Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

doch nur verschwindend kleine Majoritäten zusammenbringt und oft bei wichtigen
Gliedern seines Aufbaues in der Minorität bleibt. . . . Und doch weiß jeder,
daß die Todfeinde des deutschen Reiches nur auf den Augenblick lauern, wo
der eiserne Kanzler ihnen nicht mehr die Siegeszuversicht raubt... . Wenn die
Deutschen nach Jahrhunderten auf die Wiedergeburt des Reiches zurückblicken,
werden sie die Männer, denen wir dieselbe verdanken, zu den größten Namen
der Geschichte zählen und kopfschüttelnd wie vor einem unbegreiflichen Räthsel
vor der Thatsache stehen, daß die von der Vorsehung im rechten Augenblicke
gesandten Männer ein so kleines Geschlecht vorfanden, welches nach den großen
Kriegen ebenso wie vor denselben nichts zu thun wußte, als wo möglich ihre
Mission zu vereiteln. ... In dem Heldenbilde Kaiser Wilhelms wird die Nach¬
welt dereinst vielleicht als den größten Zug unter allen den anerkennen, daß
er so neidlos die geistige Größe neben sich nicht bloß zu dulden, sondern auch
zu conserviren wußte; an dem deutschen Volke aber wird sie es als den hä߬
lichsten von seinen vielen Fehlern bezeichnen müssen, daß es die Größe eines
Lebenden selbst in dem Falle nicht zu ertragen vermochte, wo dieser Lebende der
Ncubegrüuder seiner politischen Existenz und Machtstellung war."

Ein Theil des deutscheu Volkes -- die letzten Wahlen sprechen nicht da¬
gegen, wenn wir sagen, ein großer Theil -- blickt mit Widerwillen auf das
Treiben der Parteien, in deren Thun sich jene Verblendung, jener Neid und
jene Besserwisserei spiegeln. Sehr viele sind über das ersehnte deutsche Parla¬
ment enttäuscht. Das Volk, so weit es nicht unter der Herrschaft bewußt oder
unbewußt reichsfeindlicher Parteien steht, "sieht in der heutigen Negierung ein
offnes Verständniß für die Bedürfnisse der Gegenwart und ein reges, eifriges
und redliches Streben, demselben nach bestem Wissen Genüge zu thun. In dem
heutigen Parlamente dagegen, das die bestdurchdachten Gesetze entweder ablehnt
oder in Commissionen begrübe oder verstümmelt, vermag es nur den Hemmschuh
aller gute" Regierungsabsichten zu erkennen. Das Volk sieht in der Krone und
ihren Räthen die Factoren, die ihm trotz des preußischen Parlaments zur na¬
tionalen Einheit verholfen haben und dieselbe fort und fort cmszubciueu bemüht
sind, in dem heutigen Parlamente dagegen den Hort der deutschen Zerrissenheit
und Kleinstaaterei, welcher die wichtigsten Fortschritte zur Stärkung der Reichs¬
macht (z. B. die Samoavorlage und den deutschen Volkswirthschaftsrath) oder
zur Vollendung der Einheit (z. B. den Zollanschluß der Hansestädte) verhindert
oder doch nach Kräften erschwert und die Regierung jeden Augenblick vor die
Alternative stellt, auf die wichtigsten Vorlagen entweder ganz zu verzichten oder
sie in particularistischcr Verkümmerung zu acceptiren (z. B. die Beibehaltung
der Matricularbeiträge beim Zolltarife und die Staatsversicherung an Stelle
der Neichsversichernng.) Da keine Partei die Mehrheit hat, so kommt alles
auf Kompromisse der Parteien unter einander an, und dieser Handel mit
wechselseitigen Concessionen gestaltet sich nicht selten zu einem sachwidrigcn, klein"


doch nur verschwindend kleine Majoritäten zusammenbringt und oft bei wichtigen
Gliedern seines Aufbaues in der Minorität bleibt. . . . Und doch weiß jeder,
