Tragödie in drei Acten von Punt Heyse, stellt in einer Handlung von edelster Einfachheit und Geschlossenheit das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/517>, abgerufen am 15.05.2024.