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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit "ach dein Tilsiter Frieden,

Götzens finden sich mehrere chiffrirte Schriftstücke, die von Hauffer und Pertz
nicht haben entziffert werden können. Herrn Hassel ist es gelungen, mit Hilfe
des aufgefundenen Schlüssels für die Geheimschrift das Räthsel zu lösen. Es
ist dabei eine urkundliche Quelle ersten Ranges zum Vorschein gekommen: die
Briefe, welche Stein in jenen Tagen an Götzen richtete, und welche dazu be¬
stimmt waren, dem Abgesandten des Königs nicht nur die politische Lage und
die zu fassenden Entschlüsse nach den eigensten Anschauungen Steins darzustellen,
sondern zugleich ihm die nöthigen Directiven für seine Mission zu ertheilen.
Indem wir den übrigen Inhalt des Werkes dem eignen Studium unsrer Leser
überlassen, entnehmen wir dem Buche das an verschiedenen Stellen desselben
zerstreute Material zu einem Bilde dieser Mission.

Wenn die preußische Politik bei der Auseinandersetzung mit Frankreich nach
dem Tilsiter Frieden sich vorzugsweise an Rußland anlehnte, so verschmähte
der König auch die guten Dienste Oesterreichs nicht; denn es konnte, obwohl
es während des Krieges von 1807 Zurückhaltung beobachtet hatte, seiner eignen
Erhaltung wegen die dauernde Unterjochung Preußens nicht mit Gleichgiltigkeit
ansehen. Durch einen Verwandten des königlichen Hauses, den Fürsten Radziwill,
kannte man in Berlin den erschütternden Eindruck, den die unerwartete Kata¬
strophe in Tilsit auf den Kaiser Franz gemacht hatte, und man glaubte, daß er
schmerzlich bedauere, uicht zu rechter Zeit gegen Napoleon Partei ergriffen zu
haben. Je mehr die französische Occupation der Gebiete zwischen Elbe und
Weichsel sich in die Länge zog, desto natürlicher schien es, daß auch die öster¬
reichische Regierung, durch das Verweilen von fünfzigtausend Franzosen in
Schlesien zu steter Wachsamkeit gezwungen, sich veranlaßt finden werde, dem
Wunsche nach baldiger Räumung Preußens bei Napoleon Ausdruck zu geben.
Als aber Graf Finkenstein, der preußische Gesandte in Wien, im Februar 1808
darum hat, erhielt er von Stadion die Antwort, Metternich solle zwar ange¬
wiesen werden, für die Entfernung der französischen Armee aus Preuße" zu
wirken, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß er seinem Hofe dadurch keine
Angelegenheiten bereite, und es ist zweifelhaft, ob Metternich in der Sache
überhaupt etwas gethan hat. Die Regierung des Kaisers Franz strebte damals
eben jeden Conflict mit Napoleon zu vermeiden, und bis in den Hochsommer
1808 nahm man in Berlin an, daß Oesterreich schließlich in allen Dingen den
Willen Napoleons zur Richtschnur seines Handelns machen werde.

Inzwischen waren die Ereignisse auf der pyrenäischen Halbinsel eingetreten.
Mit fieberhafter Spannung folgte man in Wien dem Allsgange des Geschickes
der Bourbonen. Von neuem zeigte sich, daß Napoleon entschlossen war, die
legitimen Mächte Europas, selbst die, welche wie Spanien dem Bündnisse mit
Frankreich alles geopfert hatten, ohne Rücksicht auf Recht und Verträge nieder¬
zuwerfen. Das Wiener Cabinet wurde von der bangen Ahnung eines neuen
Vermchtungskcmipfes ergriffen, der über Oesterreich hereinzubrechen drohte, so-


Aus der Zeit »ach dein Tilsiter Frieden,

Götzens finden sich mehrere chiffrirte Schriftstücke, die von Hauffer und Pertz
nicht haben entziffert werden können. Herrn Hassel ist es gelungen, mit Hilfe
des aufgefundenen Schlüssels für die Geheimschrift das Räthsel zu lösen. Es
ist dabei eine urkundliche Quelle ersten Ranges zum Vorschein gekommen: die
Briefe, welche Stein in jenen Tagen an Götzen richtete, und welche dazu be¬
stimmt waren, dem Abgesandten des Königs nicht nur die politische Lage und
die zu fassenden Entschlüsse nach den eigensten Anschauungen Steins darzustellen,
sondern zugleich ihm die nöthigen Directiven für seine Mission zu ertheilen.
Indem wir den übrigen Inhalt des Werkes dem eignen Studium unsrer Leser
überlassen, entnehmen wir dem Buche das an verschiedenen Stellen desselben
zerstreute Material zu einem Bilde dieser Mission.

Wenn die preußische Politik bei der Auseinandersetzung mit Frankreich nach
dem Tilsiter Frieden sich vorzugsweise an Rußland anlehnte, so verschmähte
der König auch die guten Dienste Oesterreichs nicht; denn es konnte, obwohl
es während des Krieges von 1807 Zurückhaltung beobachtet hatte, seiner eignen
Erhaltung wegen die dauernde Unterjochung Preußens nicht mit Gleichgiltigkeit
ansehen. Durch einen Verwandten des königlichen Hauses, den Fürsten Radziwill,
kannte man in Berlin den erschütternden Eindruck, den die unerwartete Kata¬
strophe in Tilsit auf den Kaiser Franz gemacht hatte, und man glaubte, daß er
schmerzlich bedauere, uicht zu rechter Zeit gegen Napoleon Partei ergriffen zu
haben. Je mehr die französische Occupation der Gebiete zwischen Elbe und
Weichsel sich in die Länge zog, desto natürlicher schien es, daß auch die öster¬
reichische Regierung, durch das Verweilen von fünfzigtausend Franzosen in
Schlesien zu steter Wachsamkeit gezwungen, sich veranlaßt finden werde, dem
Wunsche nach baldiger Räumung Preußens bei Napoleon Ausdruck zu geben.
Als aber Graf Finkenstein, der preußische Gesandte in Wien, im Februar 1808
darum hat, erhielt er von Stadion die Antwort, Metternich solle zwar ange¬
wiesen werden, für die Entfernung der französischen Armee aus Preuße» zu
wirken, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß er seinem Hofe dadurch keine
Angelegenheiten bereite, und es ist zweifelhaft, ob Metternich in der Sache
überhaupt etwas gethan hat. Die Regierung des Kaisers Franz strebte damals
eben jeden Conflict mit Napoleon zu vermeiden, und bis in den Hochsommer
1808 nahm man in Berlin an, daß Oesterreich schließlich in allen Dingen den
Willen Napoleons zur Richtschnur seines Handelns machen werde.

Inzwischen waren die Ereignisse auf der pyrenäischen Halbinsel eingetreten.
Mit fieberhafter Spannung folgte man in Wien dem Allsgange des Geschickes
der Bourbonen. Von neuem zeigte sich, daß Napoleon entschlossen war, die
legitimen Mächte Europas, selbst die, welche wie Spanien dem Bündnisse mit
Frankreich alles geopfert hatten, ohne Rücksicht auf Recht und Verträge nieder¬
zuwerfen. Das Wiener Cabinet wurde von der bangen Ahnung eines neuen
Vermchtungskcmipfes ergriffen, der über Oesterreich hereinzubrechen drohte, so-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/57>, abgerufen am 30.05.2024.