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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Rußland und Rumänien.

Die russische Propaganda fand selbstverständlich in dieser Masse, die fast
ohne irgendwelche nationale Überlieferungen war, nicht nur die zur Erreichung
ihrer Zwecke erforderlichen moralischen Bedingungen, sondern auch sehr passende
Werkzeuge dazu vor. Wenn die Menschen, deren sie sich bedient, keine Achtung
verdienen, so sind die Leidenschaften, an die sie sich wendet, noch ordinärer und
verächtlicher. In der Moldau hat sie bewirkt, daß die auf Losreißung und
Selbständigkeit abzielenden Gelüste, die unter der Asche der frühern Zustünde
fortglimmten, dadurch wieder zu lebhafterem Brande entfacht wurden, daß man
die Idee einer moldauischen Dynastie verbreitete, zu deren Vertreter man einen
Sohn des 1866 verjagten Fürsten Cusa erkoren hatte. In der Walachei, wo
es keine Separatisten giebt, und wo ebensowenig Anhänger Cusas existiren, wo
aber die Demagogie das Bett der politischen Strömung bis zum Räude füllt,
haben die russischen Wühler sich der letztern in die Arme geworfen. Sie haben
sich dem Manne als Gehilfen angeschlossen, in welchem alle destruktiven und
auflösenden Tendenzen unsrer Zeit gleichsam Fleisch und Bein geworden sind,
und welcher, obwohl anscheinend nichts als ein einfacher Abgeordneter, für sich
allein schon eine der den Staat bewegenden Mächte, wenn nicht die oberste und
wichtigste derselben ist. Dank dieser Verbindung, welche der russischen Propa-
gaudn die gesninmte radikale Presse zugeführt hat, übt dieselbe einen beinahe
unwiderstehlichen Einfluß auf die Regierung, ans das Publikum und leider auch
auf die Armee aus. Von ihr gehen jene höchst schädlichen und verabscheuens¬
werten Gesetze ans, welche ihr Verbündeter beantragt, und welche die einge¬
schüchterten Kammern nicht abzulehnen wagen. Wenn diese schlan ausgedachte
demokratische Gesetzgebung sich dnrch die Annahme von Gesetzentwürfen, nach
welchen die Richter gewählt werden sollen und das allgemeine Stimmrecht ein¬
geführt werden soll -- Entwürfe, welche durchgehen werden, wie andre von ähn¬
lichem Charakter und schließlichen Zweck durchgegangen sind --, vervollständigt
haben wird, so wird die Republik in Rumänien nur noch eine Frage der Zeit
und der passenden Gelegenheit sein. Man weiß ja, daß der Fürst Gortschakoff
schon im Jahre 1866 den Rumänen diese Regierungsform zur Annahme
empfahl.

Zwei Dinge machen aus jedem rumänischen Demagogen einen dankbaren
und eifrigen Verbündeten Rußlands: der beiden gemeinsame Haß gegen Öster¬
reich und der verhängnisvoll radikale und revolutionäre Charakter der russischen
Politik -- im Auslande. Der Radikalismus schafft Überstürzung, Verwirrung
und Zersetzung, diese schwächen gegenüber äußeren Gegnern, sie trüben das Wasser,
und im Trüben ist nach dem Sprichwort gut fischen. So dachte man russischer-
seits in Bulgarien, als man ihm eine maßlos liberale Verfassung verlieh, so
denkt und strebt man anch diesseits der Donan, in Rumänien.

Der Liste der Kalamitäten, welche die geheime russische Politik auf Ru¬
mänien herabregnen ließ, muß mau anch die agrarische Bewegung hinzufügen,


Rußland und Rumänien.

Die russische Propaganda fand selbstverständlich in dieser Masse, die fast
ohne irgendwelche nationale Überlieferungen war, nicht nur die zur Erreichung
ihrer Zwecke erforderlichen moralischen Bedingungen, sondern auch sehr passende
Werkzeuge dazu vor. Wenn die Menschen, deren sie sich bedient, keine Achtung
verdienen, so sind die Leidenschaften, an die sie sich wendet, noch ordinärer und
verächtlicher. In der Moldau hat sie bewirkt, daß die auf Losreißung und
Selbständigkeit abzielenden Gelüste, die unter der Asche der frühern Zustünde
fortglimmten, dadurch wieder zu lebhafterem Brande entfacht wurden, daß man
die Idee einer moldauischen Dynastie verbreitete, zu deren Vertreter man einen
Sohn des 1866 verjagten Fürsten Cusa erkoren hatte. In der Walachei, wo
es keine Separatisten giebt, und wo ebensowenig Anhänger Cusas existiren, wo
aber die Demagogie das Bett der politischen Strömung bis zum Räude füllt,
haben die russischen Wühler sich der letztern in die Arme geworfen. Sie haben
sich dem Manne als Gehilfen angeschlossen, in welchem alle destruktiven und
auflösenden Tendenzen unsrer Zeit gleichsam Fleisch und Bein geworden sind,
und welcher, obwohl anscheinend nichts als ein einfacher Abgeordneter, für sich
allein schon eine der den Staat bewegenden Mächte, wenn nicht die oberste und
wichtigste derselben ist. Dank dieser Verbindung, welche der russischen Propa-
gaudn die gesninmte radikale Presse zugeführt hat, übt dieselbe einen beinahe
unwiderstehlichen Einfluß auf die Regierung, ans das Publikum und leider auch
auf die Armee aus. Von ihr gehen jene höchst schädlichen und verabscheuens¬
werten Gesetze ans, welche ihr Verbündeter beantragt, und welche die einge¬
schüchterten Kammern nicht abzulehnen wagen. Wenn diese schlan ausgedachte
demokratische Gesetzgebung sich dnrch die Annahme von Gesetzentwürfen, nach
welchen die Richter gewählt werden sollen und das allgemeine Stimmrecht ein¬
geführt werden soll — Entwürfe, welche durchgehen werden, wie andre von ähn¬
lichem Charakter und schließlichen Zweck durchgegangen sind —, vervollständigt
haben wird, so wird die Republik in Rumänien nur noch eine Frage der Zeit
und der passenden Gelegenheit sein. Man weiß ja, daß der Fürst Gortschakoff
schon im Jahre 1866 den Rumänen diese Regierungsform zur Annahme
empfahl.

