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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Politische Lriese.

Regierungsparteien, wie die beiden Adelsverbiudnngen, in welche sich die englische
Oligarchie im 17. Jahrhundert spaltete. Regiernngspnrteicn handeln, wenn sie
am Ruder sind, nach der Staatsraison. Diejenige, welche, wie man in England
kurz sagt, zur Zeit ont, ist, übt eine unschädliche Kritik, bis sie sich stark fühlt,
wieder in zu kommen. Dann greift sie die erste beste Maßregel auf, um auf
den Gegner zu schlagen, um vielleicht, wenn sie in ist, sofort dasselbe zu thun.

Wir haben keine Juteresseuparteien. Gesunde Interessen lassen sich ver¬
söhnen, wild gewordene lassen sich in ihre Schranken zurückführen lind belehren,
das; sie um ihrer selbst willen nicht alle andern einschnüren dürfen. Unsre
deutschen Parteien sind vorwiegend Mcinungsparteien. Meinnngskvmplexe sind
es, in denen sich die Leidenschaft gesammelt und festgerannt hat, welche die
Parteireklame so lange sür allein seligmachende Wahrheiten ausgegeben hat, bis
die Partei nicht mehr davon los kann. Das gesunde agrarische Interesse und
das gesunde Interesse der gewerblichen Produktion, welche des beweglichen
Kapitals am meisten bedarf, und ebenso die Interessen der Träger beider Berufe
lassen sich versöhnen. Die Meimmgskomplexe, welche diese Interessen über¬
wuchern, verdunkeln und die Träger derselben in die Knechtung der Leidenschaft
versetzen, können sich "ur zerstören. Es ist die schwere Aufgabe der Staats¬
kunst, die berechtigten Interessen loszulösen von der Unterstützung und Knechtung
dnrch irrige, oftmals unsinnige, und wenn sie praktisch Raum fänden, grnnd-
verderbliche Meinungen.

So kann denn der agrarisch-konservative Fanatismus sich nicht genug thun
in Phantasien, das bewegliche Kapital zu erwürgen durch progressive Einkommen-
steuer, Prozentnale und progressive Bvrsenstenern, progressive Kapitalrenten-
stenern, Erbschaftssteuern u. s. w. Natürlich verfallen nicht alle Parteimitglieder
und nicht alle Parteiorgane in das Extrem, aber das Extrem macht sich laut
genng, man wird sein Auftreten nicht abstreiten. Keine der wilden, dnrch die
Svzialdemvkrnten erfundenen Invektiven gegen das Kapital, die sich eine so¬
genannte konservative Agitation gegen ihren Feind entgehen ließe. Die blinde
Parteiwnt vermag sich nicht mehr vorzustellen, daß sie sich in das eigne Fleisch
schneidet, denn wer wäre uicht heute mit dem beweglichen Kapital verflochten,
von den Reihen des Grundbesitzes bis in die Reihen der Armut hinein? Um
dein Haß ein recht deutliches und aufregendes Objekt zu geben, hat man die
Bewegung gegen die Juden mit dein Ansturm ans das bewegliche ^kapital verbunden.

Ans der andern Seite wehrt man sich natürlich, nnr leider nicht mit ge¬
rechten Waffen. Man verkennt nicht nnr, daß die Lebensfrage des Grnnd-
besitzerstandes zugleich die Frage der gedeihlichen Verwendung des Grundbesitzes
ist und damit eine Lebensfrage des Staates und unsrer nationalen Gesundheit.
Man will deu Grundbesitz mit Lasten überhäufen, man zeigt auf einige ein¬
trägliche landwirtschaftliche Gewerbe, ans die Produktion des Spiritus und des
Rübenzuckers, als fähig, die neue Last allein zu übernehmen. Diese Gewerbe


Politische Lriese.

Regierungsparteien, wie die beiden Adelsverbiudnngen, in welche sich die englische
Oligarchie im 17. Jahrhundert spaltete. Regiernngspnrteicn handeln, wenn sie
am Ruder sind, nach der Staatsraison. Diejenige, welche, wie man in England
kurz sagt, zur Zeit ont, ist, übt eine unschädliche Kritik, bis sie sich stark fühlt,
wieder in zu kommen. Dann greift sie die erste beste Maßregel auf, um auf
den Gegner zu schlagen, um vielleicht, wenn sie in ist, sofort dasselbe zu thun.

Wir haben keine Juteresseuparteien. Gesunde Interessen lassen sich ver¬
söhnen, wild gewordene lassen sich in ihre Schranken zurückführen lind belehren,
das; sie um ihrer selbst willen nicht alle andern einschnüren dürfen. Unsre
deutschen Parteien sind vorwiegend Mcinungsparteien. Meinnngskvmplexe sind
es, in denen sich die Leidenschaft gesammelt und festgerannt hat, welche die
Parteireklame so lange sür allein seligmachende Wahrheiten ausgegeben hat, bis
die Partei nicht mehr davon los kann. Das gesunde agrarische Interesse und
das gesunde Interesse der gewerblichen Produktion, welche des beweglichen
Kapitals am meisten bedarf, und ebenso die Interessen der Träger beider Berufe
lassen sich versöhnen. Die Meimmgskomplexe, welche diese Interessen über¬
wuchern, verdunkeln und die Träger derselben in die Knechtung der Leidenschaft
versetzen, können sich »ur zerstören. Es ist die schwere Aufgabe der Staats¬
kunst, die berechtigten Interessen loszulösen von der Unterstützung und Knechtung
dnrch irrige, oftmals unsinnige, und wenn sie praktisch Raum fänden, grnnd-
verderbliche Meinungen.

So kann denn der agrarisch-konservative Fanatismus sich nicht genug thun
in Phantasien, das bewegliche Kapital zu erwürgen durch progressive Einkommen-
steuer, Prozentnale und progressive Bvrsenstenern, progressive Kapitalrenten-
stenern, Erbschaftssteuern u. s. w. Natürlich verfallen nicht alle Parteimitglieder
und nicht alle Parteiorgane in das Extrem, aber das Extrem macht sich laut
genng, man wird sein Auftreten nicht abstreiten. Keine der wilden, dnrch die
Svzialdemvkrnten erfundenen Invektiven gegen das Kapital, die sich eine so¬
genannte konservative Agitation gegen ihren Feind entgehen ließe. Die blinde
Parteiwnt vermag sich nicht mehr vorzustellen, daß sie sich in das eigne Fleisch
schneidet, denn wer wäre uicht heute mit dem beweglichen Kapital verflochten,
von den Reihen des Grundbesitzes bis in die Reihen der Armut hinein? Um
dein Haß ein recht deutliches und aufregendes Objekt zu geben, hat man die
Bewegung gegen die Juden mit dein Ansturm ans das bewegliche ^kapital verbunden.

Ans der andern Seite wehrt man sich natürlich, nnr leider nicht mit ge¬
rechten Waffen. Man verkennt nicht nnr, daß die Lebensfrage des Grnnd-
besitzerstandes zugleich die Frage der gedeihlichen Verwendung des Grundbesitzes
ist und damit eine Lebensfrage des Staates und unsrer nationalen Gesundheit.
Man will deu Grundbesitz mit Lasten überhäufen, man zeigt auf einige ein¬
trägliche landwirtschaftliche Gewerbe, ans die Produktion des Spiritus und des
Rübenzuckers, als fähig, die neue Last allein zu übernehmen. Diese Gewerbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/10>, abgerufen am 26.05.2024.