Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

an Frankreich. Der König wies die Vorschläge derselben, die General Zastrow
befürwortete, zurück und entschloß sich, den Vorstellungen Steins und Scharnhorsts
zu folgen, welche sich in die Worte zusammenfassen lassen: Man schließe eine
Allianz mit Frankreich, aber diese soll nur dazu dienen, dem preußischen Staate
über die jetzigen Verlegenheiten hinwegzuhelfen, sie soll nur Deckmantel für die
Anstalten sein, die man treffen wird, um sich loszureißen.

Nach Uebergabe der Denkschrift, welche dies vorschlug und motivirte, er¬
hielt Prinz Wilhelm neue Jnstructionen. Ihr Inhalt ist bisher nicht beachtet
worden; umsomehr verlohnt es sich, ihn im einzelnen zu zergliedern. Preußen
ist bereit -- heißt es hier --, in eine Offensiv- und Defensiv-Allianz mit Frank¬
reich einzutreten, und stellt dem Kaiser Napoleon ein Hilfseorps von 40,000
Mann unter Führung eines von dem Könige zu ernennenden Generals. Der
Zeitpunkt für den Beginn der Allianz bleibt weiterer Vereinbarung vorbehalten,
doch soll Prinz Wilhelm Sorge tragen, daß der Termin so weit wie möglich
hinausgeschoben werde. Die Kosten für die Mobilmachung und den Unterhalt
übernimmt Preußen. Da es jedoch an den nothwendigsten Gegenständen krie¬
gerischer Ausrüstung fehlt, so liefert Napoleon die Waffen, einschließlich der
Artillerie, und die Munition aus den in seinen Besitz übergegangenen preußischen
Depots. Es steht im Belieben des Kaisers, die Verwendung des Contingents
innerhalb Deutschlands zu bestimmen; dagegen ist Preußen über die deutschen
Grenzen hinaus nicht zur Heeresfolge verpflichtet. Kommt es zum Kriege mit
Oesterreich, so werden die preußischen Truppen zum Schutze der Grenze nach
Schlesien dirigirt. Frankreich räumt das Gebiet des preußischen Staates oder
wenigstens einen verhältnißmäßigen Theil desselben; erst wenn dieser Bedingung
genügt ist, wird das Waffenbündniß perfect. Ebenso verzichtet Frankreich auf
die Kriegssteuer oder gewährt dem preußischen Staate Zeit, feine Verpflich¬
tungen einzulösen, ohne ihn der Mittel zu berauben, welche die Ausrüstung
und Besoldung des Heeres erfordert. Die mit Beschlag belegten Capitalien der
öffentlichen Institute und Privatpersonen in den abgetretenen Provinzen werden
den Eigenthümern zurückerstattet. Endlich erhält Preußen als Entschädigung
für seine Truppenhilfe von Napoleon das Versprechen zukünftigen Länder¬
erwerbs.

Zum Verständniß dieser Weisungen diene folgendes. Gab es bald einen
Krieg Frankreichs gegen Oesterreich, so konnte Preußen nach Lage der Dinge
für letzteres nichts thun. Es hatte nicht mehr als 40,000 Mann unter den
Waffen, die überdies nicht concentrirt werden konnten, während zwischen Elbe
und Weichsel 160,000 Franzosen standen. Eine Erhebung des Volkes war für
jetzt undenkbar; denn wie hätte die Regierung es wagen dürfen, unter der Ge¬
walt eines übermächtigen Feindes den Widerstand der Massen zu organisiren?
Das Beispiel Spaniens konnte keine Anwendung finden. Dort siegte die Jn-
surrection, weil es den Franzosen nicht gelungen war, sich zu Meistern des


Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.

an Frankreich. Der König wies die Vorschläge derselben, die General Zastrow
befürwortete, zurück und entschloß sich, den Vorstellungen Steins und Scharnhorsts
zu folgen, welche sich in die Worte zusammenfassen lassen: Man schließe eine
Allianz mit Frankreich, aber diese soll nur dazu dienen, dem preußischen Staate
über die jetzigen Verlegenheiten hinwegzuhelfen, sie soll nur Deckmantel für die
Anstalten sein, die man treffen wird, um sich loszureißen.

