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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Handclsprivilegien,

denn, daß die Lage des Arbeiterstandes trotz aller Erleichterungen in der Er¬
zeugung von Lebensbedürfnissen sich wenig oder gar nicht bessert? Daß der
Mittelstand, der eigentliche Träger der Cultur, weit entfernt, aus den modernen
Vervollkommnungen der Technik Gewinn zu ziehen, mehr und mehr verarmt
und verschwindet? Und woher käme es auf der andern Seite, daß die gewal¬
tigen Reichthümer, welche das Genie eines James Watt, eines Lavoisier und
ihrer Nachfolger schafft, sich ausschließlich in den Handen weniger Millionäre
ansammeln, und zwar wohlgemerkt meist nicht in den Händen der ursprünglichen
Schöpfer, sondern bei denen, welche sich am besten ans die Ausbeutung fremden
Geistes verstehen? Woher kämen die leichten und schnellen Gewinne, welche
nur der Handel, allenfalls noch die mit demselben verbundene Großindustrie
bringt, während die mühevolle, schaffende Arbeit ihren Mann sogar dürftiger
als früher nährt? Woher käme die Hypertrophie des Handels, ja die Ent¬
artung desselben zum wilden Börsenspiel? Wer diese Gegensätze unbefangen be¬
trachtet, der kann unsers Erachtens nicht im Zweifel darüber bleiben, daß die
Handelsprivilegien ausschließlich denen Gewinn bringen, welche dieselben direct
genießen, während die übrige Bevölkerung kaum einige Procent der dem Handel
geopferten Milliarden in Gestalt von billigen Waaren zurückerstattet bekommt.

Ja noch mehr. Die Adelsprivilegien haben mit der Zeit auch die bevor¬
zugten Klassen geschädigt: durch die Aufhebung derselben ist nicht nur der Bauer,
sondern mich der Edelmann reicher geworden. Ebenso werden die Haudelspri-
vilegien schon jetzt für die begünstigte Großindustrie verhängnißvoll. Von zehn
Fabriken, welche Hunderte von selbständigen kleinern Existenzen vernichtet haben,
werden wieder neun Opfer der einen, welche durch die Lage, das größere Ca¬
pital, zuweilen auch durch die größere Intelligenz ihres Leiters bevorzugt ist.
Die übermäßige Erleichterung des Handelsverkehrs nöthigt zu einer immer grö¬
ßeren Ausdehnung des Marktes, dessen Bedürfnisse sich immer schwerer übersehen
lassen. So kommt auch der Industrielle, welcher heute noch eine gesicherte
Existenz zu haben scheint, nicht zu einen: behaglichen Dasein. Ihm bleibt keine
Wahl, als seinen Geschäftskreis immer weiter auszudehnen und andre zu ver¬
nichten oder selbst zu Grunde zu gehen. Die Tendenz des Capitals, sich in
immer weniger Hände zu concentriren, ist unzweifelhaft bis zu einem gewissen
Grade eine nothwendige Folge der Dampfmaschine. Aber zu wildem Paroxys-
mus wird der fieberhafte Zustand, welcher die unliebsame Zugabe jeder, auch
der wohlthätigsten Neuerung ist, doch erst gesteigert durch die Handelsprivilcgien.
Sie müssen die vorhandene Tendenz, das Hasten und Jagen nach Reichthum
noch unterstützen. Durch sie erst werden alle die unvermeidlichen Nachtheile,
welche der Uebergang zu neuen und vollkommneren Productions- und Verkehrs¬
formen mit sich bringen mußte, zur Unerträglichkeit gesteigert. Ob eine der
Höhe der Privilegien entsprechende Belastung des Handels genügen würde, um
diese Uebelstände zu beseitigen, haben wir hier nicht zu untersuchen. Daß sie


Handclsprivilegien,

denn, daß die Lage des Arbeiterstandes trotz aller Erleichterungen in der Er¬
zeugung von Lebensbedürfnissen sich wenig oder gar nicht bessert? Daß der
Mittelstand, der eigentliche Träger der Cultur, weit entfernt, aus den modernen
Vervollkommnungen der Technik Gewinn zu ziehen, mehr und mehr verarmt
und verschwindet? Und woher käme es auf der andern Seite, daß die gewal¬
tigen Reichthümer, welche das Genie eines James Watt, eines Lavoisier und
ihrer Nachfolger schafft, sich ausschließlich in den Handen weniger Millionäre
ansammeln, und zwar wohlgemerkt meist nicht in den Händen der ursprünglichen
Schöpfer, sondern bei denen, welche sich am besten ans die Ausbeutung fremden
Geistes verstehen? Woher kämen die leichten und schnellen Gewinne, welche
nur der Handel, allenfalls noch die mit demselben verbundene Großindustrie
bringt, während die mühevolle, schaffende Arbeit ihren Mann sogar dürftiger
als früher nährt? Woher käme die Hypertrophie des Handels, ja die Ent¬
artung desselben zum wilden Börsenspiel? Wer diese Gegensätze unbefangen be¬
trachtet, der kann unsers Erachtens nicht im Zweifel darüber bleiben, daß die
Handelsprivilegien ausschließlich denen Gewinn bringen, welche dieselben direct
genießen, während die übrige Bevölkerung kaum einige Procent der dem Handel
geopferten Milliarden in Gestalt von billigen Waaren zurückerstattet bekommt.

