Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Politische Briefe.

sind in der That stenerfähigcr mis ihre jetzige Leistung: aber es ist doch blinde
Feindschaft, die ganze Last dahin z" wälzen, wenn man nicht zugleich schädliche
Lasten wegnimmt. Ans der Abwehr dieser neuen Last macht man das Be¬
streben der Grundbesitzer, sich durch den verderblichen Schnnpskonsum der ärmern
Klassen zu bereichern. Das ist ein Stück Wiedervergeltung mit dem Abdrücken
vergifteter Pfeile.

Mitten in diesem häßlichen Kampfe, der uns immerfort beängstigend um¬
tobt, hat sich doch erstmmlicherweise wenigstens nach einer einzelnen Richtung
eine Annäherung der sämmtliche" Hanptparteie" jedenfalls nur scheinbar, aber
wenigstens scheinbar vollzogen. Die klerikale Partei darf man als die intellek¬
tuelle Urheberin der agrarisch-konservativen Ausschreitungen betrachten, aus
Gründen, ans die noch das gehörige Licht fallen muß. Diesen beiden Parteien
hat sich nun der Liberalismus nenerdings in der Stenerfrage insoweit genähert,
mis auch er für den nächsten Schritt in der Steuerreform die höhere Besteuerung
des fundirten Einkommens in viel weiteren Grenzen, als sie Fürst Vismarck
zugelassen hatte, erklärt.

Wenn man die Einigkeit dieser so verschiedenen, zum Teil so tief ver¬
feindeten Parteien, noch dazu in der Erstrebung eines schädlichen Zieles erblickt,
so muß mau sich jener Fabel erinnern, mit welcher der ältern Generation
unsrer Zeitgenossen die zugleich unheimliche und trostreiche Wahrheit eingeprägt
wurde, daß der gefährlichste Feind des Bösen das Böse ist. Wer erinnert sich
nicht jener drei Reisenden, die unterwegs einen Schatz fanden, wie die beiden
älteren den jüngsten nach Speise aussendeten, sich verabredeten ihn zu töten,
wie sie deu Vorsatz ausführten, aber alsbald an dem Genuß der vergifteten
Speise starben. Möge sich niemand beleidigt glauben, wenn nur den Parteien
Vergiftungsabsichten nachsagen. Es handelt sich nicht um individuelle und leib¬
haftige Vergiftung. Aber der Parteiknmpf, wie er zur Zeit leider einmal ist,
will seine Gegner schädigen, nicht individuell, aber in ihrer Fahne, sodaß sie
dieselbe vergraben und sich zerstreuen müssen. Die unvorsichtige Vestencrnng
des Kapitals ist ein Gift; wenn alle Parteien entschlossen sind, es einzunehmen
^ denn der Genuß läßt sich beim besten Willen nicht bloß der bekämpften
Partei auflegen --, so meint jede, ihr eigner Orgnnismns würde das Gift ver¬
tagen, die andern aber würden daran zu Grunde gehen. Insofern ist unser
Tüll anders als der in der Fabel. Er weicht auch noch in einer andern Be¬
gehung ab. Die Fabel läßt ihre drei Reisenden sterben. In unserm Falle
giebt es einen Reisenden, der, wenn es zur Gifteiuuahme käme, die andern
fröhlich tiberleben und sich des Schatzes, nämlich der Macht im Staate, be¬
dächtigen würde, wenn auch uur, um ihn zu verderben.

Dem Liberalismus wird zum Vorwurf gemacht, daß er mit dem beweglichen
Kapital identisch sei. Die Behauptung ist falsch, weil wir keine reinen Interessen-
Parteien haben und der Liberalismus gerade am weiteste" von einer solche"


Politische Briefe.

sind in der That stenerfähigcr mis ihre jetzige Leistung: aber es ist doch blinde
Feindschaft, die ganze Last dahin z» wälzen, wenn man nicht zugleich schädliche
Lasten wegnimmt. Ans der Abwehr dieser neuen Last macht man das Be¬
streben der Grundbesitzer, sich durch den verderblichen Schnnpskonsum der ärmern
Klassen zu bereichern. Das ist ein Stück Wiedervergeltung mit dem Abdrücken
vergifteter Pfeile.

Mitten in diesem häßlichen Kampfe, der uns immerfort beängstigend um¬
tobt, hat sich doch erstmmlicherweise wenigstens nach einer einzelnen Richtung
eine Annäherung der sämmtliche» Hanptparteie» jedenfalls nur scheinbar, aber
wenigstens scheinbar vollzogen. Die klerikale Partei darf man als die intellek¬
tuelle Urheberin der agrarisch-konservativen Ausschreitungen betrachten, aus
Gründen, ans die noch das gehörige Licht fallen muß. Diesen beiden Parteien
hat sich nun der Liberalismus nenerdings in der Stenerfrage insoweit genähert,
mis auch er für den nächsten Schritt in der Steuerreform die höhere Besteuerung
des fundirten Einkommens in viel weiteren Grenzen, als sie Fürst Vismarck
zugelassen hatte, erklärt.

