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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Progrmnmmusik, Tcnnnalerei und musikalis6?er Aolorismus.

die Gegner dieser Ansicht die höchste Autorität ist, in dem an die Spitze dieser
Zeilen gesetzten Allsspruche sein gleichlautendes Votum deutlich genug formulirt.

Hanslick nennt unter den Beispielen, die er in seinem epochemachenden Buche
für die Tonmalerei giebt, das Fallen der Schneeflocken und bemerkt dazu, daß
man dasselbe musikalisch uur dadurch malen könne, daß man analoge, dein durch
dieses Phänomen hervorgebrachten Gesichtseindrucke dynamisch verwandte Gehörs-
eindrücke hervorrufe. Er kvnstntirt dafür ein Viknriren des einen Sinnes für
deu andern. Diese Bemerkung ist änßerst fein und bisher zu wenig ausgeführt
worden, auch von Hanslick selbst. Nicht uur der zuckende Blitz, das Flattern
der Vögel und ähnliche Erscheinungen, welche nicht selbst Gehörseindrücke von
hinreichender Stärke hervorbringen, um durch stilisirte Nachahmung dieser für die
Musik verwertbar zu werdeu, nein selbst Erscheinungen wie das Rauschen des
Meeres, das Fallen eines Gegenstandes, der erst beim Aufschlagen ein Geräusch
hervorbringt und viele andre nehmen die Nachbildung des Gesichtsbildes zu
Hilfe. Das ist in der That gar nichts wunderbares, besonders für die Musik
ohne Scene, die von rechtswegen mit geschlossenen Augen angehört werdeu müßte.
Der Vikariren beschränkt sich nicht allein auf Ohr für Auge; auch für den Tast¬
sinn kann das Ohr eintreten; ich erinnere nur an Zerlinens: "Fühlst du, wies
klopfet hier?" wo das nachgeahmte Pochen des Herzens doch ohne Zweifel die
Wirkung ans Masettvs Hand Versinnlicht. Wagner geht uoch weiter und malt
den Duft des Flieders, der eigenartig die Sinne vermischt; oder sollen wir
leugnen, daß hier das Ohr für die Nase eintritt? Beispiele für die Geschmacks-
wirknng sind mir zwar nicht bekannt, aber wer will sagen, daß sie unmöglich
seien? Angenommen, in einer humoristische Gesaugskvmpositivn soll die Wirkung
des sauren und süßen Weines zum Ausdruck kommen -- würde ein geschickter
Tonsetzer anch nur einen Augenblick verlegen sein um die Ausprägung des Unter¬
schiedes von sauer und süß? Das scheinbar Abstruse der Behauptung verliert
sich bei näherem Nachdenken gänzlich.

Jede musikalische Nachahmung ist uicht nackte Nachahmung, sondern stilisirte.
Wie das zu verstehen sei, müssen wir genauer prcizisiren. Das Henlen des
Windes ist eine reine Gehörserschcinuug und kann durch musikalische Instrumente
bis zur völligen Illusion nachgeahmt werden; die Kunst wird es aber vorziehen,
die stetige Tonhöhenveränderuug durch die stufenweise zu ersetzen, d. h. sie
wird Skalen, gleichviel ob chromatische oder diatonische durchlaufen, statt etwa
die Violinisten oder Cellisten einfach mit dem Finger auf den tönenden Saiten
herauf- und heruntergleiten zu lassen. Das ist Stilisirung, d. h. Beschränkung
der Nachahmung durch die Bildungsgesetze der Kunst. Analogien ans dem Ge¬
biete der bildenden Künste sind allbekannt; der Ausdruck stilisiren ist dort ganz
geläufig. So wird auch der Gesang der Vögel, wenn er musikalisch dargestellt
wird, stilisirt, d. h. die deutlich auffaßbare und harmonisch geregelte Tonhöhen¬
veränderung tritt an Stelle der regellosen. Die Täuschung wird dadurch aller-


Progrmnmmusik, Tcnnnalerei und musikalis6?er Aolorismus.

die Gegner dieser Ansicht die höchste Autorität ist, in dem an die Spitze dieser
Zeilen gesetzten Allsspruche sein gleichlautendes Votum deutlich genug formulirt.

