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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die windthorstsche Affaire,

dies zugegeben. Daran sollte sich der Abgeordnete für Meppen genüge" lassen.
Er sollte für die Zukunft Kritik zu ertragen wissen wie andre Leute und sein
Organ nicht ohne weiteres wie über eine Gotteslästerung und Tempelschänduug
aufschreie" lasse", wenn ihm einmal Absichten impntirt werde", die er in Wirk¬
lichkeit nicht verfolgt hat, die aber in Erinnerung an seine Vergangenheit ver¬
muthet werden konnte". Er konnte ja die Beschuldigung widerlegen, und je
ruhiger dies geschah, desto mehr wäre man geneigt gewesen, ihm Glauben bei-
zmnesse". Erhitztheit über eine Anklage verräth in der Regel kein gutes Ge¬
wissen.

Im übrigen giebt es vom Reichstage nicht viel von allgemeinem Interesse
zu berichten. Der Kanzler scheint keine Veranlassung oder keine Neigung mehr
zu' haben, sich dort zu zeigen und zu sprechen, und so schweigen des Krieges
Stürme. Nur bisweilen kommt in den trockenen Debatten, denen wohl wenige
Zeitungsleser ganz folgen werde", noch eine Episode vor, die des Aufmerkeus
und des Anfbewcihrens im Gedächtniß werth ist. So in der Sitzung vom
3. December, wo Herr Sonuemann -- ma" bellte, der Bankier Sounemann! --
die Mißstä"de auf dem Gebiete des Aetienweseus charakterisierte und rügte und
baldige Revision des Actiengcsetzcs verlangte. Ein Börsenmnnn und Beschrän¬
kung und Ueberwachung der Gründer, Erweiterung der Rechte des Actionairs --
Zeichen und Wunder!

I" derselben Sitzung geschah das Unerwartete, daß Herr Laster on xsWimt
sich für Staatsbahnen erklärte, indem er sagte: "Im einzelnen kann ich Herrn
Perrot beistimmen, z. B. darin, daß die Privateisenbahngescllschaften, seitdem
sie ein mobiler Artikel auf der Börse sind, sich ganz naturgemäß nicht halten
können, sondern in die Hand desjenigen übergehen müssen, der die Börse coiisc-
queut zu behandeln weiß und ihnen heute die eine Bah" abnimmt, morgen die
andre. Da ich selbst ein Anhänger des Stantsbah"systems bin, so muß ich
sagen, dnß der naturgemäße Gang dieser Dinge mich nicht sehr schmerzt." Wir
meinten bisher immer, Herr" Luster zur Mauchesterschulc zähle" zu müssen,
der Staatsbahnen ein Unfug siud, und so constatiren nur mit freudiger Über¬
raschung, daß wir wenigstens in dieser Beziehung geirrt haben, und wünschen
weitere Genesung bis zu dem Punkte, wo der "naturgemäße Gang dieser Dinge"
gar nicht mehr schmerzen und der Herr Abgeordnete nicht mehr einen Zustand
erwarten wird, in welchem der Staat die Bahnen zwar besitzen, nicht aber deren
Betrieb in der Hand behalten darf. Eine Verpachtung n" Ausbeuter, an die
er jetzt zu denke" scheint, wäre eine Umgehniig dessen, was die Regierung bei
ihre"! Streben nach Verwirklichung des Staatsbahnsystems rin im Auge hat,
und so hat die Partei des Redners, bevor sie ans Regiment kommt, nichts der
Art zu hoffen.

Wenn in der darauf folgenden Sitzung der Abgeordnete Richter gegenüber
dein Verlange" der Conservativen und des Centrums, daß die Börse stärker als


Die windthorstsche Affaire,

dies zugegeben. Daran sollte sich der Abgeordnete für Meppen genüge» lassen.
Er sollte für die Zukunft Kritik zu ertragen wissen wie andre Leute und sein
Organ nicht ohne weiteres wie über eine Gotteslästerung und Tempelschänduug
aufschreie» lasse», wenn ihm einmal Absichten impntirt werde», die er in Wirk¬
lichkeit nicht verfolgt hat, die aber in Erinnerung an seine Vergangenheit ver¬
muthet werden konnte». Er konnte ja die Beschuldigung widerlegen, und je
ruhiger dies geschah, desto mehr wäre man geneigt gewesen, ihm Glauben bei-
zmnesse». Erhitztheit über eine Anklage verräth in der Regel kein gutes Ge¬
wissen.

Im übrigen giebt es vom Reichstage nicht viel von allgemeinem Interesse
zu berichten. Der Kanzler scheint keine Veranlassung oder keine Neigung mehr
zu' haben, sich dort zu zeigen und zu sprechen, und so schweigen des Krieges
Stürme. Nur bisweilen kommt in den trockenen Debatten, denen wohl wenige
Zeitungsleser ganz folgen werde», noch eine Episode vor, die des Aufmerkeus
und des Anfbewcihrens im Gedächtniß werth ist. So in der Sitzung vom
3. December, wo Herr Sonuemann — ma» bellte, der Bankier Sounemann! —
die Mißstä»de auf dem Gebiete des Aetienweseus charakterisierte und rügte und
baldige Revision des Actiengcsetzcs verlangte. Ein Börsenmnnn und Beschrän¬
kung und Ueberwachung der Gründer, Erweiterung der Rechte des Actionairs —
Zeichen und Wunder!

