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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ans der Zeit nach dem Tilsiter Frieden,

hatte Prinz Wilhelm die Vorsicht gebraucht, in sehr bestimmter Weise seine
Zweifel an der Erfüllbarkeit der Forderungen auszusprechen, die der Vertrag
Preußen auferlegte, und dieser Erklärung konnte sein Bruder sich als Vorwand
für die Verweigerung oder Verzögerung der Ratification bedienen, wenn uner¬
wartet vielleicht doch noch ein Umschwung der Verhältnisse eintrat, der dem
preußischen Staate Mittel und Wege bot, sich der Gewalt Frankreichs zu ent¬
ringen. Denn so sehr der Mißerfolg seiner Sendung den Prinzen niederdrückte,
in der Tiefe seiner Seele regten sich doch tröftlichere Gedanken, Ranke erzählt
eine Aeußerung von ihm, die er in spätern Lebensjahren gethan: schon während
seiner Anwesenheit in Paris, mitten unter den monumentalen Schöpfungen,
die das Kaiserreich seiner eignen Glorie errichtet, sei ihm die Ahnung aufge¬
stiegen, daß alle diese Herrlichkeit bald vergehen werde. Anklänge an diese Stim¬
mung finden sich auch in den Briefen des Prinzen; der Glaube an eine bessere
Zukunft hat ihn niemals verlassen.

So zwingend die Nothwendigkeit war, welche die Unterzeichnung des für
Preußen höchst unvortheilhaften Vertrags vom 8. September 1808 durch den
Prinzen Wilhelm herbeiführte, in Königsberg hatte man einen andern Ausgang
erwartet. Als man hier den Untergang des Dupontschen Corps in der Sierra
Morena und den Abfall der spanischen Regimenter auf den dänischen Inseln
erfahren, schrieb der König (am 25. August) seinem Bruder, er wünschte nicht
mehr über eine Allianz mit Frankreich zu unterhandeln, der Prinz möge die
Arrangements wegen der Kriegssteuer zu erledigen suchen, etwaige Eröffnungen
Wege" des Bündnisses entgegennehmen und eiligst Paris verlassen. Champagnys
Hindeutung auf einen Eintritt Preußens in den Rheinbund rief die größte Ent¬
rüstung hervor. Die Kriegspartei, Stein und Scharnhorst an der Spitze, hielt
den Augenblick für günstig, ihre Pläne noch einmal darzulegen, die auf den
Satz hinausliefen: Kein Vertrag mit Frankreich, Rettung des Staates mit
äußerster Anspannung der eignen Kräfte und in Verbindung mit Oesterreich.
Kaiser Franz, meinte Stein, solle veranlaßt werden, von Napoleon die Räu¬
mung Preußens zu fordern, wogegen der König versprechen solle, mit allen
Hilfsmitteln seines Landes, der Armee und der Miliz, welche letztere Scharn¬
horst binnen drei Wochen auf 80,000 Mann zu bringen hoffte, an die Seite
Oesterreichs zu treten. Dabei war man jedoch der Ansicht, einstweilen müsse
man sich zu Frankreich noch freundschaftlich stellen, erst nach Zustandekommen
des Vertrags und Räumung des preußischen Gebiets von den fremden Truppen
sollten Vorkehrungen getroffen werden, um die erste Gelegenheit zum Losschlagen
mit Oesterreich benutzen zu können.

Die Partei der Kleinmüthigen rieth zwar von alledem ab, aber Friedrich
Wilhelm folgte ihrem Rathe nicht. Er befahl dem Prinzen Wilhelm, sich auf
kein über die Steinsche Convention hinausgehendes Zugeständniß einzulassen;
kein intimes Verhältniß zu Frankreich, sondern Ermäßigung der Kriegssteuer


Ans der Zeit nach dem Tilsiter Frieden,

hatte Prinz Wilhelm die Vorsicht gebraucht, in sehr bestimmter Weise seine
Zweifel an der Erfüllbarkeit der Forderungen auszusprechen, die der Vertrag
Preußen auferlegte, und dieser Erklärung konnte sein Bruder sich als Vorwand
für die Verweigerung oder Verzögerung der Ratification bedienen, wenn uner¬
wartet vielleicht doch noch ein Umschwung der Verhältnisse eintrat, der dem
preußischen Staate Mittel und Wege bot, sich der Gewalt Frankreichs zu ent¬
ringen. Denn so sehr der Mißerfolg seiner Sendung den Prinzen niederdrückte,
in der Tiefe seiner Seele regten sich doch tröftlichere Gedanken, Ranke erzählt
eine Aeußerung von ihm, die er in spätern Lebensjahren gethan: schon während
seiner Anwesenheit in Paris, mitten unter den monumentalen Schöpfungen,
die das Kaiserreich seiner eignen Glorie errichtet, sei ihm die Ahnung aufge¬
stiegen, daß alle diese Herrlichkeit bald vergehen werde. Anklänge an diese Stim¬
mung finden sich auch in den Briefen des Prinzen; der Glaube an eine bessere
Zukunft hat ihn niemals verlassen.

So zwingend die Nothwendigkeit war, welche die Unterzeichnung des für
Preußen höchst unvortheilhaften Vertrags vom 8. September 1808 durch den
Prinzen Wilhelm herbeiführte, in Königsberg hatte man einen andern Ausgang
erwartet. Als man hier den Untergang des Dupontschen Corps in der Sierra
Morena und den Abfall der spanischen Regimenter auf den dänischen Inseln
erfahren, schrieb der König (am 25. August) seinem Bruder, er wünschte nicht
mehr über eine Allianz mit Frankreich zu unterhandeln, der Prinz möge die
Arrangements wegen der Kriegssteuer zu erledigen suchen, etwaige Eröffnungen
Wege» des Bündnisses entgegennehmen und eiligst Paris verlassen. Champagnys
Hindeutung auf einen Eintritt Preußens in den Rheinbund rief die größte Ent¬
rüstung hervor. Die Kriegspartei, Stein und Scharnhorst an der Spitze, hielt
den Augenblick für günstig, ihre Pläne noch einmal darzulegen, die auf den
Satz hinausliefen: Kein Vertrag mit Frankreich, Rettung des Staates mit
äußerster Anspannung der eignen Kräfte und in Verbindung mit Oesterreich.
Kaiser Franz, meinte Stein, solle veranlaßt werden, von Napoleon die Räu¬
mung Preußens zu fordern, wogegen der König versprechen solle, mit allen
Hilfsmitteln seines Landes, der Armee und der Miliz, welche letztere Scharn¬
horst binnen drei Wochen auf 80,000 Mann zu bringen hoffte, an die Seite
Oesterreichs zu treten. Dabei war man jedoch der Ansicht, einstweilen müsse
man sich zu Frankreich noch freundschaftlich stellen, erst nach Zustandekommen
des Vertrags und Räumung des preußischen Gebiets von den fremden Truppen
sollten Vorkehrungen getroffen werden, um die erste Gelegenheit zum Losschlagen
mit Oesterreich benutzen zu können.

Die Partei der Kleinmüthigen rieth zwar von alledem ab, aber Friedrich
Wilhelm folgte ihrem Rathe nicht. Er befahl dem Prinzen Wilhelm, sich auf
kein über die Steinsche Convention hinausgehendes Zugeständniß einzulassen;
kein intimes Verhältniß zu Frankreich, sondern Ermäßigung der Kriegssteuer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/68>, abgerufen am 09.06.2024.