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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.

auseinandersetzen, und ich werde dann über eine unendliche Menge Menschen ver¬
fügen, die an den Sieg gewöhnt und mit den Ebenen von Austerlitz und der
Straße nach Wien wohl bekannt ist." Wie gut diese Aeußerung die blinde An¬
maßung und den ganzen Menschen, wie er leibt und lebt, charakterisirt! Wie un¬
recht thut man doch daran, ihm den Titel des Großen zu geben. Er war in
meinen Augen niemals etwas anderes als ein außerordentlicher Mensch, und es
mangeln ihm zu einer andern Bezeichnung immer die Tugenden eines Mannes
von Ehre und eines ehrlichen Mannes."

Kehren wir nun an den preußischen Hof in Königsberg zurück. Sehr cha¬
rakteristisch sür dessen Stimmung ist es, daß unmittelbar nach Götzens Abreise
Gras Goltz, der Nachfolger Hardenbergs, dem österreichischen Geschäftsträger,
Ritter Hrubi, Eröffnungen machte, die, wenn sie auch weit davon entfernt waren,
dem Wiener Hofe Unterstützung durch Preußen in Aussicht zu stellen, in un¬
zweideutiger Weise die Theilnahme, die der König für Oesterreich hegte, zu er¬
kennen gaben. Ihre Regierung, sagte Goltz zu Hrubi, ist zu einsichtig, um die
Vortheile des gegenwärtigen Augenblicks nicht richtig zu würdigen. Die fran¬
zösischen Armeen sind in Spanien beschäftigt, in Portugal vernichtet, mit der
Pforte steht die französische Negierung auf gespanntem Fuße, in Italien und
Deutschland ist sie gehaßt, die ihr verbündeten Staaten trachten darnach, sich
ihrem Joch zu entziehen -- ein einziger Sieg kann zu einer allgemeinen Er¬
hebung führen. Wir würden keinen sehnlicheren Wunsch haben, als diesen Mo¬
ment zu benutzen, um uns mit Oesterreich zu alliiren, auch würden letzterm An¬
trüge in dieser Richtung gemacht worden sein, wenn unsere Erschöpfung und
unsre ganze gegenwärtige Lage uns nicht die traurige Ueberzeugung aufnöthigte,
daß wir euch mehr hindern als nützlich sein würden. Trotzdem aber mag man
in Wien sich darauf verlassen, daß der König die Grundsätze der Loyalität und
der Aufrichtigkeit gegen Oesterreich nie aus den Augen verlieren wird.

Anfang August mehrten sich die Anzeichen einer herannahenden Krisis in
den europäischen Angelegenheiten. Daß die Katastrophe in Spanien bereits
eingetreten, konnte man in Königsberg allerdings noch nicht ahnen, aber schon
um die Mitte des Juli hatte Brockhaüsen, der preußische Gesandte in Paris,
gemeldet, daß die Lage der Franzosen in Spanien eine sehr bedenkliche sein
müsse. Freilich glaubte man damals noch allgemein, Napoleons Genie werde
diese Schwierigkeit siegreich überwinden. Allein wenn er seine Streitmacht in
Spanien mindestens verdoppeln mußte, so gewann die Zurückziehung der fran¬
zösischen Truppen aus Norddeutschland an Wahrscheinlichkeit. Der König be¬
eilte sich, die Mittheilungen Brockhausens zur Kenntniß des Petersburger Hofes
zu bringen und den Kaiser Alexander dringend um Verwendung für Preußen
zu ersuchen. Zugleich aber mußte man schlüssig werden, wie Preußen sich
Frankreich gegenüber zu verhalten habe, mit dem Prinz Wilhelm, der Bruder
des Königs, in Paris bisher vergeblich über bessere Bedingungen eines Aus¬
gleichs verhandelt hatte. Eine Partei um Hofe war für unbedingten Anschluß


Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.