I» derselben Sitzung geschah das Unerwartete, daß Herr Laster on xsWimt
sich für Staatsbahnen erklärte, indem er sagte: „Im einzelnen kann ich Herrn
Perrot beistimmen, z. B. darin, daß die Privateisenbahngescllschaften, seitdem
sie ein mobiler Artikel auf der Börse sind, sich ganz naturgemäß nicht halten
können, sondern in die Hand desjenigen übergehen müssen, der die Börse coiisc-
queut zu behandeln weiß und ihnen heute die eine Bah» abnimmt, morgen die
andre. Da ich selbst ein Anhänger des Stantsbah»systems bin, so muß ich
sagen, dnß der naturgemäße Gang dieser Dinge mich nicht sehr schmerzt." Wir
meinten bisher immer, Herr» Luster zur Mauchesterschulc zähle» zu müssen,
der Staatsbahnen ein Unfug siud, und so constatiren nur mit freudiger Über¬
raschung, daß wir wenigstens in dieser Beziehung geirrt haben, und wünschen
weitere Genesung bis zu dem Punkte, wo der „naturgemäße Gang dieser Dinge"
gar nicht mehr schmerzen und der Herr Abgeordnete nicht mehr einen Zustand
erwarten wird, in welchem der Staat die Bahnen zwar besitzen, nicht aber deren
Betrieb in der Hand behalten darf. Eine Verpachtung n» Ausbeuter, an die
er jetzt zu denke» scheint, wäre eine Umgehniig dessen, was die Regierung bei
ihre»! Streben nach Verwirklichung des Staatsbahnsystems rin im Auge hat,
und so hat die Partei des Redners, bevor sie ans Regiment kommt, nichts der
Art zu hoffen.

Wenn in der darauf folgenden Sitzung der Abgeordnete Richter gegenüber
dein Verlange» der Conservativen und des Centrums, daß die Börse stärker als


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[0533] Die windthorstsche Affaire, dies zugegeben. Daran sollte sich der Abgeordnete für Meppen genüge» lassen. Er sollte für die Zukunft Kritik zu ertragen wissen wie andre Leute und sein Organ nicht ohne weiteres wie über eine Gotteslästerung und Tempelschänduug aufschreie» lasse», wenn ihm einmal Absichten impntirt werde», die er in Wirk¬ lichkeit nicht verfolgt hat, die aber in Erinnerung an seine Vergangenheit ver¬ muthet werden konnte». Er konnte ja die Beschuldigung widerlegen, und je ruhiger dies geschah, desto mehr wäre man geneigt gewesen, ihm Glauben bei- zmnesse». Erhitztheit über eine Anklage verräth in der Regel kein gutes Ge¬ wissen. Im übrigen giebt es vom Reichstage nicht viel von allgemeinem Interesse zu berichten. Der Kanzler scheint keine Veranlassung oder keine Neigung mehr zu' haben, sich dort zu zeigen und zu sprechen, und so schweigen des Krieges Stürme. Nur bisweilen kommt in den trockenen Debatten, denen wohl wenige Zeitungsleser ganz folgen werde», noch eine Episode vor, die des Aufmerkeus und des Anfbewcihrens im Gedächtniß werth ist. So in der Sitzung vom 3. December, wo Herr Sonuemann — ma» bellte, der Bankier Sounemann! — die Mißstä»de auf dem Gebiete des Aetienweseus charakterisierte und rügte und baldige Revision des Actiengcsetzcs verlangte. Ein Börsenmnnn und Beschrän¬ kung und Ueberwachung der Gründer, Erweiterung der Rechte des Actionairs — Zeichen und Wunder! I» derselben Sitzung geschah das Unerwartete, daß Herr Laster on xsWimt sich für Staatsbahnen erklärte, indem er sagte: „Im einzelnen kann ich Herrn Perrot beistimmen, z. B. darin, daß die Privateisenbahngescllschaften, seitdem sie ein mobiler Artikel auf der Börse sind, sich ganz naturgemäß nicht halten können, sondern in die Hand desjenigen übergehen müssen, der die Börse coiisc- queut zu behandeln weiß und ihnen heute die eine Bah» abnimmt, morgen die andre. Da ich selbst ein Anhänger des Stantsbah»systems bin, so muß ich sagen, dnß der naturgemäße Gang dieser Dinge mich nicht sehr schmerzt." Wir meinten bisher immer, Herr» Luster zur Mauchesterschulc zähle» zu müssen, der Staatsbahnen ein Unfug siud, und so constatiren nur mit freudiger Über¬ raschung, daß wir wenigstens in dieser Beziehung geirrt haben, und wünschen weitere Genesung bis zu dem Punkte, wo der „naturgemäße Gang dieser Dinge" gar nicht mehr schmerzen und der Herr Abgeordnete nicht mehr einen Zustand erwarten wird, in welchem der Staat die Bahnen zwar besitzen, nicht aber deren Betrieb in der Hand behalten darf. Eine Verpachtung n» Ausbeuter, an die er jetzt zu denke» scheint, wäre eine Umgehniig dessen, was die Regierung bei ihre»! Streben nach Verwirklichung des Staatsbahnsystems rin im Auge hat, und so hat die Partei des Redners, bevor sie ans Regiment kommt, nichts der Art zu hoffen. Wenn in der darauf folgenden Sitzung der Abgeordnete Richter gegenüber dein Verlange» der Conservativen und des Centrums, daß die Börse stärker als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/533>, abgerufen am 13.05.2024.