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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Rußland und Rumänien"

an schreibt uns aus Bukarest: Die Propaganda, die in Ru߬
land gegen alles organisirt ist, was einen deutschen Namen trägt,
beschränkt sich nicht auf das Gebiet innerhalb der Grenzen dieses
Reiches. Während sie sich in Österreich-Ungarn bemüht, die sla¬
vischen oder morgenländisch rechtgläubigen Bevölkerungen dem
Hause Habsburg zu entfremden, sehen wir sie weiter nach Südosten hin am
Werke, den im Mai 1866 an die Ufer der Dumbvwitza verpflanzten jungen
hvhenzollernschen Stamm an seinen Wurzeln zu unterwühlen. Auch hier be¬
zeichnet sie einen deutschen und nicht griechisch-orthodoxen Fürsten den unwissenden
und leichtgläubigen Massen als den Feind ihrer Nasse und ihrer Religion. Gern
würde man sich sagen, daß diese Wühlerei ohne Erfolg geblieben wäre, aber
leider ist das Gegenteil der Fall. Dank einer gewissen sozialen Aufregung und
Verwirrung, welche durch zu sehr beschleunigte Reformen und eine zu plötzliche
und zu schroffe Verrückung der Verhältnisse des Privateigentums veranlaßt
wurde, ist Rumänien dasjenige Land, welches in Europa die stärkste Verschiebung
und Vernichtung des Ständeunterschiedes zeigt, wobei ich noch gar nicht an jene
per lÄ8 et n"ZU!,8 reichgewvrdeuen Leute denke, denen es sowohl an Vaterlands¬
liebe als an sittlichem Halte mangelt. Eine fernere und noch charakteristischere
Thatsache ist, daß ans zehn zur gegenwärtigen politischen Welt gehörige Männer
hier wenigstens drei Griechen und drei Bulgaren fallen, deren Naturalisation
von neuem Datum ist, indem ihre Zugehörigkeit als Vollbürger zum rumä¬
nischen Staate kaum bis zu ihrem Vater zurückgeht. Noch ein paar Jahre
dieses an nordamerikanische Zustände und Einrichtungen erinnernden Regimes,
und die Rumänen werden, aus dem politischen Leben ganz verdrängt, ihm ent¬
fremdet, nur noch Heloten in ihrem Lande sein.


Grenzlioten III. 18L2. !N


Rußland und Rumänien»

an schreibt uns aus Bukarest: Die Propaganda, die in Ru߬
land gegen alles organisirt ist, was einen deutschen Namen trägt,
beschränkt sich nicht auf das Gebiet innerhalb der Grenzen dieses
Reiches. Während sie sich in Österreich-Ungarn bemüht, die sla¬
vischen oder morgenländisch rechtgläubigen Bevölkerungen dem
Hause Habsburg zu entfremden, sehen wir sie weiter nach Südosten hin am
Werke, den im Mai 1866 an die Ufer der Dumbvwitza verpflanzten jungen
hvhenzollernschen Stamm an seinen Wurzeln zu unterwühlen. Auch hier be¬
zeichnet sie einen deutschen und nicht griechisch-orthodoxen Fürsten den unwissenden
und leichtgläubigen Massen als den Feind ihrer Nasse und ihrer Religion. Gern
würde man sich sagen, daß diese Wühlerei ohne Erfolg geblieben wäre, aber
leider ist das Gegenteil der Fall. Dank einer gewissen sozialen Aufregung und
Verwirrung, welche durch zu sehr beschleunigte Reformen und eine zu plötzliche
und zu schroffe Verrückung der Verhältnisse des Privateigentums veranlaßt
wurde, ist Rumänien dasjenige Land, welches in Europa die stärkste Verschiebung
und Vernichtung des Ständeunterschiedes zeigt, wobei ich noch gar nicht an jene
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liebe als an sittlichem Halte mangelt. Eine fernere und noch charakteristischere
Thatsache ist, daß ans zehn zur gegenwärtigen politischen Welt gehörige Männer
hier wenigstens drei Griechen und drei Bulgaren fallen, deren Naturalisation
von neuem Datum ist, indem ihre Zugehörigkeit als Vollbürger zum rumä¬
nischen Staate kaum bis zu ihrem Vater zurückgeht. Noch ein paar Jahre
dieses an nordamerikanische Zustände und Einrichtungen erinnernden Regimes,
und die Rumänen werden, aus dem politischen Leben ganz verdrängt, ihm ent¬
fremdet, nur noch Heloten in ihrem Lande sein.


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[0249] [Abbildung] Rußland und Rumänien» an schreibt uns aus Bukarest: Die Propaganda, die in Ru߬ land gegen alles organisirt ist, was einen deutschen Namen trägt, beschränkt sich nicht auf das Gebiet innerhalb der Grenzen dieses Reiches. Während sie sich in Österreich-Ungarn bemüht, die sla¬ vischen oder morgenländisch rechtgläubigen Bevölkerungen dem Hause Habsburg zu entfremden, sehen wir sie weiter nach Südosten hin am Werke, den im Mai 1866 an die Ufer der Dumbvwitza verpflanzten jungen hvhenzollernschen Stamm an seinen Wurzeln zu unterwühlen. Auch hier be¬ zeichnet sie einen deutschen und nicht griechisch-orthodoxen Fürsten den unwissenden und leichtgläubigen Massen als den Feind ihrer Nasse und ihrer Religion. Gern würde man sich sagen, daß diese Wühlerei ohne Erfolg geblieben wäre, aber leider ist das Gegenteil der Fall. Dank einer gewissen sozialen Aufregung und Verwirrung, welche durch zu sehr beschleunigte Reformen und eine zu plötzliche und zu schroffe Verrückung der Verhältnisse des Privateigentums veranlaßt wurde, ist Rumänien dasjenige Land, welches in Europa die stärkste Verschiebung und Vernichtung des Ständeunterschiedes zeigt, wobei ich noch gar nicht an jene per lÄ8 et n«ZU!,8 reichgewvrdeuen Leute denke, denen es sowohl an Vaterlands¬ liebe als an sittlichem Halte mangelt. Eine fernere und noch charakteristischere Thatsache ist, daß ans zehn zur gegenwärtigen politischen Welt gehörige Männer hier wenigstens drei Griechen und drei Bulgaren fallen, deren Naturalisation von neuem Datum ist, indem ihre Zugehörigkeit als Vollbürger zum rumä¬ nischen Staate kaum bis zu ihrem Vater zurückgeht. Noch ein paar Jahre dieses an nordamerikanische Zustände und Einrichtungen erinnernden Regimes, und die Rumänen werden, aus dem politischen Leben ganz verdrängt, ihm ent¬ fremdet, nur noch Heloten in ihrem Lande sein. Grenzlioten III. 18L2. !N

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/249>, abgerufen am 24.05.2024.