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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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vom Leipziger Theater.

echter Pädagogik hoch. Geradezu klüglich war es um die körperliche Ausbildung
der Jugend bestellt. Ware nicht Herr Zörnitz und seine Exerzierschule für
Knaben gewesen, so hätten wir heute sicherlich ein sieches und verweichlichtes Ge¬
schlecht. Nächst ihm aber erwarben sich um das leibliche Wohl der Bevölkerung
namhafte Verdienste Herr Oswald Nier, der einzige Mann in ganz Leipzig,
bei dem man noch ein Glas wirklichen Wein zu trinken bekam, und der "Hof-
traiteur" auf dem bairischen Bahnhofe, Herr Kaufmann, der einzige, der noch
ein Lendcnbeeffteack zu braten verstand. Nur eine Einrichtung stand in jenen
Zeiten in wunderbarer, vorher nie erreichter Blüte: das Theater, und diese
Blüte verdankte es Herrn Angelo Neumann, Herrn Schelper und Herrn Lederer,
Frau Reicher-Kiudermaun und Frau Sachse-Hofmeister." So etwa würde die
Darstellung des Leipziger Historiogrnphen von 1930 lauten, und er würde
damit ziemlich treu den Eindruck wiedergeben, deu er aus der Leipziger Lokal¬
presse der Jahre 1.878--82 gewonnen.

Am weitesten, wie gesagt, hat es die Theaterreklame gebracht. Daß dem
Publikum Tag fiir Tag im redaktionellen Teil der Tagespresse der Theater¬
zettel umschrieben und erklärt wird, als ob die ganze Bevölkerung der Stadt
ans Schwachsinnigen bestünde, die keinen Theaterzettel mehr zu lesen verstehen, ist
eine Einrichtung, die Herr Neumann eingeführt hat. Über seine eigne werte
Person, über sein Befinden, seinen Aufenthalt, seine Pläne wurde das Publikum
unaufhörlich und mit derselben Wichtigkeit wie über die Person, das Befinden,
den Aufenthalt und die Pläne des Kaisers unterrichtet. Als ob das Theater
die wichtigste politische Institution wäre und eine Opernsängerin mindestens zehn
Reichsgerichtsräte oder zehn Universitätsprofessoren aufwöge, so hat er über das
Theater Lärm geschlagen und Lärm schlagen lassen. Etwas erreicht hat er
übrigens doch damit. Herr Neumann kennt die Menschen. Man sagt, daß,
wenn man in Leipzig auf der Grimmischen Straße im Vorübergehen aus dem
Gespräch zweier Herren ein Wort aufhasche, es in der Regel das Wort "Prozent"
sei. Herr Neumann hatte es dahin gebracht, daß man vorigen Winter selbst
in der "gebildetsten" Gesellschaft, in der man wahrhaftig eine bessere Unter¬
haltung als öden Theaterklatsch hätte erwarten sollen, nicht fünf Minuten ver¬
weilen konnte, ohne daß man darnach gefragt wurde, wen man für "bedeutender"
halte, Frau Reicher-Kindermann oder Frau Sachse-Hofmeister. Man hätte
glauben können, Leipzig würde in Trümmer sinken, wenn Herr Neumann und
diese Damen nicht mehr wären. Und heute? Gehts nicht recht gut ohne sie?
Ganz derselbe Spuk ist früher mit Frau I)r. Peschka-Leutner und mit dein
"Impresario" Herrn Julius Hofmann getrieben worden. Wer fragt heute uoch
nach ihnen? O du Narrenwelt!

Leider hat es den Anschein, als ob nnter der zukünftigen Direktion die
Theaterreklame mit ungeschwächten Kräften fortgesetzt werden sollte. Wenigstens
hatte sich die kolossale Weihrauchwolkc, die Herr Neumann bei seinem Abschiede


vom Leipziger Theater.

echter Pädagogik hoch. Geradezu klüglich war es um die körperliche Ausbildung
der Jugend bestellt. Ware nicht Herr Zörnitz und seine Exerzierschule für
Knaben gewesen, so hätten wir heute sicherlich ein sieches und verweichlichtes Ge¬
schlecht. Nächst ihm aber erwarben sich um das leibliche Wohl der Bevölkerung
namhafte Verdienste Herr Oswald Nier, der einzige Mann in ganz Leipzig,
bei dem man noch ein Glas wirklichen Wein zu trinken bekam, und der „Hof-
traiteur" auf dem bairischen Bahnhofe, Herr Kaufmann, der einzige, der noch
ein Lendcnbeeffteack zu braten verstand. Nur eine Einrichtung stand in jenen
Zeiten in wunderbarer, vorher nie erreichter Blüte: das Theater, und diese
Blüte verdankte es Herrn Angelo Neumann, Herrn Schelper und Herrn Lederer,
Frau Reicher-Kiudermaun und Frau Sachse-Hofmeister." So etwa würde die
Darstellung des Leipziger Historiogrnphen von 1930 lauten, und er würde
damit ziemlich treu den Eindruck wiedergeben, deu er aus der Leipziger Lokal¬
presse der Jahre 1.878—82 gewonnen.