auseinandersetzen, und ich werde dann über eine unendliche Menge Menschen ver¬
fügen, die an den Sieg gewöhnt und mit den Ebenen von Austerlitz und der
Straße nach Wien wohl bekannt ist.« Wie gut diese Aeußerung die blinde An¬
maßung und den ganzen Menschen, wie er leibt und lebt, charakterisirt! Wie un¬
recht thut man doch daran, ihm den Titel des Großen zu geben. Er war in
meinen Augen niemals etwas anderes als ein außerordentlicher Mensch, und es
mangeln ihm zu einer andern Bezeichnung immer die Tugenden eines Mannes
von Ehre und eines ehrlichen Mannes."

Kehren wir nun an den preußischen Hof in Königsberg zurück. Sehr cha¬
rakteristisch sür dessen Stimmung ist es, daß unmittelbar nach Götzens Abreise
Gras Goltz, der Nachfolger Hardenbergs, dem österreichischen Geschäftsträger,
Ritter Hrubi, Eröffnungen machte, die, wenn sie auch weit davon entfernt waren,
dem Wiener Hofe Unterstützung durch Preußen in Aussicht zu stellen, in un¬
zweideutiger Weise die Theilnahme, die der König für Oesterreich hegte, zu er¬
kennen gaben. Ihre Regierung, sagte Goltz zu Hrubi, ist zu einsichtig, um die
Vortheile des gegenwärtigen Augenblicks nicht richtig zu würdigen. Die fran¬
zösischen Armeen sind in Spanien beschäftigt, in Portugal vernichtet, mit der
Pforte steht die französische Negierung auf gespanntem Fuße, in Italien und
Deutschland ist sie gehaßt, die ihr verbündeten Staaten trachten darnach, sich
ihrem Joch zu entziehen — ein einziger Sieg kann zu einer allgemeinen Er¬
hebung führen. Wir würden keinen sehnlicheren Wunsch haben, als diesen Mo¬
ment zu benutzen, um uns mit Oesterreich zu alliiren, auch würden letzterm An¬
trüge in dieser Richtung gemacht worden sein, wenn unsere Erschöpfung und
unsre ganze gegenwärtige Lage uns nicht die traurige Ueberzeugung aufnöthigte,
daß wir euch mehr hindern als nützlich sein würden. Trotzdem aber mag man
in Wien sich darauf verlassen, daß der König die Grundsätze der Loyalität und
der Aufrichtigkeit gegen Oesterreich nie aus den Augen verlieren wird.

Anfang August mehrten sich die Anzeichen einer herannahenden Krisis in
den europäischen Angelegenheiten. Daß die Katastrophe in Spanien bereits
eingetreten, konnte man in Königsberg allerdings noch nicht ahnen, aber schon
um die Mitte des Juli hatte Brockhaüsen, der preußische Gesandte in Paris,
gemeldet, daß die Lage der Franzosen in Spanien eine sehr bedenkliche sein
müsse. Freilich glaubte man damals noch allgemein, Napoleons Genie werde
diese Schwierigkeit siegreich überwinden. Allein wenn er seine Streitmacht in
Spanien mindestens verdoppeln mußte, so gewann die Zurückziehung der fran¬
zösischen Truppen aus Norddeutschland an Wahrscheinlichkeit. Der König be¬
eilte sich, die Mittheilungen Brockhausens zur Kenntniß des Petersburger Hofes
zu bringen und den Kaiser Alexander dringend um Verwendung für Preußen
zu ersuchen. Zugleich aber mußte man schlüssig werden, wie Preußen sich
Frankreich gegenüber zu verhalten habe, mit dem Prinz Wilhelm, der Bruder
des Königs, in Paris bisher vergeblich über bessere Bedingungen eines Aus¬
gleichs verhandelt hatte. Eine Partei um Hofe war für unbedingten Anschluß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/64>, abgerufen am 09.06.2024.