Wenn man die Einigkeit dieser so verschiedenen, zum Teil so tief ver¬
feindeten Parteien, noch dazu in der Erstrebung eines schädlichen Zieles erblickt,
so muß mau sich jener Fabel erinnern, mit welcher der ältern Generation
unsrer Zeitgenossen die zugleich unheimliche und trostreiche Wahrheit eingeprägt
wurde, daß der gefährlichste Feind des Bösen das Böse ist. Wer erinnert sich
nicht jener drei Reisenden, die unterwegs einen Schatz fanden, wie die beiden
älteren den jüngsten nach Speise aussendeten, sich verabredeten ihn zu töten,
wie sie deu Vorsatz ausführten, aber alsbald an dem Genuß der vergifteten
Speise starben. Möge sich niemand beleidigt glauben, wenn nur den Parteien
Vergiftungsabsichten nachsagen. Es handelt sich nicht um individuelle und leib¬
haftige Vergiftung. Aber der Parteiknmpf, wie er zur Zeit leider einmal ist,
will seine Gegner schädigen, nicht individuell, aber in ihrer Fahne, sodaß sie
dieselbe vergraben und sich zerstreuen müssen. Die unvorsichtige Vestencrnng
des Kapitals ist ein Gift; wenn alle Parteien entschlossen sind, es einzunehmen
^ denn der Genuß läßt sich beim besten Willen nicht bloß der bekämpften
Partei auflegen —, so meint jede, ihr eigner Orgnnismns würde das Gift ver¬
tagen, die andern aber würden daran zu Grunde gehen. Insofern ist unser
Tüll anders als der in der Fabel. Er weicht auch noch in einer andern Be¬
gehung ab. Die Fabel läßt ihre drei Reisenden sterben. In unserm Falle
giebt es einen Reisenden, der, wenn es zur Gifteiuuahme käme, die andern
fröhlich tiberleben und sich des Schatzes, nämlich der Macht im Staate, be¬
dächtigen würde, wenn auch uur, um ihn zu verderben.

