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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Ägypten und die Allianzgerüchte.

solchen bietet, mangelt es der britischen Politik nicht. Fragen wir, ob eine
solche Ordnung der Dinge unsre Interessen bedrohen oder schädigen würde, so
ist darauf mit nein zu antworten. Es kann uns gleichgiltig sein, ob in Ägypten
England oder Frankreich mehr Einfluß besitzt.

Was die Frage wegen der Obligationenbesitzer angeht, so kann es, nachdem
eine Kommission die Grundlagen zu einem neuen Liqnidationsgesetze festgestellt
hat, dem Chedive nud seinen Gläubigern überlassen werden, sich auf billige
Bedingungen hin, d. h. solche, unter denen die schändliche Aufsaugung des Laudes
durch europäische Wucherer uicht von neuem beginnen kann, zu verständigen.
Die englische Regierung hat zu einer Mitwirkung hierbei keinerlei Verpflichtung.
Sie hat uicht die Rolle eines Urwalds der fränkischen Finanzbarvne zu spielen,
viel eher hat sie im eignen Interesse darauf zu sehen, daß ein Abkommen möglich
werde, nach welchem die Hilfsquellen des Landes vorzüglich für dieses selbst
fließen, sodaß es sich rasch erholen und dann wohl gedeihen kann. Die gemein¬
schaftliche Kontrole Englands und Frankreichs über die ägyptischen Finanzen
wird keinesfalls in ihrer früheren Gestalt, vielleicht garnicht wiederhergestellt
werden, wie lebhaft auch französische Blätter dies verlangen. Zwar soll der
englische Botschafter in Paris dem dortigen Konseilspräsidenten die Versicherung
gegeben haben, man gedenke sie englischerseits beizubehalten, und infolge dessen
der bevollmächtigte Minister Billvt zu Verhandlungen über die Sache nach
London abgereist sein. Aber andrerseits wird berichtet, daß der Chedive ans
Abschaffung der doppelten Kontrole und Ersetzung derselben dnrch eine Kommission
ägyptischer Beamten dringe, in welcher ein Vertreter Großbritanniens den Vorsitz
führen solle. Auch verlautet, daß Dilke entschieden gegen eine Wiedereinrichtuug
jener zweiköpfigen Behörde sei, weil dieselbe nur die Syndikate, welche den größten
Teil der ägyptischen Schuld in Händen haben, begünstigen und eine Hauffe
herbeiführen würde, welche jene sich durch vorteilhaften Verkauf ihrer Papiere
Nutze machen würden. Eine Baisse würde dann nicht ausbleiben, und die
Herstellung der Kontrole würde die Schwierigkeit der Lage nnr noch steigern.
Ist der Widerstand Diltes Thatsache, so steht hinter ihm die öffentliche Meinung
'u England, welche die betreffende Institution niemals gern gesehen und sie
von Anfang an mehr notgedrungen als von ihrer Nützlichkeit überzeugt hinge¬
nommen hat. Allerdings füllte sie den Geldmännern die Taschen, aber sie ge¬
fährdete die guten Beziehungen zu Frankreich, sodaß sich daraus ein Verhältnis
entwickeln konnte, wie das, welches im Jahre 1865 in Schleswig-Holstein zwischen
Preußen und Österreich herrschte. Sie bürdete ferner den Ägyptern eine Menge
fremder Mitesser aus und gab so in allen Schichten der Bevölkerung gewissen
Grund zur Unzufriedenheit. Die Kontrole griff weit über die ihr gezogenen
Grenze" hinaus und mißachtete dabei alle Beschwerden. Ihren Leitern, namentlich
französischen, kam es nur darauf an, dem Volke schnell möglichst viel Geld
abzupressen. Derselbe Vertreter Frankreichs, Bligniöres, nützte seine Stellung


Ägypten und die Allianzgerüchte.

solchen bietet, mangelt es der britischen Politik nicht. Fragen wir, ob eine
solche Ordnung der Dinge unsre Interessen bedrohen oder schädigen würde, so
ist darauf mit nein zu antworten. Es kann uns gleichgiltig sein, ob in Ägypten
England oder Frankreich mehr Einfluß besitzt.