daß die Todfeinde des deutschen Reiches nur auf den Augenblick lauern, wo
der eiserne Kanzler ihnen nicht mehr die Siegeszuversicht raubt... . Wenn die
Deutschen nach Jahrhunderten auf die Wiedergeburt des Reiches zurückblicken,
werden sie die Männer, denen wir dieselbe verdanken, zu den größten Namen
der Geschichte zählen und kopfschüttelnd wie vor einem unbegreiflichen Räthsel
vor der Thatsache stehen, daß die von der Vorsehung im rechten Augenblicke
gesandten Männer ein so kleines Geschlecht vorfanden, welches nach den großen
Kriegen ebenso wie vor denselben nichts zu thun wußte, als wo möglich ihre
Mission zu vereiteln. ... In dem Heldenbilde Kaiser Wilhelms wird die Nach¬
welt dereinst vielleicht als den größten Zug unter allen den anerkennen, daß
er so neidlos die geistige Größe neben sich nicht bloß zu dulden, sondern auch
zu conserviren wußte; an dem deutschen Volke aber wird sie es als den hä߬
lichsten von seinen vielen Fehlern bezeichnen müssen, daß es die Größe eines
Lebenden selbst in dem Falle nicht zu ertragen vermochte, wo dieser Lebende der
Ncubegrüuder seiner politischen Existenz und Machtstellung war."

Ein Theil des deutscheu Volkes — die letzten Wahlen sprechen nicht da¬
gegen, wenn wir sagen, ein großer Theil — blickt mit Widerwillen auf das
Treiben der Parteien, in deren Thun sich jene Verblendung, jener Neid und
jene Besserwisserei spiegeln. Sehr viele sind über das ersehnte deutsche Parla¬
ment enttäuscht. Das Volk, so weit es nicht unter der Herrschaft bewußt oder
unbewußt reichsfeindlicher Parteien steht, „sieht in der heutigen Negierung ein
offnes Verständniß für die Bedürfnisse der Gegenwart und ein reges, eifriges
und redliches Streben, demselben nach bestem Wissen Genüge zu thun. In dem
heutigen Parlamente dagegen, das die bestdurchdachten Gesetze entweder ablehnt
oder in Commissionen begrübe oder verstümmelt, vermag es nur den Hemmschuh
aller gute» Regierungsabsichten zu erkennen. Das Volk sieht in der Krone und
ihren Räthen die Factoren, die ihm trotz des preußischen Parlaments zur na¬
tionalen Einheit verholfen haben und dieselbe fort und fort cmszubciueu bemüht
sind, in dem heutigen Parlamente dagegen den Hort der deutschen Zerrissenheit
und Kleinstaaterei, welcher die wichtigsten Fortschritte zur Stärkung der Reichs¬
macht (z. B. die Samoavorlage und den deutschen Volkswirthschaftsrath) oder
zur Vollendung der Einheit (z. B. den Zollanschluß der Hansestädte) verhindert
oder doch nach Kräften erschwert und die Regierung jeden Augenblick vor die
Alternative stellt, auf die wichtigsten Vorlagen entweder ganz zu verzichten oder
sie in particularistischcr Verkümmerung zu acceptiren (z. B. die Beibehaltung
der Matricularbeiträge beim Zolltarife und die Staatsversicherung an Stelle
der Neichsversichernng.) Da keine Partei die Mehrheit hat, so kommt alles
auf Kompromisse der Parteien unter einander an, und dieser Handel mit
wechselseitigen Concessionen gestaltet sich nicht selten zu einem sachwidrigcn, klein"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0546" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151268"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1767" prev="#ID_1766"> doch nur verschwindend kleine Majoritäten zusammenbringt und oft bei wichtigen<lb/>