Zwei Dinge machen aus jedem rumänischen Demagogen einen dankbaren
und eifrigen Verbündeten Rußlands: der beiden gemeinsame Haß gegen Öster¬
reich und der verhängnisvoll radikale und revolutionäre Charakter der russischen
Politik — im Auslande. Der Radikalismus schafft Überstürzung, Verwirrung
und Zersetzung, diese schwächen gegenüber äußeren Gegnern, sie trüben das Wasser,
und im Trüben ist nach dem Sprichwort gut fischen. So dachte man russischer-
seits in Bulgarien, als man ihm eine maßlos liberale Verfassung verlieh, so
denkt und strebt man anch diesseits der Donan, in Rumänien.

Der Liste der Kalamitäten, welche die geheime russische Politik auf Ru¬
mänien herabregnen ließ, muß mau anch die agrarische Bewegung hinzufügen,


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[0250] Rußland und Rumänien. Die russische Propaganda fand selbstverständlich in dieser Masse, die fast ohne irgendwelche nationale Überlieferungen war, nicht nur die zur Erreichung ihrer Zwecke erforderlichen moralischen Bedingungen, sondern auch sehr passende Werkzeuge dazu vor. Wenn die Menschen, deren sie sich bedient, keine Achtung verdienen, so sind die Leidenschaften, an die sie sich wendet, noch ordinärer und verächtlicher. In der Moldau hat sie bewirkt, daß die auf Losreißung und Selbständigkeit abzielenden Gelüste, die unter der Asche der frühern Zustünde fortglimmten, dadurch wieder zu lebhafterem Brande entfacht wurden, daß man die Idee einer moldauischen Dynastie verbreitete, zu deren Vertreter man einen Sohn des 1866 verjagten Fürsten Cusa erkoren hatte. In der Walachei, wo es keine Separatisten giebt, und wo ebensowenig Anhänger Cusas existiren, wo aber die Demagogie das Bett der politischen Strömung bis zum Räude füllt, haben die russischen Wühler sich der letztern in die Arme geworfen. Sie haben sich dem Manne als Gehilfen angeschlossen, in welchem alle destruktiven und auflösenden Tendenzen unsrer Zeit gleichsam Fleisch und Bein geworden sind, und welcher, obwohl anscheinend nichts als ein einfacher Abgeordneter, für sich allein schon eine der den Staat bewegenden Mächte, wenn nicht die oberste und wichtigste derselben ist. Dank dieser Verbindung, welche der russischen Propa- gaudn die gesninmte radikale Presse zugeführt hat, übt dieselbe einen beinahe unwiderstehlichen Einfluß auf die Regierung, ans das Publikum und leider auch auf die Armee aus. Von ihr gehen jene höchst schädlichen und verabscheuens¬ werten Gesetze ans, welche ihr Verbündeter beantragt, und welche die einge¬ schüchterten Kammern nicht abzulehnen wagen. Wenn diese schlan ausgedachte demokratische Gesetzgebung sich dnrch die Annahme von Gesetzentwürfen, nach welchen die Richter gewählt werden sollen und das allgemeine Stimmrecht ein¬ geführt werden soll — Entwürfe, welche durchgehen werden, wie andre von ähn¬ lichem Charakter und schließlichen Zweck durchgegangen sind —, vervollständigt haben wird, so wird die Republik in Rumänien nur noch eine Frage der Zeit und der passenden Gelegenheit sein. Man weiß ja, daß der Fürst Gortschakoff schon im Jahre 1866 den Rumänen diese Regierungsform zur Annahme empfahl. Zwei Dinge machen aus jedem rumänischen Demagogen einen dankbaren und eifrigen Verbündeten Rußlands: der beiden gemeinsame Haß gegen Öster¬ reich und der verhängnisvoll radikale und revolutionäre Charakter der russischen Politik — im Auslande. Der Radikalismus schafft Überstürzung, Verwirrung und Zersetzung, diese schwächen gegenüber äußeren Gegnern, sie trüben das Wasser, und im Trüben ist nach dem Sprichwort gut fischen. So dachte man russischer- seits in Bulgarien, als man ihm eine maßlos liberale Verfassung verlieh, so denkt und strebt man anch diesseits der Donan, in Rumänien. Der Liste der Kalamitäten, welche die geheime russische Politik auf Ru¬ mänien herabregnen ließ, muß mau anch die agrarische Bewegung hinzufügen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/250>, abgerufen am 16.06.2024.