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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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politische Rückblicke und Ausblicke,

spielte eine Hauptrolle bei Entwerfung des Vertrags von San Stefano, und
vorher hatte er sich vielfach mit den Umtrieben der Slavophilen identificirt.
Seine Erfolge auf diplomatischem Gebiete waren indeß für ihn uicht ermuthigend,
weil sie nur vorübergehender Art waren, und als der Friede zwischen Rußland
und der Pforte auf wesentlich andern Grundlagen abgeschlossen werden mußte
als auf den von ihm vorgeschlagenen, zog er sich zeitweilig von der amtlichen
Politischen Thätigkeit zurück. Sein Wiederauftreten auf der Bühne hat manche
bedenklich gemacht und Wirren außerhalb der russischen Grenzen voraussehen lassen.
Wir können im Interesse unsrer Freunde im Donauthale keine Erneuerung pan-
slavistischer Manöver wünschen. Auch in unserm eignen Interesse nicht. Jeder
Erfolg der panslavistischeu Propaganda muß das Gefüge der österreichisch-unga¬
rischen Monarchie mit ihrer starken slavischen Bevölkerung lockern und somit
"neu werthvollen Verbündeten schwächen. Daher der feste Entschluß des Wiener
Cabinets, jedem solchen Erfolge vorzubeugen, und daher dort die Abneigung
gegen alle, vou denen man sich zu versehen hat, daß sie derartige Erfolge vor¬
zubereiten gewillt sind, Gedanken und Empfindungen, die von unsrer Regierung
ledenfalls getheilt werden. So aber scheint sich die Vermuthung zu rechtfertigen,
daß General Jgnatieff von der Danziger Monarchenbegegnung wegblieb, damit
auch nicht ein Schein auf dieselbe fiele, als ob man in Wien Ursache haben
llwnte, sich über sie zu beunruhigen. Die Gegenwart des Herrn v. Giers war
etwas wesentlich anderes. Obwohl man ihn als Erben der Traditionen und
Grundsätze Gortschakoffs zu betrachte,? gewohnt ist, ist er doch immer als ein
'uaßvoller Staatsmann angesehen worden, dessen Bestrebungen sich mehr in der
Dichtung innerer Reformen als in der nach Ausdehnung auf fremdem Gebiete
bewegen.

Die Betrachtung des Danziger Ereignisses, nach welcher dasselbe in erster
Linie eine öffentliche Kundgebung des Kaisers Alexander dafür, daß zwischen
Nußland und Deutschland wieder gute Nachbarschaft und freundschaftliches Ein¬
vernehmen bestehe, und somit eine sehr erfreuliche Verstärkung der Hoffnungen
"uf lange Fortdauer des Friedens war, scheint, obwohl sie ungemein viel für
sich hatte, nicht allenthalben getheilt worden zu sein. Es giebt Leute, denen
i^e Zusammenkunft von Potentaten gleichbedeutend mit einer Verschwörung zu
kriegerischen Zwecken ist. So mag das Gerücht nicht ohne Begründung ge¬
wesen si!in, daß solche Leute in Paris die Danziger Entrevue mit Mißtrauen
und Verdruß angesehen hätten. Wäre das in der That der Fall gewesen, so
'uvchte ein gewisser Verdruß insofern gerechtfertigt gewesen sein, als ein Theil
der Franzosen den Gedanken der Revanche noch nicht aufgegeben hat und zur
Ausführung desselben auf eine Allianz mit Rußland rechnet. Diese Partei wird
letzt darauf verzichten vnd wird begreifen, daß sie falsch gerechnet hat. Zu
irgendwelchem Mißtrauen aber ist kein Anlaß. Deutschland will vor allem Frieden
haben, und Kaiser Alexander will dasselbe. Deutschland hofft, im Hinblicke darauf,


politische Rückblicke und Ausblicke,

spielte eine Hauptrolle bei Entwerfung des Vertrags von San Stefano, und
vorher hatte er sich vielfach mit den Umtrieben der Slavophilen identificirt.
Seine Erfolge auf diplomatischem Gebiete waren indeß für ihn uicht ermuthigend,
weil sie nur vorübergehender Art waren, und als der Friede zwischen Rußland
und der Pforte auf wesentlich andern Grundlagen abgeschlossen werden mußte
als auf den von ihm vorgeschlagenen, zog er sich zeitweilig von der amtlichen
Politischen Thätigkeit zurück. Sein Wiederauftreten auf der Bühne hat manche
bedenklich gemacht und Wirren außerhalb der russischen Grenzen voraussehen lassen.
Wir können im Interesse unsrer Freunde im Donauthale keine Erneuerung pan-
slavistischer Manöver wünschen. Auch in unserm eignen Interesse nicht. Jeder
Erfolg der panslavistischeu Propaganda muß das Gefüge der österreichisch-unga¬
rischen Monarchie mit ihrer starken slavischen Bevölkerung lockern und somit
"neu werthvollen Verbündeten schwächen. Daher der feste Entschluß des Wiener
Cabinets, jedem solchen Erfolge vorzubeugen, und daher dort die Abneigung
gegen alle, vou denen man sich zu versehen hat, daß sie derartige Erfolge vor¬
zubereiten gewillt sind, Gedanken und Empfindungen, die von unsrer Regierung
ledenfalls getheilt werden. So aber scheint sich die Vermuthung zu rechtfertigen,
daß General Jgnatieff von der Danziger Monarchenbegegnung wegblieb, damit
auch nicht ein Schein auf dieselbe fiele, als ob man in Wien Ursache haben
llwnte, sich über sie zu beunruhigen. Die Gegenwart des Herrn v. Giers war
etwas wesentlich anderes. Obwohl man ihn als Erben der Traditionen und
Grundsätze Gortschakoffs zu betrachte,? gewohnt ist, ist er doch immer als ein
'uaßvoller Staatsmann angesehen worden, dessen Bestrebungen sich mehr in der
Dichtung innerer Reformen als in der nach Ausdehnung auf fremdem Gebiete
bewegen.

Die Betrachtung des Danziger Ereignisses, nach welcher dasselbe in erster
Linie eine öffentliche Kundgebung des Kaisers Alexander dafür, daß zwischen
Nußland und Deutschland wieder gute Nachbarschaft und freundschaftliches Ein¬
vernehmen bestehe, und somit eine sehr erfreuliche Verstärkung der Hoffnungen
"uf lange Fortdauer des Friedens war, scheint, obwohl sie ungemein viel für
sich hatte, nicht allenthalben getheilt worden zu sein. Es giebt Leute, denen
i^e Zusammenkunft von Potentaten gleichbedeutend mit einer Verschwörung zu
kriegerischen Zwecken ist. So mag das Gerücht nicht ohne Begründung ge¬
wesen si!in, daß solche Leute in Paris die Danziger Entrevue mit Mißtrauen
und Verdruß angesehen hätten. Wäre das in der That der Fall gewesen, so
'uvchte ein gewisser Verdruß insofern gerechtfertigt gewesen sein, als ein Theil
der Franzosen den Gedanken der Revanche noch nicht aufgegeben hat und zur
Ausführung desselben auf eine Allianz mit Rußland rechnet. Diese Partei wird
letzt darauf verzichten vnd wird begreifen, daß sie falsch gerechnet hat. Zu
irgendwelchem Mißtrauen aber ist kein Anlaß. Deutschland will vor allem Frieden
haben, und Kaiser Alexander will dasselbe. Deutschland hofft, im Hinblicke darauf,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/9>, abgerufen am 15.05.2024.