Nach Uebergabe der Denkschrift, welche dies vorschlug und motivirte, er¬
hielt Prinz Wilhelm neue Jnstructionen. Ihr Inhalt ist bisher nicht beachtet
worden; umsomehr verlohnt es sich, ihn im einzelnen zu zergliedern. Preußen
ist bereit — heißt es hier —, in eine Offensiv- und Defensiv-Allianz mit Frank¬
reich einzutreten, und stellt dem Kaiser Napoleon ein Hilfseorps von 40,000
Mann unter Führung eines von dem Könige zu ernennenden Generals. Der
Zeitpunkt für den Beginn der Allianz bleibt weiterer Vereinbarung vorbehalten,
doch soll Prinz Wilhelm Sorge tragen, daß der Termin so weit wie möglich
hinausgeschoben werde. Die Kosten für die Mobilmachung und den Unterhalt
übernimmt Preußen. Da es jedoch an den nothwendigsten Gegenständen krie¬
gerischer Ausrüstung fehlt, so liefert Napoleon die Waffen, einschließlich der
Artillerie, und die Munition aus den in seinen Besitz übergegangenen preußischen
Depots. Es steht im Belieben des Kaisers, die Verwendung des Contingents
innerhalb Deutschlands zu bestimmen; dagegen ist Preußen über die deutschen
Grenzen hinaus nicht zur Heeresfolge verpflichtet. Kommt es zum Kriege mit
Oesterreich, so werden die preußischen Truppen zum Schutze der Grenze nach
Schlesien dirigirt. Frankreich räumt das Gebiet des preußischen Staates oder
wenigstens einen verhältnißmäßigen Theil desselben; erst wenn dieser Bedingung
genügt ist, wird das Waffenbündniß perfect. Ebenso verzichtet Frankreich auf
die Kriegssteuer oder gewährt dem preußischen Staate Zeit, feine Verpflich¬
tungen einzulösen, ohne ihn der Mittel zu berauben, welche die Ausrüstung
und Besoldung des Heeres erfordert. Die mit Beschlag belegten Capitalien der
öffentlichen Institute und Privatpersonen in den abgetretenen Provinzen werden
den Eigenthümern zurückerstattet. Endlich erhält Preußen als Entschädigung
für seine Truppenhilfe von Napoleon das Versprechen zukünftigen Länder¬
erwerbs.

