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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Ethnologie und Lthik.

schaftlichkeit längst entschieden. Wir können uns von diesem Thatbestande nicht
überzeugen; vor allem ist es unrichtig, Darwin für einen Vorkämpfer der rein
mechanischen Theorie zu halten. Wunde (Logik, S. 683) macht mit Recht darauf
aufmerksam, daß der Kampf ums Dasein in seinem weiteren Verlaufe bei den
höhern Thierarten nicht ohne eine objective Bedeutung der Zweckvorstellung ver¬
stündlich sei. Oder sind vielleicht im besondern die Erscheinungen der Anpassung
an die bezüglichen Existenzbedingungen im höhern organischen Leben erklärlich
ohne jenes Moment? Wenn irgend ein lebendiges Wesen in dem Conflicte mit
andern nicht untergehen wollte, so mußte es Vorkehrungen treffen, um möglichst
allen Anfeindungen stegreich zu begegnen, und um dies thun zu können, mußte es,
mehr oder minder deutlich, vielleicht auch nur im Dämmerschein einer unbewußt
wirksamen Vorstellung, diese Perspective durch theilweise Erfahrung an sich oder
andern Geschöpfen seiner Umgebung vor sich sehen. In diesem Sinne definirt
Wunde unfraglich richtig die Anwendung des Zweckprincips als Anticipation
einer eingetretenen Wirkung durch die Vorstellung. (S. 578.) Und damit ge¬
langen wir zur Lösung des Problems; denn während durch die causale Ver¬
knüpfung die objective Reihenfolge der gegebenen Ursachen bis zu den Wirkungen
cruirt wird, sucht die teleologische Auffassung umgekehrt aus den vorhandnen Wir¬
kungen die nicht gegebenen, sondern erst aufzufindenden Ursachen rückwärts zu er¬
schließen. Hierbei wird dann natürlich die in der Vorstellung schon anticipirte Wirkung
Zum Zweck, die producirende Ursache zum Mittel, und wie die Ursache der Wir¬
kung vorangeht, so das Mittel dem Zweck, d. h. objectiv; subjectiv, nämlich für
unser Erkennen im Causalverhältniß ist ebenfalls die Ursache früher als die
Wirkung, während bei der teleologischen Vorstellung die Idee des Zweckes, als
gedachter Veränderung des Mittels, als der vorbereitenden Thätigkeit voran¬
geht. Anstatt daß das eine Princip das andre ausschlösse, ergänzen sich beide
vielmehr wechselseitig, nur freilich mit der Einschränkung, daß sie aus dem einen
Gebiete bald diesem, auf dem andern jenem Factor eine größere Wirksamkeit
einräumen. Wie wir auf den Stufen anorganischen Daseins zweifelsohne immer
vollkommen mit der mechanischen Theorie auskommen können, so rathlos würden
wir mit diesem Verfahren den Erscheinungen des höhern thierischen Lebens gegen¬
über sein. Sobald es sich um Thatsachen handelt, die irgend welcher willkürlichen
Entscheidung unterstehen, also, wie Schopenhauer sagen würde, der "Motivation
°urch die Vorstellung," ist eine, wenn auch noch undeutliche Zweckvorstellung
n jeder kleinsten Functionirung wirksam, ohne daß darum die mechanische Be¬
gründung derselben nach dem strengen Gesetz der Ursache und Wirkung in dem
objectiven Zusammenhange gestört würde. Aber eben für unsre Anschauung
wird die Anwendung jenes teleologischen Moments geradezu unwiderstehlich noth¬
wendig, und es ist nicht nöthig, daß diese Operation nur erzwungen sei durch
ben täuschenden und überredender Schein eines dem unfrigen analogen Ver¬
haltens. Ebensogut ist es auch möglich, daß dieser subjectiven Erklärung des


Ethnologie und Lthik.

