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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Das heutige Feuilleton.

aus ankündigen. Die Grenzen gegen das Buch sind scharf gezogen. In einem
Vnche verlangt man abgerundete Erschöpfung eines zusammengehörigen Kreises
von Erscheinungen; die Abhandlung bricht ab, wo es ihr gefällt, wendet um
nach Gutdünken und deutet nur an, was ihr auszuführen nicht beliebt. Lessing
kann der erste und größte deutsche "Essayist" genannt werden; er nannte sich
selbst im Laokoon einen "Spaziergänger." Das war er, und ein kühner, glück¬
licher Spaziergänger, der, wohin er schlenderte, neue Wege und Aussichten auf¬
that. Aber keine derselben hat er so ausgebeutet, wie es ein buchschreibeuder
deutscher Systematiker gethan hätte. Die bequeme Lässigkeit der Form, die un-
nbgegrenzte Freiheit der Bewegung haben zu vielfältigem Mißbräuche geführt.
Wie vieles läuft als "Essai" in der Welt herum, was unter keiner andern
Marke anzubringen war. Wir erinnern an Eduard Lasters dickleibigen Band:
"Wege und Ziele der Kulturentwicklung." Laster kann als Vertreter jener auf¬
dringlichen Halbbildung gelten, die längst gesagtes und selbstverständliches in
unerträglicher Breite anmaßlich vornehm stilisirt mit halbverarbeitetem Eignen
zu einem Ganzen zusammenflickt, das im eigentlichsten Sinne ein "Versuch"
zu heißen verdient, aber ein unglücklicher.

Dem Feuilleton ist es kaum zu verargen, wenn es mit bekannter Bescheiden¬
heit, die Unsicherheit der Grenzen nutzend, sich als "Essai" aufspielt. Aber die
Grenzen, auch gegen das Feuilleton, sind doch vorhanden, wenn sie auch leicht¬
sinnig überschritten werden. Der Unterschied liegt in der verschiedenen Stellung
zum behandelten Gegenstand. Der Abhandlung ist's zunächst und ganz um die
Sache zu thun, welche die Gedanken angeregt hat; diese zu entwickeln ist das
Bestreben, hinter dem die Gefallsucht der Form verschwindet. Wie wenig das
eigentliche Feuilleton solche selbstverleugnende Hingebung kennt, haben wir schon
gesehen; es will immer zunächst durch seine Gestalt gefallen, auch wo es die
Miene der Belehrung annimmt. Freilich rechnen wir dabei manches, was in
den Feuilletonspalten steht, nicht zu dem in diesem Sinne gekennzeichneten
Feuilleton. Es könnte gar geschehen, daß der geübte Feuilletonist, wenn
er einmal, aus Zeitmangel, übler Stimmung und "künstlerischer" Abspannung
auf seiue gewohnten Künste verzichtend, die Sache allem reden ließe, unversehens,
ohne es zu wollen, eine kleine Abhandlung schriebe, was ihm in seinem eifrigsten
Bemühen nicht gelingen wollte. Den geistreichelnden Plauderton sich fern zu
halten, hat aber der Essayist alle Ursache, wenn er in einer Form, die durch
ihre Weite zur Willkür verführt, sich von deu Artikelchen der literarischen Hand-
lungsreisender und der edeln geistigen Hausirer unterscheiden will.

Aber das Feuilleton, die spitzeste Waffe in einer vom Zeitungswesen be¬
herrschten Literatur, hat auch denjenigen Gattungen, in deren Formen es sich
nicht verkleiden kann, seinen Geist aufgeprägt. Es hat, als die denkbar kleinste
aller literarischen Formen, auch die großen Formen, dem kleinen künstlerischen
Geiste des Jahrhunderts entsprechend, so klein gemacht, daß diese gegen die ent-


Greuzbowl III. 1882. 34
Das heutige Feuilleton.

aus ankündigen. Die Grenzen gegen das Buch sind scharf gezogen. In einem
Vnche verlangt man abgerundete Erschöpfung eines zusammengehörigen Kreises
von Erscheinungen; die Abhandlung bricht ab, wo es ihr gefällt, wendet um
nach Gutdünken und deutet nur an, was ihr auszuführen nicht beliebt. Lessing
kann der erste und größte deutsche „Essayist" genannt werden; er nannte sich
selbst im Laokoon einen „Spaziergänger." Das war er, und ein kühner, glück¬
licher Spaziergänger, der, wohin er schlenderte, neue Wege und Aussichten auf¬
that. Aber keine derselben hat er so ausgebeutet, wie es ein buchschreibeuder
deutscher Systematiker gethan hätte. Die bequeme Lässigkeit der Form, die un-
nbgegrenzte Freiheit der Bewegung haben zu vielfältigem Mißbräuche geführt.
Wie vieles läuft als „Essai" in der Welt herum, was unter keiner andern
Marke anzubringen war. Wir erinnern an Eduard Lasters dickleibigen Band:
„Wege und Ziele der Kulturentwicklung." Laster kann als Vertreter jener auf¬
dringlichen Halbbildung gelten, die längst gesagtes und selbstverständliches in
unerträglicher Breite anmaßlich vornehm stilisirt mit halbverarbeitetem Eignen
zu einem Ganzen zusammenflickt, das im eigentlichsten Sinne ein „Versuch"
zu heißen verdient, aber ein unglücklicher.

