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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Handelsprivilegien,

liebes, kostspieliges, zu Defrciudationen herausforderndes Besteucrungs- und Ver¬
zollungssystem an die Stelle von Einfachheit und Natürlichkeit getreten ist, Ist
es ein Wunder, wenn auf solchem Boden ein "Giftbaum" wächst?

Es ließe sich diese Darstellung noch vervollständigen durch Hinweisung auf
Schäden aus den verschiedensten Gebieten unsrer Gesetzgebung, Schäden, welche
zwar vielleicht in der Natur der gegenwärtigen Verkehrsverhältnisse liegen und
sich nicht vollständig vermeiden lassen, aber doch immer da sind. Doch wird
wohl ans dem Gesagten hinlänglich einleuchten, daß der Handel, in mancher
Hinsicht auch die mit demselben in Verbindung stehende Großindustrie, außer¬
ordentlich bevorzugt ist gegenüber allen andern Erwerbszweigen, indem er auf
Kosten der Gesammtheit Privilegien genießt, welche für Deutschland den Werth
von vielen hundert Millionen jährlich reprcisentiren, ganz abgesehen von dem
unermeßlichen sittlichen Schaden, welcher durch dieselben angestiftet wird.

Und das nennt sich Freihandel!

Es war zunächst nur unsre Absicht, dem heutigen "Freihandel" die Maske
abzureißen. Wollten wir selbst zugeben, daß die Handelsprivilegien nothwendig
oder wenigstens nützlich sein: mit Freiheit hat das im wesentlichen noch immer
herrschende Wirtschaftssystem nichts zu schaffen. Ist aber erst der Name "Frei¬
handel" zu dem von "Handelsprivilegien" berichtigt, so leuchtet ohne weiteres
ein, daß die Verbindung freisinniger Männer mit dem bestehenden System durch¬
aus unnatürlich ist, daß eine wirklich freisinnige Partei nur stehen kann auf
dem Boden des Kampfes gegen diese Art von "Freihandel."

Aber kommt nicht die Bevorzugung des Handels der Gesammtheit indirect
wieder zu Gute?

Wir könnten dem gegenüber darauf verweisen, daß die privilegirten Stände
von jeher diesen Trugschluß angewendet haben, daß dieselben stets, und oft in
gutem Glauben, ihre Sache als die des allgemeinen Wohls darzustellen gewußt
haben, daß dieselben immer ihre" Widerstand gegen zeitgemäße Reformen mit
der Sorge für das Heil der Staaten begründet haben, und daß der mit Be¬
sonnenheit durchgeführte" Aufhebung der Privilegien noch jedesmal ein neuer
Aufschwung der Völker gefolgt ist. So war es bei der Aufhebung der Scla-
verei, so bei der Befreiung des Bauernstandes, und es liegt zunächst kein Grund
vor zu der Annahme, daß die Handclsprivilegien ein nothwendigerer Factor
des allgemeinen Wohles seien als die Adelsprivilcgien. Trotzdem soll der Ein¬
wand etwas näher betrachtet werden.

Wir geben zu, daß die Bevorzugung des Handels eine künstliche Concur-
renz im Angebote von Waaren hervorruft, infolge deren die Consumenten bei
einzelnen Artikeln ihren Bedarf etwas billiger decken, als dies bei natürlicher
Concurrenz der Fall sein würde. Aber wenn auch auf diesem Wege dem Volke
ein Theil von dem Werthe der Handelsprivilegien zurückerstattet wird, so kaun
doch von einer vollen Vergütung nicht die Rede sein. Oder woher käme es


Handelsprivilegien,

liebes, kostspieliges, zu Defrciudationen herausforderndes Besteucrungs- und Ver¬
zollungssystem an die Stelle von Einfachheit und Natürlichkeit getreten ist, Ist
es ein Wunder, wenn auf solchem Boden ein „Giftbaum" wächst?

Es ließe sich diese Darstellung noch vervollständigen durch Hinweisung auf
Schäden aus den verschiedensten Gebieten unsrer Gesetzgebung, Schäden, welche
zwar vielleicht in der Natur der gegenwärtigen Verkehrsverhältnisse liegen und
sich nicht vollständig vermeiden lassen, aber doch immer da sind. Doch wird
wohl ans dem Gesagten hinlänglich einleuchten, daß der Handel, in mancher
Hinsicht auch die mit demselben in Verbindung stehende Großindustrie, außer¬
ordentlich bevorzugt ist gegenüber allen andern Erwerbszweigen, indem er auf
Kosten der Gesammtheit Privilegien genießt, welche für Deutschland den Werth
von vielen hundert Millionen jährlich reprcisentiren, ganz abgesehen von dem
unermeßlichen sittlichen Schaden, welcher durch dieselben angestiftet wird.

Und das nennt sich Freihandel!

Es war zunächst nur unsre Absicht, dem heutigen „Freihandel" die Maske
abzureißen. Wollten wir selbst zugeben, daß die Handelsprivilegien nothwendig
oder wenigstens nützlich sein: mit Freiheit hat das im wesentlichen noch immer
herrschende Wirtschaftssystem nichts zu schaffen. Ist aber erst der Name „Frei¬
handel" zu dem von „Handelsprivilegien" berichtigt, so leuchtet ohne weiteres
ein, daß die Verbindung freisinniger Männer mit dem bestehenden System durch¬
aus unnatürlich ist, daß eine wirklich freisinnige Partei nur stehen kann auf
dem Boden des Kampfes gegen diese Art von „Freihandel."

