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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Zu Goethes Leipziger Studentenzeit.

fiskalischen Besitz befindliche Bauplätze in Vorschlag zu bringen. Misch kam
dieser Aufforderung im Mai 1765 nach, schlug zwei andre Plütze vor, darunter
die Rauuische oder Ranstädter Bastei, die Regierung entschied sich für diese,
und so gab Prinz .Laver am 29. August 1765 dein Rate Befehl, er möge den
Obersten Fasch diese Bastei sammt deu Baumaterialien, aus deuen sie aufge¬
führt sei, "erd- und eigenthümlich zu seiner freien Disposition und etwa gnt-
findenden Abtragung, auch anderweiten Bebauung übergeben und einräumen."
Noch im Herbste desselben Jahres -- wenige Tage nach Goethes Ankunft in
Leipzig -- wurde mit der Abtragung der Bastei begonnen. Plötzlich aber er¬
scheint ein neuer Unternehmer und anch ein neuer Plan. Laut eines am 8. März
1766 vollzogenen und im Leipziger Stadtbnch eingetragenen Kontraktes trat
Fasch den ihm geschenkten Bauplatz an den Leipziger Bürger und Kaufmann
Gottlieb Venedict Zemisch ab, und während bisher immer nur von einem
Konzertsaale die Rede gewesen war, wurde nun der ursprüngliche Plan durch
den umfassenderen eines Komödienhauses verdrängt, in das zugleich ein Konzert¬
saal mit eingebaut werden sollte, und schließlich blieb es gar bloß bei dem Kv-
mödienhanse. Der Bau, Mitte April 1766 begonnen, wurde rasch gefördert,
und in der Michaelismesse konnte die Eröffnung des neuen Theaters stattfinden.

In demselben Aktenstück nun, aus dem wir alle diese Einzelheiten entnehmen,
ist auch ein vortrefflich erhaltenes Exemplar des ersten Theaterzettels aus dem
neuen Hause eingeheftet. Da das Blatt wahrscheinlich ein Unikum ist, so ist
es wohl gerechtfertigt, den Wortlaut desselben hier mitzuteilen. Der Zettel
lautet, mit Hinweglassung der Eintrittspreise und der Schanspielpersonen, denen
übrigens die Namen der Schauspieler uicht gegenübergedruckt sind:

"Mit gnädigster Erlaubniß j wird hente j von den > Chursürstl. Sächsischen !
Hof-Comödianten j anf dem neuen Theater, j nach einer vorhergegangenen Rede
in Versen > zum Erstenmale aufgeführet: j Herrmann, j Eine Tragödie in fünf
Aelter, und ein Originalstück in Versen vom Herrn Prof. Schlegel. > Darauf
folgt ein Ballet: j von vergnügten Schäfern. > Den Beschluß macht: j Die un-
vermuthete Wiederkunft. > Eine Comödie des Herrn Regnard in einem Ackte. !
Der Anfang ist nach 5. Uhr. j Leipzig, Freytags, den 10. Oel. 1766. Heinrich
Gottfried Koch."

Am Schlüsse des Zettels, nnter den Eintrittspreisen, steht noch folgende
Bemerkung: "Man ist genöthiget sehr zu bitten: sich gütigst gefallen zu lassen,
daß künftig unter währender Action kein Zutritt aufs Theater erlaubt werden
kann, weil sowohl die Enge des Raums, als auch das Machiuenwcrk solches
bey mehrmaliger Verwandelung wegen Verhinderung und zu besorgenden Schadens
nicht gestattet; da überdieß noch der enge Raum zur Zeit zum Ankleiden muß
gebraucht werden."

Die "barbarische Gewohnheit" also, die Zuschauer auf der Bühne zu dulden,
die, wie Lessing in der Hamburgischen Drninatargie (10. Stück) erwähnt, in Paris


Zu Goethes Leipziger Studentenzeit.

fiskalischen Besitz befindliche Bauplätze in Vorschlag zu bringen. Misch kam
dieser Aufforderung im Mai 1765 nach, schlug zwei andre Plütze vor, darunter
die Rauuische oder Ranstädter Bastei, die Regierung entschied sich für diese,
und so gab Prinz .Laver am 29. August 1765 dein Rate Befehl, er möge den
Obersten Fasch diese Bastei sammt deu Baumaterialien, aus deuen sie aufge¬
führt sei, „erd- und eigenthümlich zu seiner freien Disposition und etwa gnt-
findenden Abtragung, auch anderweiten Bebauung übergeben und einräumen."
Noch im Herbste desselben Jahres — wenige Tage nach Goethes Ankunft in
Leipzig — wurde mit der Abtragung der Bastei begonnen. Plötzlich aber er¬
scheint ein neuer Unternehmer und anch ein neuer Plan. Laut eines am 8. März
1766 vollzogenen und im Leipziger Stadtbnch eingetragenen Kontraktes trat
Fasch den ihm geschenkten Bauplatz an den Leipziger Bürger und Kaufmann
Gottlieb Venedict Zemisch ab, und während bisher immer nur von einem
Konzertsaale die Rede gewesen war, wurde nun der ursprüngliche Plan durch
den umfassenderen eines Komödienhauses verdrängt, in das zugleich ein Konzert¬
saal mit eingebaut werden sollte, und schließlich blieb es gar bloß bei dem Kv-
mödienhanse. Der Bau, Mitte April 1766 begonnen, wurde rasch gefördert,
und in der Michaelismesse konnte die Eröffnung des neuen Theaters stattfinden.

In demselben Aktenstück nun, aus dem wir alle diese Einzelheiten entnehmen,
ist auch ein vortrefflich erhaltenes Exemplar des ersten Theaterzettels aus dem
neuen Hause eingeheftet. Da das Blatt wahrscheinlich ein Unikum ist, so ist
es wohl gerechtfertigt, den Wortlaut desselben hier mitzuteilen. Der Zettel
lautet, mit Hinweglassung der Eintrittspreise und der Schanspielpersonen, denen
übrigens die Namen der Schauspieler uicht gegenübergedruckt sind:

„Mit gnädigster Erlaubniß j wird hente j von den > Chursürstl. Sächsischen !
Hof-Comödianten j anf dem neuen Theater, j nach einer vorhergegangenen Rede
in Versen > zum Erstenmale aufgeführet: j Herrmann, j Eine Tragödie in fünf
Aelter, und ein Originalstück in Versen vom Herrn Prof. Schlegel. > Darauf
folgt ein Ballet: j von vergnügten Schäfern. > Den Beschluß macht: j Die un-
vermuthete Wiederkunft. > Eine Comödie des Herrn Regnard in einem Ackte. !
Der Anfang ist nach 5. Uhr. j Leipzig, Freytags, den 10. Oel. 1766. Heinrich
Gottfried Koch."

Am Schlüsse des Zettels, nnter den Eintrittspreisen, steht noch folgende
Bemerkung: „Man ist genöthiget sehr zu bitten: sich gütigst gefallen zu lassen,
daß künftig unter währender Action kein Zutritt aufs Theater erlaubt werden
kann, weil sowohl die Enge des Raums, als auch das Machiuenwcrk solches
bey mehrmaliger Verwandelung wegen Verhinderung und zu besorgenden Schadens
nicht gestattet; da überdieß noch der enge Raum zur Zeit zum Ankleiden muß
gebraucht werden."

Die „barbarische Gewohnheit" also, die Zuschauer auf der Bühne zu dulden,
die, wie Lessing in der Hamburgischen Drninatargie (10. Stück) erwähnt, in Paris


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/128>, abgerufen am 17.06.2024.