Hanslick nennt unter den Beispielen, die er in seinem epochemachenden Buche
für die Tonmalerei giebt, das Fallen der Schneeflocken und bemerkt dazu, daß
man dasselbe musikalisch uur dadurch malen könne, daß man analoge, dein durch
dieses Phänomen hervorgebrachten Gesichtseindrucke dynamisch verwandte Gehörs-
eindrücke hervorrufe. Er kvnstntirt dafür ein Viknriren des einen Sinnes für
deu andern. Diese Bemerkung ist änßerst fein und bisher zu wenig ausgeführt
worden, auch von Hanslick selbst. Nicht uur der zuckende Blitz, das Flattern
der Vögel und ähnliche Erscheinungen, welche nicht selbst Gehörseindrücke von
hinreichender Stärke hervorbringen, um durch stilisirte Nachahmung dieser für die
Musik verwertbar zu werdeu, nein selbst Erscheinungen wie das Rauschen des
Meeres, das Fallen eines Gegenstandes, der erst beim Aufschlagen ein Geräusch
hervorbringt und viele andre nehmen die Nachbildung des Gesichtsbildes zu
Hilfe. Das ist in der That gar nichts wunderbares, besonders für die Musik
ohne Scene, die von rechtswegen mit geschlossenen Augen angehört werdeu müßte.
Der Vikariren beschränkt sich nicht allein auf Ohr für Auge; auch für den Tast¬
sinn kann das Ohr eintreten; ich erinnere nur an Zerlinens: „Fühlst du, wies
klopfet hier?" wo das nachgeahmte Pochen des Herzens doch ohne Zweifel die
Wirkung ans Masettvs Hand Versinnlicht. Wagner geht uoch weiter und malt
den Duft des Flieders, der eigenartig die Sinne vermischt; oder sollen wir
leugnen, daß hier das Ohr für die Nase eintritt? Beispiele für die Geschmacks-
wirknng sind mir zwar nicht bekannt, aber wer will sagen, daß sie unmöglich
seien? Angenommen, in einer humoristische Gesaugskvmpositivn soll die Wirkung
des sauren und süßen Weines zum Ausdruck kommen — würde ein geschickter
Tonsetzer anch nur einen Augenblick verlegen sein um die Ausprägung des Unter¬
schiedes von sauer und süß? Das scheinbar Abstruse der Behauptung verliert
sich bei näherem Nachdenken gänzlich.

Jede musikalische Nachahmung ist uicht nackte Nachahmung, sondern stilisirte.
Wie das zu verstehen sei, müssen wir genauer prcizisiren. Das Henlen des
Windes ist eine reine Gehörserschcinuug und kann durch musikalische Instrumente
bis zur völligen Illusion nachgeahmt werden; die Kunst wird es aber vorziehen,
die stetige Tonhöhenveränderuug durch die stufenweise zu ersetzen, d. h. sie
wird Skalen, gleichviel ob chromatische oder diatonische durchlaufen, statt etwa
die Violinisten oder Cellisten einfach mit dem Finger auf den tönenden Saiten
herauf- und heruntergleiten zu lassen. Das ist Stilisirung, d. h. Beschränkung
der Nachahmung durch die Bildungsgesetze der Kunst. Analogien ans dem Ge¬
biete der bildenden Künste sind allbekannt; der Ausdruck stilisiren ist dort ganz
geläufig. So wird auch der Gesang der Vögel, wenn er musikalisch dargestellt
wird, stilisirt, d. h. die deutlich auffaßbare und harmonisch geregelte Tonhöhen¬
veränderung tritt an Stelle der regellosen. Die Täuschung wird dadurch aller-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/91>, abgerufen am 17.06.2024.