Gliedern seines Aufbaues in der Minorität bleibt. . . . Und doch weiß jeder,<lb/>
daß die Todfeinde des deutschen Reiches nur auf den Augenblick lauern, wo<lb/>
der eiserne Kanzler ihnen nicht mehr die Siegeszuversicht raubt... . Wenn die<lb/>
Deutschen nach Jahrhunderten auf die Wiedergeburt des Reiches zurückblicken,<lb/>
werden sie die Männer, denen wir dieselbe verdanken, zu den größten Namen<lb/>
der Geschichte zählen und kopfschüttelnd wie vor einem unbegreiflichen Räthsel<lb/>
vor der Thatsache stehen, daß die von der Vorsehung im rechten Augenblicke<lb/>
gesandten Männer ein so kleines Geschlecht vorfanden, welches nach den großen<lb/>
Kriegen ebenso wie vor denselben nichts zu thun wußte, als wo möglich ihre<lb/>
Mission zu vereiteln. ... In dem Heldenbilde Kaiser Wilhelms wird die Nach¬<lb/>
welt dereinst vielleicht als den größten Zug unter allen den anerkennen, daß<lb/>
er so neidlos die geistige Größe neben sich nicht bloß zu dulden, sondern auch<lb/>
zu conserviren wußte; an dem deutschen Volke aber wird sie es als den hä߬<lb/>
lichsten von seinen vielen Fehlern bezeichnen müssen, daß es die Größe eines<lb/>
Lebenden selbst in dem Falle nicht zu ertragen vermochte, wo dieser Lebende der<lb/>
Ncubegrüuder seiner politischen Existenz und Machtstellung war."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1768" next="#ID_1769"> Ein Theil des deutscheu Volkes &#x2014; die letzten Wahlen sprechen nicht da¬<lb/>
gegen, wenn wir sagen, ein großer Theil &#x2014; blickt mit Widerwillen auf das<lb/>
Treiben der Parteien, in deren Thun sich jene Verblendung, jener Neid und<lb/>
jene Besserwisserei spiegeln. Sehr viele sind über das ersehnte deutsche Parla¬<lb/>
ment enttäuscht. Das Volk, so weit es nicht unter der Herrschaft bewußt oder<lb/>
unbewußt reichsfeindlicher Parteien steht, &#x201E;sieht in der heutigen Negierung ein<lb/>
offnes Verständniß für die Bedürfnisse der Gegenwart und ein reges, eifriges<lb/>
und redliches Streben, demselben nach bestem Wissen Genüge zu thun. In dem<lb/>
heutigen Parlamente dagegen, das die bestdurchdachten Gesetze entweder ablehnt<lb/>
oder in Commissionen begrübe oder verstümmelt, vermag es nur den Hemmschuh<lb/>
aller gute» Regierungsabsichten zu erkennen. Das Volk sieht in der Krone und<lb/>
ihren Räthen die Factoren, die ihm trotz des preußischen Parlaments zur na¬<lb/>
tionalen Einheit verholfen haben und dieselbe fort und fort cmszubciueu bemüht<lb/>
sind, in dem heutigen Parlamente dagegen den Hort der deutschen Zerrissenheit<lb/>
und Kleinstaaterei, welcher die wichtigsten Fortschritte zur Stärkung der Reichs¬<lb/>
macht (z. B. die Samoavorlage und den deutschen Volkswirthschaftsrath) oder<lb/>
zur Vollendung der Einheit (z. B. den Zollanschluß der Hansestädte) verhindert<lb/>
oder doch nach Kräften erschwert und die Regierung jeden Augenblick vor die<lb/>
Alternative stellt, auf die wichtigsten Vorlagen entweder ganz zu verzichten oder<lb/>
sie in particularistischcr Verkümmerung zu acceptiren (z. B. die Beibehaltung<lb/>
der Matricularbeiträge beim Zolltarife und die Staatsversicherung an Stelle<lb/>
der Neichsversichernng.) Da keine Partei die Mehrheit hat, so kommt alles<lb/>
auf Kompromisse der Parteien unter einander an, und dieser Handel mit<lb/>