Was die Frage wegen der Obligationenbesitzer angeht, so kann es, nachdem
eine Kommission die Grundlagen zu einem neuen Liqnidationsgesetze festgestellt
hat, dem Chedive nud seinen Gläubigern überlassen werden, sich auf billige
Bedingungen hin, d. h. solche, unter denen die schändliche Aufsaugung des Laudes
durch europäische Wucherer uicht von neuem beginnen kann, zu verständigen.
Die englische Regierung hat zu einer Mitwirkung hierbei keinerlei Verpflichtung.
Sie hat uicht die Rolle eines Urwalds der fränkischen Finanzbarvne zu spielen,
viel eher hat sie im eignen Interesse darauf zu sehen, daß ein Abkommen möglich
werde, nach welchem die Hilfsquellen des Landes vorzüglich für dieses selbst
fließen, sodaß es sich rasch erholen und dann wohl gedeihen kann. Die gemein¬
schaftliche Kontrole Englands und Frankreichs über die ägyptischen Finanzen
wird keinesfalls in ihrer früheren Gestalt, vielleicht garnicht wiederhergestellt
werden, wie lebhaft auch französische Blätter dies verlangen. Zwar soll der
englische Botschafter in Paris dem dortigen Konseilspräsidenten die Versicherung
gegeben haben, man gedenke sie englischerseits beizubehalten, und infolge dessen
der bevollmächtigte Minister Billvt zu Verhandlungen über die Sache nach
London abgereist sein. Aber andrerseits wird berichtet, daß der Chedive ans
Abschaffung der doppelten Kontrole und Ersetzung derselben dnrch eine Kommission
ägyptischer Beamten dringe, in welcher ein Vertreter Großbritanniens den Vorsitz
führen solle. Auch verlautet, daß Dilke entschieden gegen eine Wiedereinrichtuug
jener zweiköpfigen Behörde sei, weil dieselbe nur die Syndikate, welche den größten
Teil der ägyptischen Schuld in Händen haben, begünstigen und eine Hauffe
herbeiführen würde, welche jene sich durch vorteilhaften Verkauf ihrer Papiere
Nutze machen würden. Eine Baisse würde dann nicht ausbleiben, und die
Herstellung der Kontrole würde die Schwierigkeit der Lage nnr noch steigern.
Ist der Widerstand Diltes Thatsache, so steht hinter ihm die öffentliche Meinung
'u England, welche die betreffende Institution niemals gern gesehen und sie
von Anfang an mehr notgedrungen als von ihrer Nützlichkeit überzeugt hinge¬
nommen hat. Allerdings füllte sie den Geldmännern die Taschen, aber sie ge¬
fährdete die guten Beziehungen zu Frankreich, sodaß sich daraus ein Verhältnis
entwickeln konnte, wie das, welches im Jahre 1865 in Schleswig-Holstein zwischen
Preußen und Österreich herrschte. Sie bürdete ferner den Ägyptern eine Menge
fremder Mitesser aus und gab so in allen Schichten der Bevölkerung gewissen
Grund zur Unzufriedenheit. Die Kontrole griff weit über die ihr gezogenen
Grenze» hinaus und mißachtete dabei alle Beschwerden. Ihren Leitern, namentlich
französischen, kam es nur darauf an, dem Volke schnell möglichst viel Geld
abzupressen. Derselbe Vertreter Frankreichs, Bligniöres, nützte seine Stellung


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[0111] Ägypten und die Allianzgerüchte. solchen bietet, mangelt es der britischen Politik nicht. Fragen wir, ob eine solche Ordnung der Dinge unsre Interessen bedrohen oder schädigen würde, so ist darauf mit nein zu antworten. Es kann uns gleichgiltig sein, ob in Ägypten England oder Frankreich mehr Einfluß besitzt. Was die Frage wegen der Obligationenbesitzer angeht, so kann es, nachdem eine Kommission die Grundlagen zu einem neuen Liqnidationsgesetze festgestellt hat, dem Chedive nud seinen Gläubigern überlassen werden, sich auf billige Bedingungen hin, d. h. solche, unter denen die schändliche Aufsaugung des Laudes durch europäische Wucherer uicht von neuem beginnen kann, zu verständigen. Die englische Regierung hat zu einer Mitwirkung hierbei keinerlei Verpflichtung. Sie hat uicht die Rolle eines Urwalds der fränkischen Finanzbarvne zu spielen, viel eher hat sie im eignen Interesse darauf zu sehen, daß ein Abkommen möglich werde, nach welchem die Hilfsquellen des Landes vorzüglich für dieses selbst fließen, sodaß es sich rasch erholen und dann wohl gedeihen kann. Die gemein¬ schaftliche Kontrole Englands und Frankreichs über die ägyptischen Finanzen wird keinesfalls in ihrer früheren Gestalt, vielleicht garnicht wiederhergestellt werden, wie lebhaft auch französische Blätter dies verlangen. Zwar soll der englische Botschafter in Paris dem dortigen Konseilspräsidenten die Versicherung gegeben haben, man gedenke sie englischerseits beizubehalten, und infolge dessen der bevollmächtigte Minister Billvt zu Verhandlungen über die Sache nach London abgereist sein. Aber andrerseits wird berichtet, daß der Chedive ans Abschaffung der doppelten Kontrole und Ersetzung derselben dnrch eine Kommission ägyptischer Beamten dringe, in welcher ein Vertreter Großbritanniens den Vorsitz führen solle. Auch verlautet, daß Dilke entschieden gegen eine Wiedereinrichtuug jener zweiköpfigen Behörde sei, weil dieselbe nur die Syndikate, welche den größten Teil der ägyptischen Schuld in Händen haben, begünstigen und eine Hauffe herbeiführen würde, welche jene sich durch vorteilhaften Verkauf ihrer Papiere Nutze machen würden. Eine Baisse würde dann nicht ausbleiben, und die Herstellung der Kontrole würde die Schwierigkeit der Lage nnr noch steigern. Ist der Widerstand Diltes Thatsache, so steht hinter ihm die öffentliche Meinung 'u England, welche die betreffende Institution niemals gern gesehen und sie von Anfang an mehr notgedrungen als von ihrer Nützlichkeit überzeugt hinge¬ nommen hat. Allerdings füllte sie den Geldmännern die Taschen, aber sie ge¬ fährdete die guten Beziehungen zu Frankreich, sodaß sich daraus ein Verhältnis entwickeln konnte, wie das, welches im Jahre 1865 in Schleswig-Holstein zwischen Preußen und Österreich herrschte. Sie bürdete ferner den Ägyptern eine Menge fremder Mitesser aus und gab so in allen Schichten der Bevölkerung gewissen Grund zur Unzufriedenheit. Die Kontrole griff weit über die ihr gezogenen Grenze» hinaus und mißachtete dabei alle Beschwerden. Ihren Leitern, namentlich französischen, kam es nur darauf an, dem Volke schnell möglichst viel Geld abzupressen. Derselbe Vertreter Frankreichs, Bligniöres, nützte seine Stellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/111>, abgerufen am 17.06.2024.