Zum Verständniß dieser Weisungen diene folgendes. Gab es bald einen
Krieg Frankreichs gegen Oesterreich, so konnte Preußen nach Lage der Dinge
für letzteres nichts thun. Es hatte nicht mehr als 40,000 Mann unter den
Waffen, die überdies nicht concentrirt werden konnten, während zwischen Elbe
und Weichsel 160,000 Franzosen standen. Eine Erhebung des Volkes war für
jetzt undenkbar; denn wie hätte die Regierung es wagen dürfen, unter der Ge¬
walt eines übermächtigen Feindes den Widerstand der Massen zu organisiren?
Das Beispiel Spaniens konnte keine Anwendung finden. Dort siegte die Jn-
surrection, weil es den Franzosen nicht gelungen war, sich zu Meistern des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150787"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_171" prev="#ID_170"> an Frankreich. Der König wies die Vorschläge derselben, die General Zastrow<lb/>
befürwortete, zurück und entschloß sich, den Vorstellungen Steins und Scharnhorsts<lb/>
zu folgen, welche sich in die Worte zusammenfassen lassen: Man schließe eine<lb/>
Allianz mit Frankreich, aber diese soll nur dazu dienen, dem preußischen Staate<lb/>
über die jetzigen Verlegenheiten hinwegzuhelfen, sie soll nur Deckmantel für die<lb/>
Anstalten sein, die man treffen wird, um sich loszureißen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_172"> Nach Uebergabe der Denkschrift, welche dies vorschlug und motivirte, er¬<lb/>
hielt Prinz Wilhelm neue Jnstructionen. Ihr Inhalt ist bisher nicht beachtet<lb/>
worden; umsomehr verlohnt es sich, ihn im einzelnen zu zergliedern. Preußen<lb/>
ist bereit &#x2014; heißt es hier &#x2014;, in eine Offensiv- und Defensiv-Allianz mit Frank¬<lb/>
reich einzutreten, und stellt dem Kaiser Napoleon ein Hilfseorps von 40,000<lb/>
Mann unter Führung eines von dem Könige zu ernennenden Generals. Der<lb/>
Zeitpunkt für den Beginn der Allianz bleibt weiterer Vereinbarung vorbehalten,<lb/>
doch soll Prinz Wilhelm Sorge tragen, daß der Termin so weit wie möglich<lb/>
hinausgeschoben werde. Die Kosten für die Mobilmachung und den Unterhalt<lb/>
übernimmt Preußen. Da es jedoch an den nothwendigsten Gegenständen krie¬<lb/>
gerischer Ausrüstung fehlt, so liefert Napoleon die Waffen, einschließlich der<lb/>
Artillerie, und die Munition aus den in seinen Besitz übergegangenen preußischen<lb/>
Depots. Es steht im Belieben des Kaisers, die Verwendung des Contingents<lb/>
innerhalb Deutschlands zu bestimmen; dagegen ist Preußen über die deutschen<lb/>
Grenzen hinaus nicht zur Heeresfolge verpflichtet. Kommt es zum Kriege mit<lb/>
Oesterreich, so werden die preußischen Truppen zum Schutze der Grenze nach<lb/>
Schlesien dirigirt. Frankreich räumt das Gebiet des preußischen Staates oder<lb/>
wenigstens einen verhältnißmäßigen Theil desselben; erst wenn dieser Bedingung<lb/>
genügt ist, wird das Waffenbündniß perfect. Ebenso verzichtet Frankreich auf<lb/>
die Kriegssteuer oder gewährt dem preußischen Staate Zeit, feine Verpflich¬<lb/>
tungen einzulösen, ohne ihn der Mittel zu berauben, welche die Ausrüstung<lb/>
und Besoldung des Heeres erfordert. Die mit Beschlag belegten Capitalien der<lb/>
öffentlichen Institute und Privatpersonen in den abgetretenen Provinzen werden<lb/>
den Eigenthümern zurückerstattet. Endlich erhält Preußen als Entschädigung<lb/>
für seine Truppenhilfe von Napoleon das Versprechen zukünftigen Länder¬<lb/>
erwerbs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> Zum Verständniß dieser Weisungen diene folgendes. Gab es bald einen<lb/>
Krieg Frankreichs gegen Oesterreich, so konnte Preußen nach Lage der Dinge<lb/>
für letzteres nichts thun. Es hatte nicht mehr als 40,000 Mann unter den<lb/>
Waffen, die überdies nicht concentrirt werden konnten, während zwischen Elbe<lb/>
und Weichsel 160,000 Franzosen standen. Eine Erhebung des Volkes war für<lb/>
jetzt undenkbar; denn wie hätte die Regierung es wagen dürfen, unter der Ge¬<lb/>
walt eines übermächtigen Feindes den Widerstand der Massen zu organisiren?<lb/>
Das Beispiel Spaniens konnte keine Anwendung finden. Dort siegte die Jn-<lb/>
surrection, weil es den Franzosen nicht gelungen war, sich zu Meistern des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] Aus der Zeit nach dem Tilsiter Frieden. an Frankreich. Der König wies die Vorschläge derselben, die General Zastrow befürwortete, zurück und entschloß sich, den Vorstellungen Steins und Scharnhorsts zu folgen, welche sich in die Worte zusammenfassen lassen: Man schließe eine Allianz mit Frankreich, aber diese soll nur dazu dienen, dem preußischen Staate über die jetzigen Verlegenheiten hinwegzuhelfen, sie soll nur Deckmantel für die Anstalten sein, die man treffen wird, um sich loszureißen. Nach Uebergabe der Denkschrift, welche dies vorschlug und motivirte, er¬ hielt Prinz Wilhelm neue Jnstructionen. Ihr Inhalt ist bisher nicht beachtet worden; umsomehr verlohnt es sich, ihn im einzelnen zu zergliedern. Preußen ist bereit — heißt es hier —, in eine Offensiv- und Defensiv-Allianz mit Frank¬ reich einzutreten, und stellt dem Kaiser Napoleon ein Hilfseorps von 40,000 Mann unter Führung eines von dem Könige zu ernennenden Generals. Der Zeitpunkt für den Beginn der Allianz bleibt weiterer Vereinbarung vorbehalten, doch soll Prinz Wilhelm Sorge tragen, daß der Termin so weit wie möglich hinausgeschoben werde. Die Kosten für die Mobilmachung und den Unterhalt übernimmt Preußen. Da es jedoch an den nothwendigsten Gegenständen krie¬ gerischer Ausrüstung fehlt, so liefert Napoleon die Waffen, einschließlich der Artillerie, und die Munition aus den in seinen Besitz übergegangenen preußischen Depots. Es steht im Belieben des Kaisers, die Verwendung des Contingents innerhalb Deutschlands zu bestimmen; dagegen ist Preußen über die deutschen Grenzen hinaus nicht zur Heeresfolge verpflichtet. Kommt es zum Kriege mit Oesterreich, so werden die preußischen Truppen zum Schutze der Grenze nach Schlesien dirigirt. Frankreich räumt das Gebiet des preußischen Staates oder wenigstens einen verhältnißmäßigen Theil desselben; erst wenn dieser Bedingung genügt ist, wird das Waffenbündniß perfect. Ebenso verzichtet Frankreich auf die Kriegssteuer oder gewährt dem preußischen Staate Zeit, feine Verpflich¬ tungen einzulösen, ohne ihn der Mittel zu berauben, welche die Ausrüstung und Besoldung des Heeres erfordert. Die mit Beschlag belegten Capitalien der öffentlichen Institute und Privatpersonen in den abgetretenen Provinzen werden den Eigenthümern zurückerstattet. Endlich erhält Preußen als Entschädigung für seine Truppenhilfe von Napoleon das Versprechen zukünftigen Länder¬ erwerbs. Zum Verständniß dieser Weisungen diene folgendes. Gab es bald einen Krieg Frankreichs gegen Oesterreich, so konnte Preußen nach Lage der Dinge für letzteres nichts thun. Es hatte nicht mehr als 40,000 Mann unter den Waffen, die überdies nicht concentrirt werden konnten, während zwischen Elbe und Weichsel 160,000 Franzosen standen. Eine Erhebung des Volkes war für jetzt undenkbar; denn wie hätte die Regierung es wagen dürfen, unter der Ge¬ walt eines übermächtigen Feindes den Widerstand der Massen zu organisiren? Das Beispiel Spaniens konnte keine Anwendung finden. Dort siegte die Jn- surrection, weil es den Franzosen nicht gelungen war, sich zu Meistern des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/65
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/65>, abgerufen am 31.05.2024.