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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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mußte es ja eine Art von Zugang zum zweiten Stockwerk geben, aber es be¬
liebte ihm selbst August gegenüber nicht, jemand anders wissen zu lassen, daß
man dahin auf einem andern Wege als dem der Strickleiter gelangen könne,
und die wenigen Fremden, welche kamen, um seine Bücher zu sehen, wurden
über dieselbe Zugbrücke eingeführt.

Die große Stube war mit Büchern angefüllt, die in wunderlicher Weise
gruppirt waren. Ein Repositorium zum Beispiel hieß die Akademie, und hier
ließ er nur die Meister zu, wobei er ebenso sehr seinem eigenen excentrischen
Urteile als der hergebrachten Wertschätzung folgte. Homer, Virgil, Dante und
Milton waren natürlich im unbestrittenen Besitze der Abteilung, die den "Königen
der Epik," wie er sie bezeichnete, gewidmet war. Sophokles, Calderon, Corneille
und Shakespeare waren die einzigen, die er in seine Liste der "Könige der
Tragik" aufnahm. Lope verwarf er aus literarischen Gründen, nud Goethe,
weil er seine moralische Tendenz für unerfreulich hielt. Er verbannte Rabelais
aus der Reihe seiner Haupthumoristen, nahm aber Cervantes, Le Sage, Moliöre,
Swift, Hood und die damals noch neuen Pickwickier von Boz unter dieselben
auf. Diesen fügte er Lvngstreets "Szenen aus Georgia" hinzu, indem er be¬
hauptete, sie kämen dein Don Quixote ganz gleich. Ich will nur noch einer
Abteilung seiner Akademie Erwähnung thun. Ein Büchergestell war den "besten
Erzählungen" eingeräumt, und es war wirklich eine bewundernswerte Sammlung.
Ich wollte, irgend etwas von meinen Sachen wäre wert, in solche Gesellschaft
zu kommen. Sein reiner, fast ascetischer Sinn bewog ihn, Boccaccio zu ver¬
werfen, dagegen ließ er sich Chaucer und einiges von Balzac, ferner Smollet,
Goldsmith und Defoe gefallen, desgleichen Walter Scotts beste Romane, Washington
Jrvings "Rip van Winkle," Bernardins "Paul und Virginie," die "Drei
Monate unterm Schnee" und Charles Lands "Rosamunde Gray." Es gab
Repositorien für "Sokrates und seine Freunde" und für andere Gruppen. Er
hatte sich Jahre hindurch damit vergnügt, zu unterscheiden, welche Bücher "ge¬
krönt" werden sollten, wie er es nannte, und welche nicht. Und dann hatte er
ein anderes Gestell, welches das "Inferno" hieß. Ich wollte, ich hätte Raum,
um eine Liste dieser Abteilung mitteile" zu können. Einige wurden wegen Lang¬
weiligkeit, andre wegen Rohheit in diese Hölle verurteilt. Miß Edgewvrths mo¬
ralische Geschichten, Darwins "Botanischer Garten." Rvllins "Alte Geschichte"
und ein grenelvoll illustrirtes Exemplar des "Buchs der Märtyrer" waren in
der ersten Klasse, Byrons "Don Juan" und einige französische Romane in der
zweiten. Tupper, Swiuburne und Walter Whitman kannte er nicht.

In der Ecke neben dem Schvrnsteinthnrme befand sich ein Stübchen mit
einer kleinen Feuerstätte. So sparte der Einsiedler Holz; denn Holz bedeutete
Zeit, nud Zeit bedeutete Umgang mit Büchern. Alle seine häuslichen Einrich¬
tungen waren nach dieser genügsamen Sinnesart zugeschnitten. In der kleinen
Stube befand sich ein mit Manuskripten und Handbüchern bedecktes Schreibepult.


mußte es ja eine Art von Zugang zum zweiten Stockwerk geben, aber es be¬
liebte ihm selbst August gegenüber nicht, jemand anders wissen zu lassen, daß
man dahin auf einem andern Wege als dem der Strickleiter gelangen könne,
und die wenigen Fremden, welche kamen, um seine Bücher zu sehen, wurden
über dieselbe Zugbrücke eingeführt.

Die große Stube war mit Büchern angefüllt, die in wunderlicher Weise
gruppirt waren. Ein Repositorium zum Beispiel hieß die Akademie, und hier
ließ er nur die Meister zu, wobei er ebenso sehr seinem eigenen excentrischen
Urteile als der hergebrachten Wertschätzung folgte. Homer, Virgil, Dante und
Milton waren natürlich im unbestrittenen Besitze der Abteilung, die den „Königen
der Epik," wie er sie bezeichnete, gewidmet war. Sophokles, Calderon, Corneille
und Shakespeare waren die einzigen, die er in seine Liste der „Könige der
Tragik" aufnahm. Lope verwarf er aus literarischen Gründen, nud Goethe,
weil er seine moralische Tendenz für unerfreulich hielt. Er verbannte Rabelais
aus der Reihe seiner Haupthumoristen, nahm aber Cervantes, Le Sage, Moliöre,
Swift, Hood und die damals noch neuen Pickwickier von Boz unter dieselben
auf. Diesen fügte er Lvngstreets „Szenen aus Georgia" hinzu, indem er be¬
hauptete, sie kämen dein Don Quixote ganz gleich. Ich will nur noch einer
Abteilung seiner Akademie Erwähnung thun. Ein Büchergestell war den „besten
Erzählungen" eingeräumt, und es war wirklich eine bewundernswerte Sammlung.
Ich wollte, irgend etwas von meinen Sachen wäre wert, in solche Gesellschaft
zu kommen. Sein reiner, fast ascetischer Sinn bewog ihn, Boccaccio zu ver¬
werfen, dagegen ließ er sich Chaucer und einiges von Balzac, ferner Smollet,
Goldsmith und Defoe gefallen, desgleichen Walter Scotts beste Romane, Washington
Jrvings „Rip van Winkle," Bernardins „Paul und Virginie," die „Drei
Monate unterm Schnee" und Charles Lands „Rosamunde Gray." Es gab
Repositorien für „Sokrates und seine Freunde" und für andere Gruppen. Er
hatte sich Jahre hindurch damit vergnügt, zu unterscheiden, welche Bücher „ge¬
krönt" werden sollten, wie er es nannte, und welche nicht. Und dann hatte er
ein anderes Gestell, welches das „Inferno" hieß. Ich wollte, ich hätte Raum,
um eine Liste dieser Abteilung mitteile« zu können. Einige wurden wegen Lang¬
weiligkeit, andre wegen Rohheit in diese Hölle verurteilt. Miß Edgewvrths mo¬
ralische Geschichten, Darwins „Botanischer Garten." Rvllins „Alte Geschichte"
und ein grenelvoll illustrirtes Exemplar des „Buchs der Märtyrer" waren in
der ersten Klasse, Byrons „Don Juan" und einige französische Romane in der
zweiten. Tupper, Swiuburne und Walter Whitman kannte er nicht.

In der Ecke neben dem Schvrnsteinthnrme befand sich ein Stübchen mit
einer kleinen Feuerstätte. So sparte der Einsiedler Holz; denn Holz bedeutete
Zeit, nud Zeit bedeutete Umgang mit Büchern. Alle seine häuslichen Einrich¬
tungen waren nach dieser genügsamen Sinnesart zugeschnitten. In der kleinen
Stube befand sich ein mit Manuskripten und Handbüchern bedecktes Schreibepult.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/291>, abgerufen am 17.06.2024.