Am weitesten, wie gesagt, hat es die Theaterreklame gebracht. Daß dem
Publikum Tag fiir Tag im redaktionellen Teil der Tagespresse der Theater¬
zettel umschrieben und erklärt wird, als ob die ganze Bevölkerung der Stadt
ans Schwachsinnigen bestünde, die keinen Theaterzettel mehr zu lesen verstehen, ist
eine Einrichtung, die Herr Neumann eingeführt hat. Über seine eigne werte
Person, über sein Befinden, seinen Aufenthalt, seine Pläne wurde das Publikum
unaufhörlich und mit derselben Wichtigkeit wie über die Person, das Befinden,
den Aufenthalt und die Pläne des Kaisers unterrichtet. Als ob das Theater
die wichtigste politische Institution wäre und eine Opernsängerin mindestens zehn
Reichsgerichtsräte oder zehn Universitätsprofessoren aufwöge, so hat er über das
Theater Lärm geschlagen und Lärm schlagen lassen. Etwas erreicht hat er
übrigens doch damit. Herr Neumann kennt die Menschen. Man sagt, daß,
wenn man in Leipzig auf der Grimmischen Straße im Vorübergehen aus dem
Gespräch zweier Herren ein Wort aufhasche, es in der Regel das Wort „Prozent"
sei. Herr Neumann hatte es dahin gebracht, daß man vorigen Winter selbst
in der „gebildetsten" Gesellschaft, in der man wahrhaftig eine bessere Unter¬
haltung als öden Theaterklatsch hätte erwarten sollen, nicht fünf Minuten ver¬
weilen konnte, ohne daß man darnach gefragt wurde, wen man für „bedeutender"
halte, Frau Reicher-Kindermann oder Frau Sachse-Hofmeister. Man hätte
glauben können, Leipzig würde in Trümmer sinken, wenn Herr Neumann und
diese Damen nicht mehr wären. Und heute? Gehts nicht recht gut ohne sie?
Ganz derselbe Spuk ist früher mit Frau I)r. Peschka-Leutner und mit dein
„Impresario" Herrn Julius Hofmann getrieben worden. Wer fragt heute uoch
nach ihnen? O du Narrenwelt!

Leider hat es den Anschein, als ob nnter der zukünftigen Direktion die
Theaterreklame mit ungeschwächten Kräften fortgesetzt werden sollte. Wenigstens
hatte sich die kolossale Weihrauchwolkc, die Herr Neumann bei seinem Abschiede


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[0232] vom Leipziger Theater. echter Pädagogik hoch. Geradezu klüglich war es um die körperliche Ausbildung der Jugend bestellt. Ware nicht Herr Zörnitz und seine Exerzierschule für Knaben gewesen, so hätten wir heute sicherlich ein sieches und verweichlichtes Ge¬ schlecht. Nächst ihm aber erwarben sich um das leibliche Wohl der Bevölkerung namhafte Verdienste Herr Oswald Nier, der einzige Mann in ganz Leipzig, bei dem man noch ein Glas wirklichen Wein zu trinken bekam, und der „Hof- traiteur" auf dem bairischen Bahnhofe, Herr Kaufmann, der einzige, der noch ein Lendcnbeeffteack zu braten verstand. Nur eine Einrichtung stand in jenen Zeiten in wunderbarer, vorher nie erreichter Blüte: das Theater, und diese Blüte verdankte es Herrn Angelo Neumann, Herrn Schelper und Herrn Lederer, Frau Reicher-Kiudermaun und Frau Sachse-Hofmeister." So etwa würde die Darstellung des Leipziger Historiogrnphen von 1930 lauten, und er würde damit ziemlich treu den Eindruck wiedergeben, deu er aus der Leipziger Lokal¬ presse der Jahre 1.878—82 gewonnen. Am weitesten, wie gesagt, hat es die Theaterreklame gebracht. Daß dem Publikum Tag fiir Tag im redaktionellen Teil der Tagespresse der Theater¬ zettel umschrieben und erklärt wird, als ob die ganze Bevölkerung der Stadt ans Schwachsinnigen bestünde, die keinen Theaterzettel mehr zu lesen verstehen, ist eine Einrichtung, die Herr Neumann eingeführt hat. Über seine eigne werte Person, über sein Befinden, seinen Aufenthalt, seine Pläne wurde das Publikum unaufhörlich und mit derselben Wichtigkeit wie über die Person, das Befinden, den Aufenthalt und die Pläne des Kaisers unterrichtet. Als ob das Theater die wichtigste politische Institution wäre und eine Opernsängerin mindestens zehn Reichsgerichtsräte oder zehn Universitätsprofessoren aufwöge, so hat er über das Theater Lärm geschlagen und Lärm schlagen lassen. Etwas erreicht hat er übrigens doch damit. Herr Neumann kennt die Menschen. Man sagt, daß, wenn man in Leipzig auf der Grimmischen Straße im Vorübergehen aus dem Gespräch zweier Herren ein Wort aufhasche, es in der Regel das Wort „Prozent" sei. Herr Neumann hatte es dahin gebracht, daß man vorigen Winter selbst in der „gebildetsten" Gesellschaft, in der man wahrhaftig eine bessere Unter¬ haltung als öden Theaterklatsch hätte erwarten sollen, nicht fünf Minuten ver¬ weilen konnte, ohne daß man darnach gefragt wurde, wen man für „bedeutender" halte, Frau Reicher-Kindermann oder Frau Sachse-Hofmeister. Man hätte glauben können, Leipzig würde in Trümmer sinken, wenn Herr Neumann und diese Damen nicht mehr wären. Und heute? Gehts nicht recht gut ohne sie? Ganz derselbe Spuk ist früher mit Frau I)r. Peschka-Leutner und mit dein „Impresario" Herrn Julius Hofmann getrieben worden. Wer fragt heute uoch nach ihnen? O du Narrenwelt! Leider hat es den Anschein, als ob nnter der zukünftigen Direktion die Theaterreklame mit ungeschwächten Kräften fortgesetzt werden sollte. Wenigstens hatte sich die kolossale Weihrauchwolkc, die Herr Neumann bei seinem Abschiede

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/232>, abgerufen am 17.06.2024.