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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die windthorstsche Affaire.

schaften haben nie einen andern Zweck gehabt als den, den Mitgliedern des
Reichstages und des Bundesrathes Gelegenheit zu geben, sich gesellschaftlich
kennen zu lernen und außerhalb der parlamentarischen Debatten einen Meinungs¬
austausch auf neutralem Boden und in den freundlicheren Formen Pflegen zu
können, von welche" die geselligen Beziehungen, unabhängig von politischen
Meinungsverschiedenheiten, beherrscht zu sein pflegen." Weiterhin bemerkte das
Blatt, wenn nicht anzunehmen sei, daß der Kanzler dieses Herkommen noch jetzt,
bei zunehmendem Alter, zu seinem persönlichen Vergnügen zu erhalten suche,
so müsse es ihm unmöglich werden, wenn die Politik in der Weise, wie dies
seitens der "Germania" in dieser Sache geschehen, in den Salon übertragen
werde. Wenn lediglich deshalb, weil ein regierungsfreundliches Blatt es an Ehrer¬
bietung vor Herrn Windthorst habe fehlen lassen, das Hans des Reichskanzlers
vom Corps des Centrums in Verruf erklärt werde, so seien sich die betreffenden
Herren wohl nicht klar über die Consequenzen solchen Verfahrens gewesen.
"Es müßten daraus gesellschaftliche Zustände hervorgehen, wie sie in keinen"
andern parlamentarischen Lande vorkommen, und die wir als einen Krieg der
UnHöflichkeit im Privatleben bezeichnen können. Wenn die üblichen Abendge¬
sellschaften fortgesetzt werden sollten, welche Garantie könnte dafür gegeben
werden, daß nicht infolge unerwarteter Vorkommnisse wiederum in letzter Stunde
die Weisung an die Mitglieder einer Fraction gelangt, das kauzlerische Hans
zu meiden, den Inhaber desselben durch Verletzung seiner socialen Stellung für
den Artikel einer regierungsfreundlichen Zeitung zu bestrafen und dieses Ver¬
fahren so lange fortzusetzen, bis das mißliebige Blatt Satisfaction giebt? Selbst
bei den amtlichsten Einladungen kann sich der Reichskanzler der Absage oder
dem noch unfreundlicheren stillschweigenden Ausbleiben aus derartigen Motiven,
aus dem Grunde, weil sein Haus mit einem Fmctionsediet belegt ist, doch nicht
aussetzen."

Wir glauben nicht, daß jemand gegen diese Kritik des Verhaltens der
Fraction des Herrn Windthorst mit Fug etwas wird einwenden können, und
ebensowenig wird ein Unparteiischer zu leugnen imstande sein, daß die zunächst
vorhergehenden Ausführungen der "Nordd. Allgem. Zeitung" guten Grund haben-
Es war in der That eine starke Unhöflichkeit, wenn die politischen Freunde
des Herrn Windthorst ohne Absage der Einladung des Kanzlers zu folgen unter-
ließen. Es war eine Ungehörigkeit, wenn sie dies zur Fractivnssache machten.
Ihre Demonstration war endlich eine Unklugheit, indem sie dadurch die Fort¬
setzung der außerparlamentarischen Versammlungen im Hause des Kanzlers, die
anch ihnen nützen können und genützt haben, in Frage stellten.

Herr Windthorst aber hat durch seine Jnterpellation in der Commission
mindestens den Schein dessen erweckt, was ihm von der "Nordd. Allgem. Zeitung"
schuld gegeben wurde. Diese mag auf nicht ganz vollständige Information hin
und in der ersten Erregung zu lebhaft gegen ihn vorgegangen sein. Sie hat


Die windthorstsche Affaire.

schaften haben nie einen andern Zweck gehabt als den, den Mitgliedern des
Reichstages und des Bundesrathes Gelegenheit zu geben, sich gesellschaftlich
kennen zu lernen und außerhalb der parlamentarischen Debatten einen Meinungs¬
austausch auf neutralem Boden und in den freundlicheren Formen Pflegen zu
können, von welche» die geselligen Beziehungen, unabhängig von politischen
Meinungsverschiedenheiten, beherrscht zu sein pflegen." Weiterhin bemerkte das
Blatt, wenn nicht anzunehmen sei, daß der Kanzler dieses Herkommen noch jetzt,
bei zunehmendem Alter, zu seinem persönlichen Vergnügen zu erhalten suche,
so müsse es ihm unmöglich werden, wenn die Politik in der Weise, wie dies
seitens der „Germania" in dieser Sache geschehen, in den Salon übertragen
werde. Wenn lediglich deshalb, weil ein regierungsfreundliches Blatt es an Ehrer¬
bietung vor Herrn Windthorst habe fehlen lassen, das Hans des Reichskanzlers
vom Corps des Centrums in Verruf erklärt werde, so seien sich die betreffenden
Herren wohl nicht klar über die Consequenzen solchen Verfahrens gewesen.
„Es müßten daraus gesellschaftliche Zustände hervorgehen, wie sie in keinen«
andern parlamentarischen Lande vorkommen, und die wir als einen Krieg der
UnHöflichkeit im Privatleben bezeichnen können. Wenn die üblichen Abendge¬
sellschaften fortgesetzt werden sollten, welche Garantie könnte dafür gegeben
werden, daß nicht infolge unerwarteter Vorkommnisse wiederum in letzter Stunde
die Weisung an die Mitglieder einer Fraction gelangt, das kauzlerische Hans
zu meiden, den Inhaber desselben durch Verletzung seiner socialen Stellung für
den Artikel einer regierungsfreundlichen Zeitung zu bestrafen und dieses Ver¬
fahren so lange fortzusetzen, bis das mißliebige Blatt Satisfaction giebt? Selbst
bei den amtlichsten Einladungen kann sich der Reichskanzler der Absage oder
dem noch unfreundlicheren stillschweigenden Ausbleiben aus derartigen Motiven,
aus dem Grunde, weil sein Haus mit einem Fmctionsediet belegt ist, doch nicht
aussetzen."