schaftlichkeit längst entschieden. Wir können uns von diesem Thatbestande nicht
überzeugen; vor allem ist es unrichtig, Darwin für einen Vorkämpfer der rein
mechanischen Theorie zu halten. Wunde (Logik, S. 683) macht mit Recht darauf
aufmerksam, daß der Kampf ums Dasein in seinem weiteren Verlaufe bei den
höhern Thierarten nicht ohne eine objective Bedeutung der Zweckvorstellung ver¬
stündlich sei. Oder sind vielleicht im besondern die Erscheinungen der Anpassung
an die bezüglichen Existenzbedingungen im höhern organischen Leben erklärlich
ohne jenes Moment? Wenn irgend ein lebendiges Wesen in dem Conflicte mit
andern nicht untergehen wollte, so mußte es Vorkehrungen treffen, um möglichst
allen Anfeindungen stegreich zu begegnen, und um dies thun zu können, mußte es,
mehr oder minder deutlich, vielleicht auch nur im Dämmerschein einer unbewußt
wirksamen Vorstellung, diese Perspective durch theilweise Erfahrung an sich oder
andern Geschöpfen seiner Umgebung vor sich sehen. In diesem Sinne definirt
Wunde unfraglich richtig die Anwendung des Zweckprincips als Anticipation
einer eingetretenen Wirkung durch die Vorstellung. (S. 578.) Und damit ge¬
langen wir zur Lösung des Problems; denn während durch die causale Ver¬
knüpfung die objective Reihenfolge der gegebenen Ursachen bis zu den Wirkungen
cruirt wird, sucht die teleologische Auffassung umgekehrt aus den vorhandnen Wir¬
kungen die nicht gegebenen, sondern erst aufzufindenden Ursachen rückwärts zu er¬
schließen. Hierbei wird dann natürlich die in der Vorstellung schon anticipirte Wirkung
Zum Zweck, die producirende Ursache zum Mittel, und wie die Ursache der Wir¬
kung vorangeht, so das Mittel dem Zweck, d. h. objectiv; subjectiv, nämlich für
unser Erkennen im Causalverhältniß ist ebenfalls die Ursache früher als die
Wirkung, während bei der teleologischen Vorstellung die Idee des Zweckes, als
gedachter Veränderung des Mittels, als der vorbereitenden Thätigkeit voran¬
geht. Anstatt daß das eine Princip das andre ausschlösse, ergänzen sich beide
vielmehr wechselseitig, nur freilich mit der Einschränkung, daß sie aus dem einen
Gebiete bald diesem, auf dem andern jenem Factor eine größere Wirksamkeit
einräumen. Wie wir auf den Stufen anorganischen Daseins zweifelsohne immer
vollkommen mit der mechanischen Theorie auskommen können, so rathlos würden
wir mit diesem Verfahren den Erscheinungen des höhern thierischen Lebens gegen¬
über sein. Sobald es sich um Thatsachen handelt, die irgend welcher willkürlichen
Entscheidung unterstehen, also, wie Schopenhauer sagen würde, der „Motivation
°urch die Vorstellung," ist eine, wenn auch noch undeutliche Zweckvorstellung
n jeder kleinsten Functionirung wirksam, ohne daß darum die mechanische Be¬
gründung derselben nach dem strengen Gesetz der Ursache und Wirkung in dem
objectiven Zusammenhange gestört würde. Aber eben für unsre Anschauung
wird die Anwendung jenes teleologischen Moments geradezu unwiderstehlich noth¬
wendig, und es ist nicht nöthig, daß diese Operation nur erzwungen sei durch
ben täuschenden und überredender Schein eines dem unfrigen analogen Ver¬
haltens. Ebensogut ist es auch möglich, daß dieser subjectiven Erklärung des


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[0085] Ethnologie und Lthik. schaftlichkeit längst entschieden. Wir können uns von diesem Thatbestande nicht überzeugen; vor allem ist es unrichtig, Darwin für einen Vorkämpfer der rein mechanischen Theorie zu halten. Wunde (Logik, S. 683) macht mit Recht darauf aufmerksam, daß der Kampf ums Dasein in seinem weiteren Verlaufe bei den höhern Thierarten nicht ohne eine objective Bedeutung der Zweckvorstellung ver¬ stündlich sei. Oder sind vielleicht im besondern die Erscheinungen der Anpassung an die bezüglichen Existenzbedingungen im höhern organischen Leben erklärlich ohne jenes Moment? Wenn irgend ein lebendiges Wesen in dem Conflicte mit andern nicht untergehen wollte, so mußte es Vorkehrungen treffen, um möglichst allen Anfeindungen stegreich zu begegnen, und um dies thun zu können, mußte es, mehr oder minder deutlich, vielleicht auch nur im Dämmerschein einer unbewußt wirksamen Vorstellung, diese Perspective durch theilweise Erfahrung an sich oder andern Geschöpfen seiner Umgebung vor sich sehen. In diesem Sinne definirt Wunde unfraglich richtig die Anwendung des Zweckprincips als Anticipation einer eingetretenen Wirkung durch die Vorstellung. (S. 578.) Und damit ge¬ langen wir zur Lösung des Problems; denn während durch die causale Ver¬ knüpfung die objective Reihenfolge der gegebenen Ursachen bis zu den Wirkungen cruirt wird, sucht die teleologische Auffassung umgekehrt aus den vorhandnen Wir¬ kungen die nicht gegebenen, sondern erst aufzufindenden Ursachen rückwärts zu er¬ schließen. Hierbei wird dann natürlich die in der Vorstellung schon anticipirte Wirkung Zum Zweck, die producirende Ursache zum Mittel, und wie die Ursache der Wir¬ kung vorangeht, so das Mittel dem Zweck, d. h. objectiv; subjectiv, nämlich für unser Erkennen im Causalverhältniß ist ebenfalls die Ursache früher als die Wirkung, während bei der teleologischen Vorstellung die Idee des Zweckes, als gedachter Veränderung des Mittels, als der vorbereitenden Thätigkeit voran¬ geht. Anstatt daß das eine Princip das andre ausschlösse, ergänzen sich beide vielmehr wechselseitig, nur freilich mit der Einschränkung, daß sie aus dem einen Gebiete bald diesem, auf dem andern jenem Factor eine größere Wirksamkeit einräumen. Wie wir auf den Stufen anorganischen Daseins zweifelsohne immer vollkommen mit der mechanischen Theorie auskommen können, so rathlos würden wir mit diesem Verfahren den Erscheinungen des höhern thierischen Lebens gegen¬ über sein. Sobald es sich um Thatsachen handelt, die irgend welcher willkürlichen Entscheidung unterstehen, also, wie Schopenhauer sagen würde, der „Motivation °urch die Vorstellung," ist eine, wenn auch noch undeutliche Zweckvorstellung n jeder kleinsten Functionirung wirksam, ohne daß darum die mechanische Be¬ gründung derselben nach dem strengen Gesetz der Ursache und Wirkung in dem objectiven Zusammenhange gestört würde. Aber eben für unsre Anschauung wird die Anwendung jenes teleologischen Moments geradezu unwiderstehlich noth¬ wendig, und es ist nicht nöthig, daß diese Operation nur erzwungen sei durch ben täuschenden und überredender Schein eines dem unfrigen analogen Ver¬ haltens. Ebensogut ist es auch möglich, daß dieser subjectiven Erklärung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/85>, abgerufen am 14.05.2024.