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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.

fand darin den schlagendsten Beweis für die kriegerischen Pläne Preußens. Gleich
am 3. September wurden Prinz Wilhelm und Brockhausen zu Champagny be¬
rufen. Der Minister legte ihnen zunächst die Frage vor, ob sie auf die For¬
derung von 140 Millionen eingehen wollten. Als sie bei ihrer Weigerung ver¬
blieben, nahm er das Schreiben Steins, das auf seinem Arbeitstische lag, und
übergab es dem Prinzen, der die Echtheit desselben weder anerkannte noch zu
leugnen imstande war. Dann erklärte Champagny, der Kaiser bedauere jetzt die
Ermäßigung seiner Forderungen auf 140 Millionen, er wolle wissen, wie er
mit Preußen daran sei, und erwartete spätestens in zwei Tagen eine bestimmte
Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des von ihm vorgeschlagenen Ver¬
trages. Vergebens bat der Prinz, ihm bis zur Rückkehr seines Couriers Zeit
zu lassen. Sollte er nun die Verhandlungen abbrechen und sich aus Paris
entfernen? Er empfand, daß Napoleon ihm das nicht gestatten würde. Der
Entschluß, den er zu fassen hatte, concentrirte sich zuletzt auf die Frage, ob
Preußen bei andern Mächten Unterstützung finden werde, wenn es dem Willen
des Siegers zu trotzen wagte. Zwar lauteten die Nachrichten von der pyre-
näischen Halbinsel fortwährend sehr ungünstig für Frankreich. Aber sonst war
die Lage Europas weniger kritisch für den Kaiser geworden als vor einigen
Wochen, wo eine Waffenerhebung Oesterreichs drohte. Der Prinz wußte, daß
Metternich, dessen Gesandter in Paris, mit aller Anstrengung für die Erhal¬
tung des Friedens arbeitete. Und hatte Oesterreich nicht seit Jahr und Tag
die Occupation Preußens regungslos mit angesehen? War zu hoffen, es werde
jetzt für Preußen eintreten, wenn Napoleon nach Verwerfung des Ultimatums
diesem den Krieg erklärte? Oder sollte man sich damit trösten, daß der Kaiser
Alexander es nicht zum äußersten, nicht zu der dann sichern Vernichtung Preußens
kommen lassen werde? War es nicht der Zurückhaltung Rußlands zuzuschreiben,
wenn dem preußischen Staate nach vierzehn Monaten unsäglicher Leiden jetzt
Bedingungen auferlegt wurden, die schlimmer waren als alles, was man seit
den Tagen von Tilsit hatte befürchten müssen? Ein letzter Versuch Tolstois,
für Preußen bessere Zugeständnisse zu erwirken, führte zu nichts. Nirgends
war Aussicht auf Rettung, das Opfer mußte gebracht werden, und am 8. Sep¬
tember unterschrieb der Bruder Friedrich Wilhelms den von Napoleon vorge¬
legten Vertrag.

Der Prinz hatte es mit schwerem Herzen gethan, in der Ueberzeugung,
daß die Existenz seines Vaterlandes auf dem Spiele stehe. Napoleon mußte
durch die Annahme des Vertrags beruhigt werden. Nur dann war die Möglich¬
keit vorhanden, in Zukunft noch eine und die andre Modification desselben zu
erlangen. Champagny hatte in Betreff der Ausführung der Convention be¬
ruhigende Versprechungen gemacht, er hatte erklärt, der Kaiser werde nicht nach
der Strenge des Buchstabens verfahren, sondern, namentlich in allen Geldan¬
gelegenheiten, den Bedrängnissen Preußens billige Rücksicht schenken. Endlich


Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.

fand darin den schlagendsten Beweis für die kriegerischen Pläne Preußens. Gleich
am 3. September wurden Prinz Wilhelm und Brockhausen zu Champagny be¬
rufen. Der Minister legte ihnen zunächst die Frage vor, ob sie auf die For¬
derung von 140 Millionen eingehen wollten. Als sie bei ihrer Weigerung ver¬
blieben, nahm er das Schreiben Steins, das auf seinem Arbeitstische lag, und
übergab es dem Prinzen, der die Echtheit desselben weder anerkannte noch zu
leugnen imstande war. Dann erklärte Champagny, der Kaiser bedauere jetzt die
Ermäßigung seiner Forderungen auf 140 Millionen, er wolle wissen, wie er
mit Preußen daran sei, und erwartete spätestens in zwei Tagen eine bestimmte
Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des von ihm vorgeschlagenen Ver¬
trages. Vergebens bat der Prinz, ihm bis zur Rückkehr seines Couriers Zeit
zu lassen. Sollte er nun die Verhandlungen abbrechen und sich aus Paris
entfernen? Er empfand, daß Napoleon ihm das nicht gestatten würde. Der
Entschluß, den er zu fassen hatte, concentrirte sich zuletzt auf die Frage, ob
Preußen bei andern Mächten Unterstützung finden werde, wenn es dem Willen
des Siegers zu trotzen wagte. Zwar lauteten die Nachrichten von der pyre-
näischen Halbinsel fortwährend sehr ungünstig für Frankreich. Aber sonst war
die Lage Europas weniger kritisch für den Kaiser geworden als vor einigen
Wochen, wo eine Waffenerhebung Oesterreichs drohte. Der Prinz wußte, daß
Metternich, dessen Gesandter in Paris, mit aller Anstrengung für die Erhal¬
tung des Friedens arbeitete. Und hatte Oesterreich nicht seit Jahr und Tag
die Occupation Preußens regungslos mit angesehen? War zu hoffen, es werde
jetzt für Preußen eintreten, wenn Napoleon nach Verwerfung des Ultimatums
diesem den Krieg erklärte? Oder sollte man sich damit trösten, daß der Kaiser
Alexander es nicht zum äußersten, nicht zu der dann sichern Vernichtung Preußens
kommen lassen werde? War es nicht der Zurückhaltung Rußlands zuzuschreiben,
wenn dem preußischen Staate nach vierzehn Monaten unsäglicher Leiden jetzt
Bedingungen auferlegt wurden, die schlimmer waren als alles, was man seit
den Tagen von Tilsit hatte befürchten müssen? Ein letzter Versuch Tolstois,
für Preußen bessere Zugeständnisse zu erwirken, führte zu nichts. Nirgends
war Aussicht auf Rettung, das Opfer mußte gebracht werden, und am 8. Sep¬
tember unterschrieb der Bruder Friedrich Wilhelms den von Napoleon vorge¬
legten Vertrag.

Der Prinz hatte es mit schwerem Herzen gethan, in der Ueberzeugung,
daß die Existenz seines Vaterlandes auf dem Spiele stehe. Napoleon mußte
durch die Annahme des Vertrags beruhigt werden. Nur dann war die Möglich¬
keit vorhanden, in Zukunft noch eine und die andre Modification desselben zu
erlangen. Champagny hatte in Betreff der Ausführung der Convention be¬
ruhigende Versprechungen gemacht, er hatte erklärt, der Kaiser werde nicht nach
der Strenge des Buchstabens verfahren, sondern, namentlich in allen Geldan¬
gelegenheiten, den Bedrängnissen Preußens billige Rücksicht schenken. Endlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/67>, abgerufen am 31.05.2024.