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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

Politik in ihrem Zusammenhange rin der allgemeinen Zeitgeschichte dargestellt
werden sollte, so mußten auch andre Quellen aufgesucht und benutzt werdeu.

So wurden zunächst neben den preußischen Berichten die der österreichische!!
Gesandten zurathe gezogen. Dies geschah namentlich in Betreff der orienta-
lischen Angelegenheiten, und der Verfasser sah sich hierzu umsomehr veranlaßt,
als das entscheidende Moment in der damaligen Verkettung der orientalische"
Frage, der Widerspruch Napoleons gegen die vou Rußland erstrebte Theilung
der Türkei, unaufhörlich auf die Geschicke Preußens einwirkte. Für die Er¬
kenntniß dieser Verhältnisse bieten die Depeschen des Jnternuntius in Konstan-
tinopel eine Fülle neuer und zuverlässiger Aufschlüsse dar. Ein zweiter Puukt,
der nach Wiener Archivalien hier genauer als bisher festgestellt worden ist, be¬
trifft die Verhandlungen zwischen dem österreichischen und dem russischen Hofe
im Sommer 1808, die von Wien aus eingeleitet wurden, um deu Kaiser Alexander
zur Neutralität bei dem beabsichtigten Kriege gegen Frankreich zu bewegen. Hier
wurden Beers Mittheilungen in dankenswerther Weise vervollständigt.

Ferner konnte der Verfasser in Bezug auf die Politik Englands in dieser
Zeit neben den gedruckten Quellen auch eine handschriftliche, die im Staats¬
archive zu Hannover befindlichen diplomatischen Papiere des Grafen Harden-
berg benutzen, der, bis zum Februar 1808 hannoverscher Gesandter in Wien,
nach dem officiellen Bruche zwischen Oesterreich und England dort zurückblieb
und fortdauernd mit dem Minister für Hannover in London, Graf Münster,
brieflich verkehrte. Die wichtigsten Stücke dieser Korrespondenz sind zwei Re-
scripte des letztern aus dem Juli und dem August des Jahres 1808, aus
denen sich ergiebt, daß das englische Cabinet voll dem Augenblicke an, wo
die Wellingtonsche Expedition nach Portugal beschlossen wurde, den Gedanken
einer Coalition der festländischen Mächte gegen Napoleon wieder aufnahm,
Oesterreich zu einer sofortigen Kriegserklärung gegen Frankreich zu gewinnen
suchte und in Petersburg sich anheischig machte, die Pforte zur Einwilligung in
die von Rußland verlangten Landabtretnngen zu bewegen, falls Kaiser Alexander
dein Bunde mit Napoleon entsagte und den Frieden mit England wiederherstellte.

Der wichtigste Beitrag aber zu dem vorliegenden Werke findet sich in der
handschriftlichen Hinterlassenschaft des Oberstleutnants Graf Götzen, welche im
Archiv des großen Generalstabs in Berlin verwahrt wird. Schon Hauffer und
Pertz haben auf die Bedeutung derselben für die Geschichte der preußische"
Politik während des Sommers und Herbstes von 1808 aufmerksam gemacht-
Die Absicht der geheimen Verhandlungen, welche Götzen, der Flügeladjutant
Friedrich Wilhelms III., im Juli dieses Jahres vom König nach Schlesien ge¬
sandt, mit österreichischen Prinzen und Militärs anknüpfte, ging dahin, dem
Wiener Hofe auf vertraulichem Wege die Gewißheit zu geben, daß Preußen zur
Theilnahme am Kampfe gegen Napoleon bereit sei, falls Oesterreich sich ent¬
schließe, mit der Kriegserklärung ohne Verzug vorzugehen. Unter den Papieren


Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

Politik in ihrem Zusammenhange rin der allgemeinen Zeitgeschichte dargestellt
werden sollte, so mußten auch andre Quellen aufgesucht und benutzt werdeu.

So wurden zunächst neben den preußischen Berichten die der österreichische!!
Gesandten zurathe gezogen. Dies geschah namentlich in Betreff der orienta-
lischen Angelegenheiten, und der Verfasser sah sich hierzu umsomehr veranlaßt,
als das entscheidende Moment in der damaligen Verkettung der orientalische»
Frage, der Widerspruch Napoleons gegen die vou Rußland erstrebte Theilung
der Türkei, unaufhörlich auf die Geschicke Preußens einwirkte. Für die Er¬
kenntniß dieser Verhältnisse bieten die Depeschen des Jnternuntius in Konstan-
tinopel eine Fülle neuer und zuverlässiger Aufschlüsse dar. Ein zweiter Puukt,
der nach Wiener Archivalien hier genauer als bisher festgestellt worden ist, be¬
trifft die Verhandlungen zwischen dem österreichischen und dem russischen Hofe
im Sommer 1808, die von Wien aus eingeleitet wurden, um deu Kaiser Alexander
zur Neutralität bei dem beabsichtigten Kriege gegen Frankreich zu bewegen. Hier
wurden Beers Mittheilungen in dankenswerther Weise vervollständigt.

Ferner konnte der Verfasser in Bezug auf die Politik Englands in dieser
Zeit neben den gedruckten Quellen auch eine handschriftliche, die im Staats¬
archive zu Hannover befindlichen diplomatischen Papiere des Grafen Harden-
berg benutzen, der, bis zum Februar 1808 hannoverscher Gesandter in Wien,
nach dem officiellen Bruche zwischen Oesterreich und England dort zurückblieb
und fortdauernd mit dem Minister für Hannover in London, Graf Münster,
brieflich verkehrte. Die wichtigsten Stücke dieser Korrespondenz sind zwei Re-
scripte des letztern aus dem Juli und dem August des Jahres 1808, aus
denen sich ergiebt, daß das englische Cabinet voll dem Augenblicke an, wo
die Wellingtonsche Expedition nach Portugal beschlossen wurde, den Gedanken
einer Coalition der festländischen Mächte gegen Napoleon wieder aufnahm,
Oesterreich zu einer sofortigen Kriegserklärung gegen Frankreich zu gewinnen
suchte und in Petersburg sich anheischig machte, die Pforte zur Einwilligung in
die von Rußland verlangten Landabtretnngen zu bewegen, falls Kaiser Alexander
dein Bunde mit Napoleon entsagte und den Frieden mit England wiederherstellte.

Der wichtigste Beitrag aber zu dem vorliegenden Werke findet sich in der
handschriftlichen Hinterlassenschaft des Oberstleutnants Graf Götzen, welche im
Archiv des großen Generalstabs in Berlin verwahrt wird. Schon Hauffer und
Pertz haben auf die Bedeutung derselben für die Geschichte der preußische»
Politik während des Sommers und Herbstes von 1808 aufmerksam gemacht-
Die Absicht der geheimen Verhandlungen, welche Götzen, der Flügeladjutant
Friedrich Wilhelms III., im Juli dieses Jahres vom König nach Schlesien ge¬
sandt, mit österreichischen Prinzen und Militärs anknüpfte, ging dahin, dem
Wiener Hofe auf vertraulichem Wege die Gewißheit zu geben, daß Preußen zur
Theilnahme am Kampfe gegen Napoleon bereit sei, falls Oesterreich sich ent¬
schließe, mit der Kriegserklärung ohne Verzug vorzugehen. Unter den Papieren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/56>, abgerufen am 14.05.2024.