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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Politische Rückblicke und Ausblicke.

Was auch die innersten Stimmungen und Wünsche Kaiser Alexanders sein
mögen, niemals ist, seitdem er die Krone trägt, irgendwelche Kundgebung er¬
folgt, die sich als Deutschland oder, was ungefähr dasselbe sein würde, dem
mit uns verbündeten Dvppelreiche an der Donati feindlich deuten ließe. Der
Panslavismus hat von ihm keine Ermuthigung oder Förderung erfahren. In
der That, der junge Herrscher schien eine völlig neue Politik befolgen zu wollen.
Allerdings sah man ihn zu seinen obersten Rathgebern Männer wählen, nach
deren Vergangenheit man schließen konnte, sie würden die angebliche "Mission
Rußlands" im Auge behalten und bei Gelegenheit zu erfüllen suchen, aber eine
weitere Erkältung der Beziehungen zwischen Berlin und Petersburg, eine weitere
Entfremdung als die, welche das Bündniß zwischen Deutschland und Oesterreich-
Ungarn herbeigeführt, trat nicht ein. Im Gegentheil, das Verhältniß zwischen
jenen beiden Regierungen wurde fühlbar wärmer, und mit dieser Steigerung
der Temperatur verband sich, wie anzunehmen, auf feiten des Kaisers Alexander
ein immer lebhafter werdender Wunsch nach einer persönlichen Aussprache seiner
Gedanken und Gefühle gegenüber dem deutschen Kaiser, seinem Großvheim. Die
betreffende Zusammenkunft wurde endlich von Petersburg her angeregt, und in
Berlin ging man bereitwillig auf den Antrag ein. Die Begegnung der beiden
Monarchen fand statt, und auf den ausdrücklichen Wunsch des Zaren geschah
es, daß ihr auch der deutsche Reichskanzler beiwohnte.

Irgendwelche bestimmten Abmachungen sind, wie sich von selbst zu verstehen
scheint, wie uns aber auch aus guter Quelle versichert wird, in Danzig nicht
erfolgt. Das schließt natürlich nicht aus, daß die eine und die andre Frage
dort angeregt und kurz besprochen worden ist. Es wäre möglich, daß man bei
der Entrevue die Bestrebungen der russischen Panslavisten berührt hätte, und
daß eine nach dieser Richtung hin beruhigende Erklärung erfolgt wäre. Noch
natürlicher scheint die Vermuthung, daß die Pest des Socialismus und die ihr
verwandte Krankheit, des russischen Nihilismus eins der Gesprächsthcmata ge¬
bildet haben.

Daß der General Jgnatieff sich nicht im Gefolge des Zaren befand, ist
aufgefallen und viel besprochen worden. Nach unsrer Meinung hat die Ab¬
wesenheit dieses Ministers zunächst zu bedeuten, daß bei der Danziger Zusammen¬
kunft auswärtige Angelegenheiten des einen oder des andern der betreffenden
beiden Reiche nicht erörtert werden sollten. Ein andrer Grund, der den Kaiser
Alexander bestimmt haben kann, sich von Jgnatieff nicht begleiten zu lassen, läßt
sich folgender Betrachtung entnehmen. Der General hat seit Jahren als ein
Hauptvertreter der aggressiven Schule der russischen Diplomaten gegolten- Er
soll sich die Mission zuschreiben, die Grenzen des moskowitischen Reiches zu er¬
weitern, und nicht davor zurückzuschrecken, dies auf Kosten Oesterreich-Ungarns
zu thun, dessen Einfluß in der Gegenwart und dessen Aussichten in die Zu¬
kunft er in der That zu zerstören lind zu vermindern bemüht gewesen ist. Er


Politische Rückblicke und Ausblicke.

Was auch die innersten Stimmungen und Wünsche Kaiser Alexanders sein
mögen, niemals ist, seitdem er die Krone trägt, irgendwelche Kundgebung er¬
folgt, die sich als Deutschland oder, was ungefähr dasselbe sein würde, dem
mit uns verbündeten Dvppelreiche an der Donati feindlich deuten ließe. Der
Panslavismus hat von ihm keine Ermuthigung oder Förderung erfahren. In
der That, der junge Herrscher schien eine völlig neue Politik befolgen zu wollen.
Allerdings sah man ihn zu seinen obersten Rathgebern Männer wählen, nach
deren Vergangenheit man schließen konnte, sie würden die angebliche „Mission
Rußlands" im Auge behalten und bei Gelegenheit zu erfüllen suchen, aber eine
weitere Erkältung der Beziehungen zwischen Berlin und Petersburg, eine weitere
Entfremdung als die, welche das Bündniß zwischen Deutschland und Oesterreich-
Ungarn herbeigeführt, trat nicht ein. Im Gegentheil, das Verhältniß zwischen
jenen beiden Regierungen wurde fühlbar wärmer, und mit dieser Steigerung
der Temperatur verband sich, wie anzunehmen, auf feiten des Kaisers Alexander
ein immer lebhafter werdender Wunsch nach einer persönlichen Aussprache seiner
Gedanken und Gefühle gegenüber dem deutschen Kaiser, seinem Großvheim. Die
betreffende Zusammenkunft wurde endlich von Petersburg her angeregt, und in
Berlin ging man bereitwillig auf den Antrag ein. Die Begegnung der beiden
Monarchen fand statt, und auf den ausdrücklichen Wunsch des Zaren geschah
es, daß ihr auch der deutsche Reichskanzler beiwohnte.

Irgendwelche bestimmten Abmachungen sind, wie sich von selbst zu verstehen
scheint, wie uns aber auch aus guter Quelle versichert wird, in Danzig nicht
erfolgt. Das schließt natürlich nicht aus, daß die eine und die andre Frage
dort angeregt und kurz besprochen worden ist. Es wäre möglich, daß man bei
der Entrevue die Bestrebungen der russischen Panslavisten berührt hätte, und
daß eine nach dieser Richtung hin beruhigende Erklärung erfolgt wäre. Noch
natürlicher scheint die Vermuthung, daß die Pest des Socialismus und die ihr
verwandte Krankheit, des russischen Nihilismus eins der Gesprächsthcmata ge¬
bildet haben.

Daß der General Jgnatieff sich nicht im Gefolge des Zaren befand, ist
aufgefallen und viel besprochen worden. Nach unsrer Meinung hat die Ab¬
wesenheit dieses Ministers zunächst zu bedeuten, daß bei der Danziger Zusammen¬
kunft auswärtige Angelegenheiten des einen oder des andern der betreffenden
beiden Reiche nicht erörtert werden sollten. Ein andrer Grund, der den Kaiser
Alexander bestimmt haben kann, sich von Jgnatieff nicht begleiten zu lassen, läßt
sich folgender Betrachtung entnehmen. Der General hat seit Jahren als ein
Hauptvertreter der aggressiven Schule der russischen Diplomaten gegolten- Er
soll sich die Mission zuschreiben, die Grenzen des moskowitischen Reiches zu er¬
weitern, und nicht davor zurückzuschrecken, dies auf Kosten Oesterreich-Ungarns
zu thun, dessen Einfluß in der Gegenwart und dessen Aussichten in die Zu¬
kunft er in der That zu zerstören lind zu vermindern bemüht gewesen ist. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/8>, abgerufen am 14.05.2024.