Dem Liberalismus wird zum Vorwurf gemacht, daß er mit dem beweglichen
Kapital identisch sei. Die Behauptung ist falsch, weil wir keine reinen Interessen-
Parteien haben und der Liberalismus gerade am weiteste» von einer solche»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193989"/>
          <fw type="header" place="top"> Politische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_27" prev="#ID_26"> sind in der That stenerfähigcr mis ihre jetzige Leistung: aber es ist doch blinde<lb/>
Feindschaft, die ganze Last dahin z» wälzen, wenn man nicht zugleich schädliche<lb/>
Lasten wegnimmt. Ans der Abwehr dieser neuen Last macht man das Be¬<lb/>
streben der Grundbesitzer, sich durch den verderblichen Schnnpskonsum der ärmern<lb/>
Klassen zu bereichern. Das ist ein Stück Wiedervergeltung mit dem Abdrücken<lb/>
vergifteter Pfeile.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> Mitten in diesem häßlichen Kampfe, der uns immerfort beängstigend um¬<lb/>
tobt, hat sich doch erstmmlicherweise wenigstens nach einer einzelnen Richtung<lb/>
eine Annäherung der sämmtliche» Hanptparteie» jedenfalls nur scheinbar, aber<lb/>
wenigstens scheinbar vollzogen. Die klerikale Partei darf man als die intellek¬<lb/>
tuelle Urheberin der agrarisch-konservativen Ausschreitungen betrachten, aus<lb/>
Gründen, ans die noch das gehörige Licht fallen muß. Diesen beiden Parteien<lb/>
hat sich nun der Liberalismus nenerdings in der Stenerfrage insoweit genähert,<lb/>
mis auch er für den nächsten Schritt in der Steuerreform die höhere Besteuerung<lb/>
des fundirten Einkommens in viel weiteren Grenzen, als sie Fürst Vismarck<lb/>
zugelassen hatte, erklärt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29"> Wenn man die Einigkeit dieser so verschiedenen, zum Teil so tief ver¬<lb/>
feindeten Parteien, noch dazu in der Erstrebung eines schädlichen Zieles erblickt,<lb/>
so muß mau sich jener Fabel erinnern, mit welcher der ältern Generation<lb/>
unsrer Zeitgenossen die zugleich unheimliche und trostreiche Wahrheit eingeprägt<lb/>
wurde, daß der gefährlichste Feind des Bösen das Böse ist. Wer erinnert sich<lb/>
nicht jener drei Reisenden, die unterwegs einen Schatz fanden, wie die beiden<lb/>
älteren den jüngsten nach Speise aussendeten, sich verabredeten ihn zu töten,<lb/>
wie sie deu Vorsatz ausführten, aber alsbald an dem Genuß der vergifteten<lb/>
Speise starben. Möge sich niemand beleidigt glauben, wenn nur den Parteien<lb/>
Vergiftungsabsichten nachsagen. Es handelt sich nicht um individuelle und leib¬<lb/>
haftige Vergiftung. Aber der Parteiknmpf, wie er zur Zeit leider einmal ist,<lb/>
will seine Gegner schädigen, nicht individuell, aber in ihrer Fahne, sodaß sie<lb/>
dieselbe vergraben und sich zerstreuen müssen. Die unvorsichtige Vestencrnng<lb/>
des Kapitals ist ein Gift; wenn alle Parteien entschlossen sind, es einzunehmen<lb/>
^ denn der Genuß läßt sich beim besten Willen nicht bloß der bekämpften<lb/>
Partei auflegen &#x2014;, so meint jede, ihr eigner Orgnnismns würde das Gift ver¬<lb/>
tagen, die andern aber würden daran zu Grunde gehen. Insofern ist unser<lb/>
Tüll anders als der in der Fabel. Er weicht auch noch in einer andern Be¬<lb/>
gehung ab. Die Fabel läßt ihre drei Reisenden sterben. In unserm Falle<lb/>
giebt es einen Reisenden, der, wenn es zur Gifteiuuahme käme, die andern<lb/>
fröhlich tiberleben und sich des Schatzes, nämlich der Macht im Staate, be¬<lb/>
dächtigen würde, wenn auch uur, um ihn zu verderben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Dem Liberalismus wird zum Vorwurf gemacht, daß er mit dem beweglichen<lb/>
Kapital identisch sei. Die Behauptung ist falsch, weil wir keine reinen Interessen-<lb/>
Parteien haben und der Liberalismus gerade am weiteste» von einer solche»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] Politische Briefe. sind in der That stenerfähigcr mis ihre jetzige Leistung: aber es ist doch blinde Feindschaft, die ganze Last dahin z» wälzen, wenn man nicht zugleich schädliche Lasten wegnimmt. Ans der Abwehr dieser neuen Last macht man das Be¬ streben der Grundbesitzer, sich durch den verderblichen Schnnpskonsum der ärmern Klassen zu bereichern. Das ist ein Stück Wiedervergeltung mit dem Abdrücken vergifteter Pfeile. Mitten in diesem häßlichen Kampfe, der uns immerfort beängstigend um¬ tobt, hat sich doch erstmmlicherweise wenigstens nach einer einzelnen Richtung eine Annäherung der sämmtliche» Hanptparteie» jedenfalls nur scheinbar, aber wenigstens scheinbar vollzogen. Die klerikale Partei darf man als die intellek¬ tuelle Urheberin der agrarisch-konservativen Ausschreitungen betrachten, aus Gründen, ans die noch das gehörige Licht fallen muß. Diesen beiden Parteien hat sich nun der Liberalismus nenerdings in der Stenerfrage insoweit genähert, mis auch er für den nächsten Schritt in der Steuerreform die höhere Besteuerung des fundirten Einkommens in viel weiteren Grenzen, als sie Fürst Vismarck zugelassen hatte, erklärt. Wenn man die Einigkeit dieser so verschiedenen, zum Teil so tief ver¬ feindeten Parteien, noch dazu in der Erstrebung eines schädlichen Zieles erblickt, so muß mau sich jener Fabel erinnern, mit welcher der ältern Generation unsrer Zeitgenossen die zugleich unheimliche und trostreiche Wahrheit eingeprägt wurde, daß der gefährlichste Feind des Bösen das Böse ist. Wer erinnert sich nicht jener drei Reisenden, die unterwegs einen Schatz fanden, wie die beiden älteren den jüngsten nach Speise aussendeten, sich verabredeten ihn zu töten, wie sie deu Vorsatz ausführten, aber alsbald an dem Genuß der vergifteten Speise starben. Möge sich niemand beleidigt glauben, wenn nur den Parteien Vergiftungsabsichten nachsagen. Es handelt sich nicht um individuelle und leib¬ haftige Vergiftung. Aber der Parteiknmpf, wie er zur Zeit leider einmal ist, will seine Gegner schädigen, nicht individuell, aber in ihrer Fahne, sodaß sie dieselbe vergraben und sich zerstreuen müssen. Die unvorsichtige Vestencrnng des Kapitals ist ein Gift; wenn alle Parteien entschlossen sind, es einzunehmen ^ denn der Genuß läßt sich beim besten Willen nicht bloß der bekämpften Partei auflegen —, so meint jede, ihr eigner Orgnnismns würde das Gift ver¬ tagen, die andern aber würden daran zu Grunde gehen. Insofern ist unser Tüll anders als der in der Fabel. Er weicht auch noch in einer andern Be¬ gehung ab. Die Fabel läßt ihre drei Reisenden sterben. In unserm Falle giebt es einen Reisenden, der, wenn es zur Gifteiuuahme käme, die andern fröhlich tiberleben und sich des Schatzes, nämlich der Macht im Staate, be¬ dächtigen würde, wenn auch uur, um ihn zu verderben. Dem Liberalismus wird zum Vorwurf gemacht, daß er mit dem beweglichen Kapital identisch sei. Die Behauptung ist falsch, weil wir keine reinen Interessen- Parteien haben und der Liberalismus gerade am weiteste» von einer solche»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/11>, abgerufen am 26.05.2024.