Aber kommt nicht die Bevorzugung des Handels der Gesammtheit indirect
wieder zu Gute?

Wir könnten dem gegenüber darauf verweisen, daß die privilegirten Stände
von jeher diesen Trugschluß angewendet haben, daß dieselben stets, und oft in
gutem Glauben, ihre Sache als die des allgemeinen Wohls darzustellen gewußt
haben, daß dieselben immer ihre» Widerstand gegen zeitgemäße Reformen mit
der Sorge für das Heil der Staaten begründet haben, und daß der mit Be¬
sonnenheit durchgeführte» Aufhebung der Privilegien noch jedesmal ein neuer
Aufschwung der Völker gefolgt ist. So war es bei der Aufhebung der Scla-
verei, so bei der Befreiung des Bauernstandes, und es liegt zunächst kein Grund
vor zu der Annahme, daß die Handclsprivilegien ein nothwendigerer Factor
des allgemeinen Wohles seien als die Adelsprivilcgien. Trotzdem soll der Ein¬
wand etwas näher betrachtet werden.

Wir geben zu, daß die Bevorzugung des Handels eine künstliche Concur-
renz im Angebote von Waaren hervorruft, infolge deren die Consumenten bei
einzelnen Artikeln ihren Bedarf etwas billiger decken, als dies bei natürlicher
Concurrenz der Fall sein würde. Aber wenn auch auf diesem Wege dem Volke
ein Theil von dem Werthe der Handelsprivilegien zurückerstattet wird, so kaun
doch von einer vollen Vergütung nicht die Rede sein. Oder woher käme es


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[0552] Handelsprivilegien, liebes, kostspieliges, zu Defrciudationen herausforderndes Besteucrungs- und Ver¬ zollungssystem an die Stelle von Einfachheit und Natürlichkeit getreten ist, Ist es ein Wunder, wenn auf solchem Boden ein „Giftbaum" wächst? Es ließe sich diese Darstellung noch vervollständigen durch Hinweisung auf Schäden aus den verschiedensten Gebieten unsrer Gesetzgebung, Schäden, welche zwar vielleicht in der Natur der gegenwärtigen Verkehrsverhältnisse liegen und sich nicht vollständig vermeiden lassen, aber doch immer da sind. Doch wird wohl ans dem Gesagten hinlänglich einleuchten, daß der Handel, in mancher Hinsicht auch die mit demselben in Verbindung stehende Großindustrie, außer¬ ordentlich bevorzugt ist gegenüber allen andern Erwerbszweigen, indem er auf Kosten der Gesammtheit Privilegien genießt, welche für Deutschland den Werth von vielen hundert Millionen jährlich reprcisentiren, ganz abgesehen von dem unermeßlichen sittlichen Schaden, welcher durch dieselben angestiftet wird. Und das nennt sich Freihandel! Es war zunächst nur unsre Absicht, dem heutigen „Freihandel" die Maske abzureißen. Wollten wir selbst zugeben, daß die Handelsprivilegien nothwendig oder wenigstens nützlich sein: mit Freiheit hat das im wesentlichen noch immer herrschende Wirtschaftssystem nichts zu schaffen. Ist aber erst der Name „Frei¬ handel" zu dem von „Handelsprivilegien" berichtigt, so leuchtet ohne weiteres ein, daß die Verbindung freisinniger Männer mit dem bestehenden System durch¬ aus unnatürlich ist, daß eine wirklich freisinnige Partei nur stehen kann auf dem Boden des Kampfes gegen diese Art von „Freihandel." Aber kommt nicht die Bevorzugung des Handels der Gesammtheit indirect wieder zu Gute? Wir könnten dem gegenüber darauf verweisen, daß die privilegirten Stände von jeher diesen Trugschluß angewendet haben, daß dieselben stets, und oft in gutem Glauben, ihre Sache als die des allgemeinen Wohls darzustellen gewußt haben, daß dieselben immer ihre» Widerstand gegen zeitgemäße Reformen mit der Sorge für das Heil der Staaten begründet haben, und daß der mit Be¬ sonnenheit durchgeführte» Aufhebung der Privilegien noch jedesmal ein neuer Aufschwung der Völker gefolgt ist. So war es bei der Aufhebung der Scla- verei, so bei der Befreiung des Bauernstandes, und es liegt zunächst kein Grund vor zu der Annahme, daß die Handclsprivilegien ein nothwendigerer Factor des allgemeinen Wohles seien als die Adelsprivilcgien. Trotzdem soll der Ein¬ wand etwas näher betrachtet werden. Wir geben zu, daß die Bevorzugung des Handels eine künstliche Concur- renz im Angebote von Waaren hervorruft, infolge deren die Consumenten bei einzelnen Artikeln ihren Bedarf etwas billiger decken, als dies bei natürlicher Concurrenz der Fall sein würde. Aber wenn auch auf diesem Wege dem Volke ein Theil von dem Werthe der Handelsprivilegien zurückerstattet wird, so kaun doch von einer vollen Vergütung nicht die Rede sein. Oder woher käme es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/552>, abgerufen am 10.06.2024.