wechselseitigen Concessionen gestaltet sich nicht selten zu einem sachwidrigcn, klein"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0546] doch nur verschwindend kleine Majoritäten zusammenbringt und oft bei wichtigen Gliedern seines Aufbaues in der Minorität bleibt. . . . Und doch weiß jeder, daß die Todfeinde des deutschen Reiches nur auf den Augenblick lauern, wo der eiserne Kanzler ihnen nicht mehr die Siegeszuversicht raubt... . Wenn die Deutschen nach Jahrhunderten auf die Wiedergeburt des Reiches zurückblicken, werden sie die Männer, denen wir dieselbe verdanken, zu den größten Namen der Geschichte zählen und kopfschüttelnd wie vor einem unbegreiflichen Räthsel vor der Thatsache stehen, daß die von der Vorsehung im rechten Augenblicke gesandten Männer ein so kleines Geschlecht vorfanden, welches nach den großen Kriegen ebenso wie vor denselben nichts zu thun wußte, als wo möglich ihre Mission zu vereiteln. ... In dem Heldenbilde Kaiser Wilhelms wird die Nach¬ welt dereinst vielleicht als den größten Zug unter allen den anerkennen, daß er so neidlos die geistige Größe neben sich nicht bloß zu dulden, sondern auch zu conserviren wußte; an dem deutschen Volke aber wird sie es als den hä߬ lichsten von seinen vielen Fehlern bezeichnen müssen, daß es die Größe eines Lebenden selbst in dem Falle nicht zu ertragen vermochte, wo dieser Lebende der Ncubegrüuder seiner politischen Existenz und Machtstellung war." Ein Theil des deutscheu Volkes — die letzten Wahlen sprechen nicht da¬ gegen, wenn wir sagen, ein großer Theil — blickt mit Widerwillen auf das Treiben der Parteien, in deren Thun sich jene Verblendung, jener Neid und jene Besserwisserei spiegeln. Sehr viele sind über das ersehnte deutsche Parla¬ ment enttäuscht. Das Volk, so weit es nicht unter der Herrschaft bewußt oder unbewußt reichsfeindlicher Parteien steht, „sieht in der heutigen Negierung ein offnes Verständniß für die Bedürfnisse der Gegenwart und ein reges, eifriges und redliches Streben, demselben nach bestem Wissen Genüge zu thun. In dem heutigen Parlamente dagegen, das die bestdurchdachten Gesetze entweder ablehnt oder in Commissionen begrübe oder verstümmelt, vermag es nur den Hemmschuh aller gute» Regierungsabsichten zu erkennen. Das Volk sieht in der Krone und ihren Räthen die Factoren, die ihm trotz des preußischen Parlaments zur na¬ tionalen Einheit verholfen haben und dieselbe fort und fort cmszubciueu bemüht sind, in dem heutigen Parlamente dagegen den Hort der deutschen Zerrissenheit und Kleinstaaterei, welcher die wichtigsten Fortschritte zur Stärkung der Reichs¬ macht (z. B. die Samoavorlage und den deutschen Volkswirthschaftsrath) oder zur Vollendung der Einheit (z. B. den Zollanschluß der Hansestädte) verhindert oder doch nach Kräften erschwert und die Regierung jeden Augenblick vor die Alternative stellt, auf die wichtigsten Vorlagen entweder ganz zu verzichten oder sie in particularistischcr Verkümmerung zu acceptiren (z. B. die Beibehaltung der Matricularbeiträge beim Zolltarife und die Staatsversicherung an Stelle der Neichsversichernng.) Da keine Partei die Mehrheit hat, so kommt alles auf Kompromisse der Parteien unter einander an, und dieser Handel mit wechselseitigen Concessionen gestaltet sich nicht selten zu einem sachwidrigcn, klein"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/546
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/546>, abgerufen am 04.06.2024.