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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die neue" Lnverl'ungen der Dresdener Gulcric,

noch nicht vertretene Richtung derselben charakteristisch sind. So halte ich z. B>
im Gegensatze zu Herrn Eisenmann, der von einer "unnöthiger Anschaffung"
spricht, den Erwerb des Gemäldes von Jan Steen "Die Verstoßung der Hngar"
insofern für einen glücklichen, als dieser immer interessante Meister bisher nur
durch zwei Bilder vertreten war, von denen das eme ein reines Gcnremotiv
behandelt, während das andre "Die Hochzeit zu Cana" durch die starke Be-
tonung der genrehaften Elemente von seiner biblischen Bedeutung kaum noch
etwas ahnen läßt. Daß ein biblisches Bild ohne diesen Beigeschmack für den
Meister "wenig charakteristisch" sein soll, ist eine von den vielen in der Luft
schwebenden Behauptungen, welche Herr Eisenmann für Gründe ausgiebt, die
fein Verdammungsurtheil stützen sollen.

Von allen neuere" Ankäufen, meint er, sind nur zwei der "Dresdener Galerie
völlig würdig": eine Heilige Familie von Mantegna und ein weibliches Porträt
von B. van der Helft. Was heißt denn "der Dresdener Galerie völlig würdig?"
Ist denn durch die kritischen Bemühungen der Herren Crowe und Cavalcaselle,
Bode, Morelli, u. a. das Niveau der Dresdener Galerie nicht so tief hinab-
gedrückt worden, daß man meinen sollte, das "ubedentcndste sei gerade gut genug
für sie? Edelstein um Edelstein ist aus ihrer leuchtenden Krone herausgebrochen
worde". Die Tizianische Venus mit dem Lautenspieler, die Mnrillosche Ma¬
donna, die Holbeinschc Madonna, die Magdalena von Correggio*) sind nach
und nach für Copien oder für spätere Machwerke erklärt worden. Die Gründe
für diese Behauptungen sind leider so schiverwiegend, daß sich ihnen auch der
wohlwollendste nicht mehr verschließen kann. Daß die Verwaltung der Galerie
sie noch nicht anerkennen will, soll nach den Erfahrungen, die sie anderweitig
gemacht hat, nicht getadelt werden. Ebenso ist unter den Gemälden von Rubens
und van Dhck stark aufgeräumt worden, und mancher Tizian ist außer den ge¬
nannten noch über die kritische Klinge gesprungen. Nachdem sich die Gcsammt-
physiognomie der Dresdener Galerie im Lichte der neuesten Forschung erheblich
verändert hat, sollte mau es billig vermeiden, Lärm zu schlage", wenn einmal
ein unbedeutendes oder gar falsches Bild angekauft wird. Wo liegt da die
Consequenz der kritischen Methode? Einmal wird nachgewiesen, daß ein großer
Theil der Gemälde der Dresdener Galerie mit Unrecht den bisherige,? Namen
führt, d. h. falsch ist, und das andremal sollen ein paar falsche Ankäufe dieser
Gesellschaft nicht "völlig würdig" sein?

Widersprüche über Widersprüche! Der Unbeteiligte wird zufrieden sein,
sie aufgedeckt zu haben. Die Herren von der Dresdener Galerie aber, denen
fo übel mitgespielt worden ist, müssen in Geduld abwarten, bis ihre Zeit kommt.



*) Die Priorität dieser Entdeckung gebührt nicht Signor Morelli, sondern Professor
Springer in Leipzig, der die Magdnlena zuerst dem Correggio abgesprochen und damit das
erlösende Wort für ein unbestimmtes Gefühl gesunden hat, das gewiß schon mancher Kunst-
forscher vor diesen" Bilde gehabt.
Die neue» Lnverl'ungen der Dresdener Gulcric,

noch nicht vertretene Richtung derselben charakteristisch sind. So halte ich z. B>
im Gegensatze zu Herrn Eisenmann, der von einer „unnöthiger Anschaffung"
spricht, den Erwerb des Gemäldes von Jan Steen „Die Verstoßung der Hngar"
insofern für einen glücklichen, als dieser immer interessante Meister bisher nur
durch zwei Bilder vertreten war, von denen das eme ein reines Gcnremotiv
behandelt, während das andre „Die Hochzeit zu Cana" durch die starke Be-
tonung der genrehaften Elemente von seiner biblischen Bedeutung kaum noch
etwas ahnen läßt. Daß ein biblisches Bild ohne diesen Beigeschmack für den
Meister „wenig charakteristisch" sein soll, ist eine von den vielen in der Luft
schwebenden Behauptungen, welche Herr Eisenmann für Gründe ausgiebt, die
fein Verdammungsurtheil stützen sollen.

Von allen neuere» Ankäufen, meint er, sind nur zwei der „Dresdener Galerie
völlig würdig": eine Heilige Familie von Mantegna und ein weibliches Porträt
von B. van der Helft. Was heißt denn „der Dresdener Galerie völlig würdig?"
Ist denn durch die kritischen Bemühungen der Herren Crowe und Cavalcaselle,
Bode, Morelli, u. a. das Niveau der Dresdener Galerie nicht so tief hinab-
gedrückt worden, daß man meinen sollte, das »ubedentcndste sei gerade gut genug
für sie? Edelstein um Edelstein ist aus ihrer leuchtenden Krone herausgebrochen
worde». Die Tizianische Venus mit dem Lautenspieler, die Mnrillosche Ma¬
donna, die Holbeinschc Madonna, die Magdalena von Correggio*) sind nach
und nach für Copien oder für spätere Machwerke erklärt worden. Die Gründe
für diese Behauptungen sind leider so schiverwiegend, daß sich ihnen auch der
wohlwollendste nicht mehr verschließen kann. Daß die Verwaltung der Galerie
sie noch nicht anerkennen will, soll nach den Erfahrungen, die sie anderweitig
gemacht hat, nicht getadelt werden. Ebenso ist unter den Gemälden von Rubens
und van Dhck stark aufgeräumt worden, und mancher Tizian ist außer den ge¬
nannten noch über die kritische Klinge gesprungen. Nachdem sich die Gcsammt-
physiognomie der Dresdener Galerie im Lichte der neuesten Forschung erheblich
verändert hat, sollte mau es billig vermeiden, Lärm zu schlage«, wenn einmal
ein unbedeutendes oder gar falsches Bild angekauft wird. Wo liegt da die
Consequenz der kritischen Methode? Einmal wird nachgewiesen, daß ein großer
Theil der Gemälde der Dresdener Galerie mit Unrecht den bisherige,? Namen
führt, d. h. falsch ist, und das andremal sollen ein paar falsche Ankäufe dieser
Gesellschaft nicht „völlig würdig" sein?

Widersprüche über Widersprüche! Der Unbeteiligte wird zufrieden sein,
sie aufgedeckt zu haben. Die Herren von der Dresdener Galerie aber, denen
fo übel mitgespielt worden ist, müssen in Geduld abwarten, bis ihre Zeit kommt.



*) Die Priorität dieser Entdeckung gebührt nicht Signor Morelli, sondern Professor
Springer in Leipzig, der die Magdnlena zuerst dem Correggio abgesprochen und damit das
erlösende Wort für ein unbestimmtes Gefühl gesunden hat, das gewiß schon mancher Kunst-
forscher vor diesen» Bilde gehabt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/527>, abgerufen am 15.05.2024.