Ja noch mehr. Die Adelsprivilegien haben mit der Zeit auch die bevor¬
zugten Klassen geschädigt: durch die Aufhebung derselben ist nicht nur der Bauer,
sondern mich der Edelmann reicher geworden. Ebenso werden die Haudelspri-
vilegien schon jetzt für die begünstigte Großindustrie verhängnißvoll. Von zehn
Fabriken, welche Hunderte von selbständigen kleinern Existenzen vernichtet haben,
werden wieder neun Opfer der einen, welche durch die Lage, das größere Ca¬
pital, zuweilen auch durch die größere Intelligenz ihres Leiters bevorzugt ist.
Die übermäßige Erleichterung des Handelsverkehrs nöthigt zu einer immer grö¬
ßeren Ausdehnung des Marktes, dessen Bedürfnisse sich immer schwerer übersehen
lassen. So kommt auch der Industrielle, welcher heute noch eine gesicherte
Existenz zu haben scheint, nicht zu einen: behaglichen Dasein. Ihm bleibt keine
Wahl, als seinen Geschäftskreis immer weiter auszudehnen und andre zu ver¬
nichten oder selbst zu Grunde zu gehen. Die Tendenz des Capitals, sich in
immer weniger Hände zu concentriren, ist unzweifelhaft bis zu einem gewissen
Grade eine nothwendige Folge der Dampfmaschine. Aber zu wildem Paroxys-
mus wird der fieberhafte Zustand, welcher die unliebsame Zugabe jeder, auch
der wohlthätigsten Neuerung ist, doch erst gesteigert durch die Handelsprivilcgien.
Sie müssen die vorhandene Tendenz, das Hasten und Jagen nach Reichthum
noch unterstützen. Durch sie erst werden alle die unvermeidlichen Nachtheile,
welche der Uebergang zu neuen und vollkommneren Productions- und Verkehrs¬
formen mit sich bringen mußte, zur Unerträglichkeit gesteigert. Ob eine der
Höhe der Privilegien entsprechende Belastung des Handels genügen würde, um
diese Uebelstände zu beseitigen, haben wir hier nicht zu untersuchen. Daß sie


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[0553] Handclsprivilegien, denn, daß die Lage des Arbeiterstandes trotz aller Erleichterungen in der Er¬ zeugung von Lebensbedürfnissen sich wenig oder gar nicht bessert? Daß der Mittelstand, der eigentliche Träger der Cultur, weit entfernt, aus den modernen Vervollkommnungen der Technik Gewinn zu ziehen, mehr und mehr verarmt und verschwindet? Und woher käme es auf der andern Seite, daß die gewal¬ tigen Reichthümer, welche das Genie eines James Watt, eines Lavoisier und ihrer Nachfolger schafft, sich ausschließlich in den Handen weniger Millionäre ansammeln, und zwar wohlgemerkt meist nicht in den Händen der ursprünglichen Schöpfer, sondern bei denen, welche sich am besten ans die Ausbeutung fremden Geistes verstehen? Woher kämen die leichten und schnellen Gewinne, welche nur der Handel, allenfalls noch die mit demselben verbundene Großindustrie bringt, während die mühevolle, schaffende Arbeit ihren Mann sogar dürftiger als früher nährt? Woher käme die Hypertrophie des Handels, ja die Ent¬ artung desselben zum wilden Börsenspiel? Wer diese Gegensätze unbefangen be¬ trachtet, der kann unsers Erachtens nicht im Zweifel darüber bleiben, daß die Handelsprivilegien ausschließlich denen Gewinn bringen, welche dieselben direct genießen, während die übrige Bevölkerung kaum einige Procent der dem Handel geopferten Milliarden in Gestalt von billigen Waaren zurückerstattet bekommt. Ja noch mehr. Die Adelsprivilegien haben mit der Zeit auch die bevor¬ zugten Klassen geschädigt: durch die Aufhebung derselben ist nicht nur der Bauer, sondern mich der Edelmann reicher geworden. Ebenso werden die Haudelspri- vilegien schon jetzt für die begünstigte Großindustrie verhängnißvoll. Von zehn Fabriken, welche Hunderte von selbständigen kleinern Existenzen vernichtet haben, werden wieder neun Opfer der einen, welche durch die Lage, das größere Ca¬ pital, zuweilen auch durch die größere Intelligenz ihres Leiters bevorzugt ist. Die übermäßige Erleichterung des Handelsverkehrs nöthigt zu einer immer grö¬ ßeren Ausdehnung des Marktes, dessen Bedürfnisse sich immer schwerer übersehen lassen. So kommt auch der Industrielle, welcher heute noch eine gesicherte Existenz zu haben scheint, nicht zu einen: behaglichen Dasein. Ihm bleibt keine Wahl, als seinen Geschäftskreis immer weiter auszudehnen und andre zu ver¬ nichten oder selbst zu Grunde zu gehen. Die Tendenz des Capitals, sich in immer weniger Hände zu concentriren, ist unzweifelhaft bis zu einem gewissen Grade eine nothwendige Folge der Dampfmaschine. Aber zu wildem Paroxys- mus wird der fieberhafte Zustand, welcher die unliebsame Zugabe jeder, auch der wohlthätigsten Neuerung ist, doch erst gesteigert durch die Handelsprivilcgien. Sie müssen die vorhandene Tendenz, das Hasten und Jagen nach Reichthum noch unterstützen. Durch sie erst werden alle die unvermeidlichen Nachtheile, welche der Uebergang zu neuen und vollkommneren Productions- und Verkehrs¬ formen mit sich bringen mußte, zur Unerträglichkeit gesteigert. Ob eine der Höhe der Privilegien entsprechende Belastung des Handels genügen würde, um diese Uebelstände zu beseitigen, haben wir hier nicht zu untersuchen. Daß sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/553>, abgerufen am 04.06.2024.