Dem Feuilleton ist es kaum zu verargen, wenn es mit bekannter Bescheiden¬
heit, die Unsicherheit der Grenzen nutzend, sich als „Essai" aufspielt. Aber die
Grenzen, auch gegen das Feuilleton, sind doch vorhanden, wenn sie auch leicht¬
sinnig überschritten werden. Der Unterschied liegt in der verschiedenen Stellung
zum behandelten Gegenstand. Der Abhandlung ist's zunächst und ganz um die
Sache zu thun, welche die Gedanken angeregt hat; diese zu entwickeln ist das
Bestreben, hinter dem die Gefallsucht der Form verschwindet. Wie wenig das
eigentliche Feuilleton solche selbstverleugnende Hingebung kennt, haben wir schon
gesehen; es will immer zunächst durch seine Gestalt gefallen, auch wo es die
Miene der Belehrung annimmt. Freilich rechnen wir dabei manches, was in
den Feuilletonspalten steht, nicht zu dem in diesem Sinne gekennzeichneten
Feuilleton. Es könnte gar geschehen, daß der geübte Feuilletonist, wenn
er einmal, aus Zeitmangel, übler Stimmung und „künstlerischer" Abspannung
auf seiue gewohnten Künste verzichtend, die Sache allem reden ließe, unversehens,
ohne es zu wollen, eine kleine Abhandlung schriebe, was ihm in seinem eifrigsten
Bemühen nicht gelingen wollte. Den geistreichelnden Plauderton sich fern zu
halten, hat aber der Essayist alle Ursache, wenn er in einer Form, die durch
ihre Weite zur Willkür verführt, sich von deu Artikelchen der literarischen Hand-
lungsreisender und der edeln geistigen Hausirer unterscheiden will.

Aber das Feuilleton, die spitzeste Waffe in einer vom Zeitungswesen be¬
herrschten Literatur, hat auch denjenigen Gattungen, in deren Formen es sich
nicht verkleiden kann, seinen Geist aufgeprägt. Es hat, als die denkbar kleinste
aller literarischen Formen, auch die großen Formen, dem kleinen künstlerischen
Geiste des Jahrhunderts entsprechend, so klein gemacht, daß diese gegen die ent-


Greuzbowl III. 1882. 34
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[0273] Das heutige Feuilleton. aus ankündigen. Die Grenzen gegen das Buch sind scharf gezogen. In einem Vnche verlangt man abgerundete Erschöpfung eines zusammengehörigen Kreises von Erscheinungen; die Abhandlung bricht ab, wo es ihr gefällt, wendet um nach Gutdünken und deutet nur an, was ihr auszuführen nicht beliebt. Lessing kann der erste und größte deutsche „Essayist" genannt werden; er nannte sich selbst im Laokoon einen „Spaziergänger." Das war er, und ein kühner, glück¬ licher Spaziergänger, der, wohin er schlenderte, neue Wege und Aussichten auf¬ that. Aber keine derselben hat er so ausgebeutet, wie es ein buchschreibeuder deutscher Systematiker gethan hätte. Die bequeme Lässigkeit der Form, die un- nbgegrenzte Freiheit der Bewegung haben zu vielfältigem Mißbräuche geführt. Wie vieles läuft als „Essai" in der Welt herum, was unter keiner andern Marke anzubringen war. Wir erinnern an Eduard Lasters dickleibigen Band: „Wege und Ziele der Kulturentwicklung." Laster kann als Vertreter jener auf¬ dringlichen Halbbildung gelten, die längst gesagtes und selbstverständliches in unerträglicher Breite anmaßlich vornehm stilisirt mit halbverarbeitetem Eignen zu einem Ganzen zusammenflickt, das im eigentlichsten Sinne ein „Versuch" zu heißen verdient, aber ein unglücklicher. Dem Feuilleton ist es kaum zu verargen, wenn es mit bekannter Bescheiden¬ heit, die Unsicherheit der Grenzen nutzend, sich als „Essai" aufspielt. Aber die Grenzen, auch gegen das Feuilleton, sind doch vorhanden, wenn sie auch leicht¬ sinnig überschritten werden. Der Unterschied liegt in der verschiedenen Stellung zum behandelten Gegenstand. Der Abhandlung ist's zunächst und ganz um die Sache zu thun, welche die Gedanken angeregt hat; diese zu entwickeln ist das Bestreben, hinter dem die Gefallsucht der Form verschwindet. Wie wenig das eigentliche Feuilleton solche selbstverleugnende Hingebung kennt, haben wir schon gesehen; es will immer zunächst durch seine Gestalt gefallen, auch wo es die Miene der Belehrung annimmt. Freilich rechnen wir dabei manches, was in den Feuilletonspalten steht, nicht zu dem in diesem Sinne gekennzeichneten Feuilleton. Es könnte gar geschehen, daß der geübte Feuilletonist, wenn er einmal, aus Zeitmangel, übler Stimmung und „künstlerischer" Abspannung auf seiue gewohnten Künste verzichtend, die Sache allem reden ließe, unversehens, ohne es zu wollen, eine kleine Abhandlung schriebe, was ihm in seinem eifrigsten Bemühen nicht gelingen wollte. Den geistreichelnden Plauderton sich fern zu halten, hat aber der Essayist alle Ursache, wenn er in einer Form, die durch ihre Weite zur Willkür verführt, sich von deu Artikelchen der literarischen Hand- lungsreisender und der edeln geistigen Hausirer unterscheiden will. Aber das Feuilleton, die spitzeste Waffe in einer vom Zeitungswesen be¬ herrschten Literatur, hat auch denjenigen Gattungen, in deren Formen es sich nicht verkleiden kann, seinen Geist aufgeprägt. Es hat, als die denkbar kleinste aller literarischen Formen, auch die großen Formen, dem kleinen künstlerischen Geiste des Jahrhunderts entsprechend, so klein gemacht, daß diese gegen die ent- Greuzbowl III. 1882. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/273>, abgerufen am 17.06.2024.