Wir glauben nicht, daß jemand gegen diese Kritik des Verhaltens der
Fraction des Herrn Windthorst mit Fug etwas wird einwenden können, und
ebensowenig wird ein Unparteiischer zu leugnen imstande sein, daß die zunächst
vorhergehenden Ausführungen der „Nordd. Allgem. Zeitung" guten Grund haben-
Es war in der That eine starke Unhöflichkeit, wenn die politischen Freunde
des Herrn Windthorst ohne Absage der Einladung des Kanzlers zu folgen unter-
ließen. Es war eine Ungehörigkeit, wenn sie dies zur Fractivnssache machten.
Ihre Demonstration war endlich eine Unklugheit, indem sie dadurch die Fort¬
setzung der außerparlamentarischen Versammlungen im Hause des Kanzlers, die
anch ihnen nützen können und genützt haben, in Frage stellten.

Herr Windthorst aber hat durch seine Jnterpellation in der Commission
mindestens den Schein dessen erweckt, was ihm von der „Nordd. Allgem. Zeitung"
schuld gegeben wurde. Diese mag auf nicht ganz vollständige Information hin
und in der ersten Erregung zu lebhaft gegen ihn vorgegangen sein. Sie hat


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[0532] Die windthorstsche Affaire. schaften haben nie einen andern Zweck gehabt als den, den Mitgliedern des Reichstages und des Bundesrathes Gelegenheit zu geben, sich gesellschaftlich kennen zu lernen und außerhalb der parlamentarischen Debatten einen Meinungs¬ austausch auf neutralem Boden und in den freundlicheren Formen Pflegen zu können, von welche» die geselligen Beziehungen, unabhängig von politischen Meinungsverschiedenheiten, beherrscht zu sein pflegen." Weiterhin bemerkte das Blatt, wenn nicht anzunehmen sei, daß der Kanzler dieses Herkommen noch jetzt, bei zunehmendem Alter, zu seinem persönlichen Vergnügen zu erhalten suche, so müsse es ihm unmöglich werden, wenn die Politik in der Weise, wie dies seitens der „Germania" in dieser Sache geschehen, in den Salon übertragen werde. Wenn lediglich deshalb, weil ein regierungsfreundliches Blatt es an Ehrer¬ bietung vor Herrn Windthorst habe fehlen lassen, das Hans des Reichskanzlers vom Corps des Centrums in Verruf erklärt werde, so seien sich die betreffenden Herren wohl nicht klar über die Consequenzen solchen Verfahrens gewesen. „Es müßten daraus gesellschaftliche Zustände hervorgehen, wie sie in keinen« andern parlamentarischen Lande vorkommen, und die wir als einen Krieg der UnHöflichkeit im Privatleben bezeichnen können. Wenn die üblichen Abendge¬ sellschaften fortgesetzt werden sollten, welche Garantie könnte dafür gegeben werden, daß nicht infolge unerwarteter Vorkommnisse wiederum in letzter Stunde die Weisung an die Mitglieder einer Fraction gelangt, das kauzlerische Hans zu meiden, den Inhaber desselben durch Verletzung seiner socialen Stellung für den Artikel einer regierungsfreundlichen Zeitung zu bestrafen und dieses Ver¬ fahren so lange fortzusetzen, bis das mißliebige Blatt Satisfaction giebt? Selbst bei den amtlichsten Einladungen kann sich der Reichskanzler der Absage oder dem noch unfreundlicheren stillschweigenden Ausbleiben aus derartigen Motiven, aus dem Grunde, weil sein Haus mit einem Fmctionsediet belegt ist, doch nicht aussetzen." Wir glauben nicht, daß jemand gegen diese Kritik des Verhaltens der Fraction des Herrn Windthorst mit Fug etwas wird einwenden können, und ebensowenig wird ein Unparteiischer zu leugnen imstande sein, daß die zunächst vorhergehenden Ausführungen der „Nordd. Allgem. Zeitung" guten Grund haben- Es war in der That eine starke Unhöflichkeit, wenn die politischen Freunde des Herrn Windthorst ohne Absage der Einladung des Kanzlers zu folgen unter- ließen. Es war eine Ungehörigkeit, wenn sie dies zur Fractivnssache machten. Ihre Demonstration war endlich eine Unklugheit, indem sie dadurch die Fort¬ setzung der außerparlamentarischen Versammlungen im Hause des Kanzlers, die anch ihnen nützen können und genützt haben, in Frage stellten. Herr Windthorst aber hat durch seine Jnterpellation in der Commission mindestens den Schein dessen erweckt, was ihm von der „Nordd. Allgem. Zeitung" schuld gegeben wurde. Diese mag auf nicht ganz vollständige Information hin und in der ersten Erregung zu lebhaft gegen ihn vorgegangen sein. Sie hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/532>, abgerufen am 07.06.2024.